Das Hoffen wird immer schwieriger

Von Olga Rudenko

An diesem Samstag, dem 24. Februar, werden Millionen von Menschen in Europa aufwachen und ihren üblichen Wochenendaktivitäten nachgehen. Sie werden mit Freunden brunchen, ihre Kinder zum Spielen fahren und einkaufen gehen.
Hier in der Ukraine werden Millionen von Menschen an diesem Samstagmorgen schweren Herzens aufstehen. An diesem Tag, dem 24. Februar, ist es zwei Jahre her, dass Russland eine umfassende Invasion in unser Land startete.
Ich bin oft gefragt worden, wie dieser erste Tag der Invasion war. Ich habe ihn in meiner Eröffnungsrede zum M100 Sanssouci Colloquium im September 2022 beschrieben. Ich erinnere mich noch an jede Einzelheit, Stunde für Stunde. Man vergisst nie, wie man zum ersten Mal einen Luftangriff hört.
Sind Sie noch bei mir? Wenn ja, danke ich Ihnen. Nach zwei Jahren erregen die Geschichten über das, was die Ukrainer durchmachen, nicht mehr die Aufmerksamkeit der Menschen wie früher. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er abstumpft, wenn er wieder und wieder von Leid hört.

Und das ist etwas, worüber ich jeden Tag nachdenke: Wie können wir die Aufmerksamkeit der Welt – und die Unterstützung – zwei Jahre nach dieser Hölle aufrechterhalten? Denn es ist eine Überlebensfrage, ob wir sie aufrechterhalten. Es ist nicht einfach, mit dem innenpolitischen Theater in jedem Land um Aufmerksamkeit zu konkurrieren.

In letzter Zeit ist es noch schwieriger geworden. Es zeigt sich, dass die Kriegsstimmung unweigerlich von der Lage an der Front abhängt. Die lang erwartete ukrainische Gegenoffensive von 2023 ist gescheitert. Das bedeutet, dass wir zum ersten Mal seit Beginn der Invasion nicht wissen, was uns erwartet. Wir können hoffen – aber das Hoffen wird immer schwieriger. Ich sehe, wie die geistige und körperliche Erschöpfung dieser zwei Jahre jeden um mich herum einholt.

Man darf nicht vergessen, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht zwei, sondern zehn Jahre dauert. Er begann mit der Annexion der Krim und dem Einmarsch in die Ostukraine im Jahr 2014. Diese Woche markiert für uns zwei Daten: zehn Jahre Krieg und zwei Jahre Krieg im großen Stil.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen nicht freiwillig weiter. Friedensverhandlungen sind für uns keine Option: Ein Einfrieren des Krieges würde Russland die nötige Atempause verschaffen, um sich neu zu formieren und der Ukraine den Todesstoß zu versetzen. Und nicht nur der Ukraine. Unter den politischen Entscheidungsträgern ist es inzwischen eine anerkannte Wahrheit, dass Russland nicht bei der Ukraine Halt machen wird. Moldawien, Georgien, Kasachstan und sogar die baltischen Staaten stehen auf der Liste des Kremls.

Zwei Möglichkeiten würden Russland unterstützen und ermutigen: den Kreml siegen zu lassen oder ein Friedensabkommen zu unterzeichnen. Es gibt aber nur ein mögliches Ergebnis, das uns und den Rest Europas vor neuen Invasionen schützt: Russland muss militärisch geschlagen werden.

Das Haupthindernis auf dem Weg zum Sieg ist nicht Russlands militärische Stärke. Unser größter Feind ist vielmehr der Mythos von Russlands imperialer Macht und Unbesiegbarkeit. Ja, Russland ist ein großes Land mit großen Ressourcen. Aber es ist auch korrupt und ineffizient. Die Ressourcen und die militärische Stärke des Westens übertreffen die Russlands bei weitem. Alles hängt von der Effektivität des Westens und seinem Willen ab, Russland zu besiegen. Wenn er das hat, hat Russland keine Chance. Der Kreml weiß das – deshalb verbreitet er Propaganda, um Unruhe zu stiften und uns gegeneinander auszuspielen.

Am Ende läuft es auf Folgendes hinaus: Die Ukrainer sind kriegsmüde, aber sie kämpfen weiter. Der Westen ist des Krieges müde, aber er muss seine Unterstützung aufrechterhalten – und der Ukraine helfen, das autoritäre Monster zu besiegen, das eine globale Bedrohung darstellt.
Wenn Sie an diesem Samstag Ihren Wochenendgeschäften nachgehen, behalten Sie uns in Ihren Herzen und Gedanken. Wir sind immer noch hier, wir sind erschöpft und wir brauchen die Unterstützung der Welt mehr denn je.

Olga Rudenko ist Chefredakteurin der unabhängigen ukrainischen Nachrichtenplattform „The Kyiv Independent“. Sie hat 2022 die Eröffnungsrede des M100 Sanssouci Colloquiums gehalten.

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