M100 Young European Journalists Workshop 2020
„The local-global nexus: Exploring new strategies for local journalism in the post-covid era”
27. August – 17. September 2020 (online)
Der M100 Young European Journalists Workshop (M100YEJ) wurde erstmalig 2005 im Rahmen des M100 Sanssouci Colloquium veranstaltet. In diesem Jahr wurde der Workshop erstmals aufgrund der Covid19-Situation in digitaler Form als dezentrale Onlineumgesetzt: Rund 25 geladene M100YEJ-Teilnehmer*innen aus der ganzen Welt wurden in interaktiven Diskussionsrunden miteinander online verbunden.
(Lokal-)Journalismus ist und bleibt ein zentraler Eckpfeiler von Demokratien – national wie in Europa. Entsprechend haben auch die EU-Institutionen die – auch in der EU-Grundrechtecharta benannte – Bedeutung von Medienfreiheit und -vielfalt für Demokratie, transnationale Verständigung sowie das Verhältnis der europäischen Institutionen zu ihren Bürgerinnen und Bürgern betont und auf die mannigfachen Gefahren unserer Informations-Ökosysteme durch Fake News, Desinformation und Journalismuskrise hingewiesen.
Doch die Tatsache, dass der Lokaljournalismus in Europa und vielen anderen Demokratien seit Jahrzehnten als unverzichtbar gilt, bedeutet nicht, dass seine Zukunft als selbstverständlich betrachtet werden kann. Zwar ist Journalismus in Europa heute in vielerlei Hinsicht besser und erfolgreicher denn je. Doch grenzenlose Reichweite in der digitalen Realität geht nicht einher mit nachhaltigen Geschäftsmodellen und die Pressevielfalt, gerade im lokalen Raum, nimmt mit schon heute spürbaren Folgen für die Demokratie – national wie in Europa – ab. Im Zuge der Covid19-Krise verschärfen sich diese Entwicklungen nochmal massiv, wodurch sich die Frage nach der Zukunftsfähigkeit des (Lokal-) Journalismus mit noch stärkerer Dringlichkeit stellt.
Unter dem Titel “The local-global nexus: Exploring new strategies for local journalism in the post-covid era” beschäftigten sich die NachwuchsjournalistInnen vom 27. August bis 17. September 2020 mit der Zukunft von (Lokal-) Journalismus in einer globalen Welt entlang der Dimensionen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Innovation. Der zentrale Schwerpunkt des Workshops richtete sich auf den anschließenden interdisziplinären Szenarioprozess zur Zukunft unserer europäischen Medienlandschaft 2030. Die Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Diskussionen bei der internationalen Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium am 17. Septemberunter dem Titel „NEUSTART: Shaping the Post-Covid Media Order“ zu den Folgen der Coronakrise auf Journalismus, Medienfreiheit und Demokratie in Europa.
Der M100YEJ ist eine Initiative von Potsdam Media International e.V.. Er wird vom Bundespresseamt, der Friedrich-Naumann-Stiftung und dem National Endowment for Democracy finanziert und findet in Kooperation mit European Youth Press, Europa United, Orange Magazine und dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik statt.
Programm
Donnerstag, 27. August 2020
POLITICS: Starting the journey: EU, Media and Journalism
Sophia Wellek (M100) und Leonard Novy (IfM)
Nach einer kurzen Einführung zu M100, der Agenda, den Workshoptrainern und den technischen Spielregeln auf Zoom mit Projektleiterin Sophia Wellek, gab es eine erste Vorstellungsrunde aller TeilnehmerInnen. Bei interaktiven Diskussionen über die Herausforderungen und Chancen des modernen Journalismus im Anschluss hatten die jungen JournalistInnen außerdem die Möglichkeit, sich in kleinen Breakoutsessions besser kennenzulernen und sich über ihre unterschiedlichen Erfahrungen mit Journalismus in ihren Heimatländern auszutauschen. Im Plenum wurden die Ergebnisse final zusammengetragen, verglichen und ausgewertet, wodurch insbesondere die unterschiedlichen Bedingungen sowie Erfordernisse für Journalismus in Europa und der Welt sichtbar wurden.
Der erste Workshoptrainer Leonard Novy, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM), gab einführend einen kurzen Impuls über die Rolle von Lokaljournalismus in einer globalen Welt. Aufgrund der sich weitgehend über lokale Medien organisierenden nationalen Mediensystemen, aus denen sich die europäische Öffentlichkeit zusammensetzt, könnten grenzüberschreitende Probleme wie Klimawandel, Migration oder der Zukunft der Europäischen Union bisher vor allem nur auf lokaler Ebene diskutiert werden. Der Lokaljournalismus würde als Vermittler wirken, damit Europa und globale Themen allgemein konkret werden, die Menschen die realen Auswirkungen abstrakter Entwicklungen besser verstehen und die Mächtigen relativierbar und rechenschaftspflichtig werden. Die aktuell in Deutschland tagende EU-Ratspräsidentschaft sei ein weiteres Beispiel dafür, wo LokaljournalistInnen eine Brücke zu den Bürgern schlagen könnten. Sie kann die Europäische Union maßgeblich prägen, doch wirke sie für den normalen Bürger teilweise noch sehr abstrakt. Der Lokaljournalismus könnte hier vermitteln und ihre Ziele und Wirkung den Lesern vereinfacht erläutern.
Ein weiterer zentraler Zusammenhang zwischen Zustand und Zukunft des Lokaljournalismus und europäischer Politik bestehe laut Novy darin, dass die EU maßgeblich über die Rahmenbedingungen für Medien und Journalismus im Plattformzeitalter entscheide. So ginge es etwa bei den Diskussionen über das Thema digitale Souveränität für Europa, wie sie auch in der deutschen Ratspräsidentschaft eine große Rolle spielten, letztlich um Handlungsfähigkeit und Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, zentralen Grundwerten wie Teilhabe-, Informations- und Medienfreiheit und Vielfalt unter neuen Vorzeichen Geltung zu verschaffen.
Ulrike Guérot ist Gründerin und Direktorin des European Democracy Lab an der European School of Governance und arbeitet als Publizistin, Essayistin und Analystin zu Themen der europäischen Integration sowie zur Rolle Europas in der Welt. In einer Q&A Diskussion im Anschluss betonte sie die Rolle des Journalismus für die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union. Die Krise der EU sei vor allem auf ihr Demokratiedefizit zurückzuführen: Ihr Top-down-Ansatz würde EU-kritische und populistische Strömungen stärken und ihre Legitimität von den Bürgern zunehmend in Frage gestellt werden. Nur ein Wechsel zur Bottom-Up-Methode, durch die Bürger wieder mehr Mitspracherecht erhielten und Bürger statt Staaten die Hauptakteure bilden, könnte die europäische Demokratie und ihren Rückhalt wieder stärken.
Dazu sei insbesondere der Lokaljournalismus wesentlich, da er entscheidet, welche Rolle und welchen Raum Europa in der Berichterstattung einnehme und da er mithilfe von Bürgerjournalismus im Lokalen bürgerliches Engagement auf europäischer Ebene fördern könnte. Somit könnte auch der Lokaljournalismus fördern, dass Bürger in der EU aktiver werden und die europäische Demokratie stärken.
Ein positives Beispiel für Initiativen, die Bürgerbeteiligung fördern, sei außerdem das Projekt der Europäischen Zukunftskonferenz (#CoFoE) auf Anregung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, bei dem Bürgerinnen und Bürger aus allen Ecken der Union und nicht nur aus den Hauptstädten Europas zu europäischen Anliegen befragt werden und gemeinsam debattiert wird.
Außerdem rief Guérot die NachwuchsjournalistInnen dazu auf, mehr über die Semantik in ihrer Berichterstattung nachzudenken, denn sie würde zu Taten führen und die wiederum neue Auswirkungen zur Folge haben. So meinte sie ganz konkret, dass der Wortlaut „national“ komplett in der Berichterstattung verschwinden sollte. In Zeiten von fragmentierten Redaktionen, sollte von der Betonung auf „national“ endlich abgesehen werden, um ein Gefühl der Einheit und des Zusammenhalts zu fördern. Auf den Einwand, ob das nicht einseitige Berichterstattung sei, bezog sich Guérot auf Hannah Arendt. Aus ihrer Sicht gebe es keine Objektivität, sondern nur einen Konsens über Vorverurteilungen, um Gesellschaften zusammenzuhalten, den die Presse repräsentieren sollte. Außerdem verwies sie auf einen weitverbreiteten Argumentationsfehler „ad hominem“, bei dem statt der Positionen die Personen wie z.B. Trump angegriffen werden. In einer weiteren Q&A Diskussion ging sie noch weiter auf die persönlichen Fragen der TeilnehmerInnen ein.
Als Abschluss beantwortet Guérot noch die Frage des Workshops, wie sie sich Europas Medienordnung 2030 vorstelle. Da sie sich stark für die digitale Souveränität Europas ausspricht und fordert, dass Europa endlich unabhängig vom Sillicon Valley und der Monopole ist, sieht sie nur eine Europäische Plattform als zukunftsfähige Lösung für Europas Probleme.
Das Thema der digitalen Infrastruktur Europas ist ebenfalls ein Leitgedanke des Programms der EU-Ratspräsidentschaft in Deutschland, der bei den Sitzungen hohe Priorität hat. Einige EU-Inititiven zum Aufbau einer sicheren und vertrauenswürdigen, souveränen europäischen Dateninfrastruktur wurden schon gestartet. Tiemo Wölken ist Mitglied des Europäischen Parlaments bei der progressiven Allianz der sozialdemokratischen Fraktion (S&D) und setzt insbesondere auf die Digitalpolitik einen Schwerpunkt, z.B. als Berichterstatter für den Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments zum Digital Services Act, der sich u.a. mit möglichen Regeln für Online-Plattformen und Social Media, dem Umgang mit illegalen Inhalten und der Frage nach Upload-filtern beschäftigt. In seinem Initiativbericht ging es Wölken vor allem um den Schutz der Meinungsfreiheit und der Grundrechte ohne Upload-filter, die eingeschränkte Verbreitung von Fake News und Verschwörungstheorien ohne Zensur und mehr Datenschutz für weniger personalisierte Werbung. Wölken betonte in seinem Input, dass Einigung auf europäischer Ebene zur digitalen Infrastruktur, deshalb so wesentlich sei, weil die Öffentlichkeit online im Internet keine Grenzen kenne und unabhängige Regulierung von unterschiedlichen nationalen Akteuren deshalb nicht effizient sei. Obwohl die Effizienz europäischer Regulierung durch das Konsensprinzip sehr eingeschränkt sei, verwies er auf zahlreiche positive Erfolge europäischer Regulierung, z.B. im Bereich Datenschutz, der durchaus auch als positiver Beispielfall international hervorsticht. Was das Thema Disinformation betrifft, so nimmt er klar Stellung, dass Fake News aufgrund der in Europa geltenden Meinungsfreiheit erlaubt seien und daher nicht gelöscht werden dürfen. Die entscheidende Maßnahme, die er auch im Digital Sevices Act-Bericht erwähnt hat, sei aber eine Regulierung, damit Plattformen mit Fake News kein Geld mehr verdienen und ihre Verbreitung nicht mehr durch ökonomische Anreize gefördert wird. Auf weitere Fragen über Perspektiven für eine digitale Souveränität Europas wurden im anschließenden Q&A noch weiter eingegangen. Statt einer europäischen Plattform wie von Ulrike Guérot angesprochen, würde er beispielsweise eher für stärkeres Wettbewerbsrecht plädieren, um die Vormachtstellung der Plattformen einzuschränken.
Im Anschluss gab der Pressesprecher des europäischen Parlaments in Berlin, Thilo Kunzemann, einen Vortrag über Anlaufstellen und verfügbare Online-Tools wie Multimedia-Produkte und audiovisuelle Dienstleistungen für JournalistInnen zur Berichterstattung über EU-Politik. Eine Möglichkeit für JournalistInnen, sich tiefergehend zu spezifischen EU-Themen zu informieren ist zum Beispiel die Teilnahme an themenspezifischen Pressekonferenzen, für die man sich online akkreditieren kann. Außerdem treffen sich einmal wöchentlich alle Mitglieder des Europäischen Parlaments in einer Plenarsitzung, in der alle anstehenden Agendapunkte aufgrund der hohen Anzahl an legislativen Projekten besprochen werden, damit man einen Überblick erhält. Für alle Sitzungen gibt es immer auch Webstreams, die online verfügbar sind. Auch die Rede der KommissionspräsidentIn zur Lage der Union mit einer Bestandsaufnahme und einem Ausblick der EU kann jährlich aufgrund seiner hohen politischen Relevanz live auf der Website der EU verfolgt werden sowie im HD-Format durch eine Bereitstellung des URLs auch auf der eigenen Medien-website eingebettet und ausgestrahlt werden. Außerdem kann man sich für Newsletter anmelden und über themenspezifische Entwicklungen der EU laufend informiert werden. Interessant war auch der Hinweis, dass audiovisuelles Material frei und kostenlos von der EU für Medien und JournalistInnen zur Verfügung gestellt und auch live-Aufnahmen der Sitzungen für alle Medien zugänglich gemacht wird. Ein Multimediazentrum stellt außerdem ein großes Material an Videos, Bilder und Radiobeiträgen zu EU Themen in seinem Archiv online zum Download zur Verfügung. Auch verwies er auf die zahlreichen Pressesprecher jedes Mitgliedstaats oder EU-Komitees, die immer erreichbar sind und bei der Informationssuche unterstützen können. Die Website Twitterpolis hilft eine Übersicht über die große Bandbreite an EU-Twitteraccounts zu erhalten. Es gibt außerdem zahlreiche Websiten, die auf alle EU Aktivitäten verweisen, so kann man beispielsweise auf einer online Landkarte auf eine bestimmte Region klicken und erhält sofort eine Übersicht an Projektförderungen und Maßnahmen der EU in der Region oder man sucht sich ein spezifisches Thema aus und erhält ebenfalls eine Übersicht.
Freitag, 28. August 2020
BUSINESS: Financing journalism: media income streams
Pavel Andreev (7×7) und Kirill Artemenko (paperpaper.ru)
Beim M100YEJ Workshop nehmen jährlich auch osteuropäische und russische NachwuchsjournalistInnen teil, die im Gegensatz zu den meisten westeuropäischen TeilnehmerInnen auch Erfahrungen mit autoritären Regimen mit eingeschränkter Pressefreiheit gemacht haben. Vor diesem Hintergrund war der Workshop der der beiden lokalen und zugleich unabhängigen Journalisten Pavel Andreev und M100YEJ 2014 Alumni Kirill Artemenko besonders interessant. So haben es gerade Medien in Russland, die nicht regierungsnah sind, schwer, sich selbst zu finanzieren, zumal sie zugunsten ihrer Unabhängigkeit keine Förderungen vom Staat annehmen. 7×7 und paperpaper.ru sind beides lokale Medien, die u.a durch eine Diversifizierung ihrer Finanzierungsquellen Wege gefunden haben, ihre Berichterstattung in Russland trotz eingeschränkter Pressefreiheit möglich zu machen. Zunächst stellten beide ihre russischen Medien vor: 7×7 ragt vor allem hervor, weil es „community“- basiert ist, stark mit lokalen Aktivisten zusammenarbeitet und sehr vernetzt im Non-Profit Sektor ist. Paperpaper.ru fällt vor allem durch sein vielseitiges Angebot an diversen Medienprodukten auf, inklusive Veranstaltungen, Newsletter, lokale Berichterstattung, Native-Ads, Podcasts und soziologische Studien und seine Mission, Minderheiten in russischen Großstädten zu unterstützen, indem es Themen erfasst, das Minderheiten verbindet.
Das Ziel des Businessworkshops von Pavel Andreev (7×7) und Kirill Artemenko (paperpaper.ru) war es, den NachwuchsjournalistInnen eine große Bandbreite an möglichen Finanzierungsquellen aufzuzeigen, da aus ihrer Sicht nur eine Diversifizierung der Einkommensquellen Medien und Journalismus ihre finanziellen Stabilität sichert. Zum Beispiel könnten Medien auch Einkommen durch Veranstaltungen, Native-Ads, Crowdfunding, öffentliche und individuelle Spendengelder, Consulting, Abonnements generieren, vor allem sei es aber wichtig, in sein „Brand Value“ zu investieren.
Der Workshoptag gliederte sich in drei Abschnitte (1) Native Advertising, (2) Funding by NGOs & Foundations, (3) Segmenting the audience for creating external commercial media product und (4) “Crowdfunding: management and IT tools”, für die jeweils nach einem inhaltlichen Input auch optional Aufgaben vergeben wurden, die individuell und bei Bedarf mit Unterstützung von Pavel und Kirill in den Pausen bearbeitet werden konnten und im Anschluss gemeinsam besprochen und ausgewertet wurden.
(1) Native Advertising
(2) Funding by NGOs & Foundations
(3) Segmenting the audience for creating external commercial media product
(4) Crowdfunding: management and IT tools
Donnerstag, 29. August 2020
SOCIETY: Journalism, diversity and changing societies
Sheila Mysorekar (Neue Deutsche Medienmacherinnen)
Sheila Mysorekar ist Vorstand bei Neue Deutsche Medienmacherinnen und engagiert sich mit der NGO dafür, mehr Diversität in der Berichterstattung zu erzielen und auch Minderheiten wie MigrantInnen eine Stimme in Deutschland zu geben. Um das Bewusstsein für die Problematik rund um das Thema Diversität im Journalismus zu stärken, zeigte Mysorekar während ihres Workshops zunächst vor allem anhand von Beispielen mit journalistischen Beiträgen und Titelseiten unterschiedlicher Medien, wie Minderheiten in den letzten 50 Jahren medial dargestellt wurden. Dabei fällt auf, dass bestehende, diskriminierende Stereotype teilweise sogar verstärkt und Minderheiten nicht umfassend repräsentiert würden: Muslima würden beispielsweise oft einseitig als „unterdrückte Opfer“, „exotisch“ oder sogar „gefährlich“ porträtiert. Das Narrativ mit rassistischen Stereotypen über Minderheiten habe gleichzeitig schon eine sehr lange Tradition, so Mysorekar und verwies daher auf vielerorts unbekannte Entwicklungen in der Geschichte wie zum Beispiel die „Pig Laws“ in den USA, 9/11 oder Kolonialismus, die Rassismus beförderten. Vor diesem Hintergrund betonte sie verschiedene notwendige Veränderungen und Maßnahmen im Journalismus: JournalistInnen müssten ein antirassistisches Training erhalten, die Redaktionen in den Medien sollten diverser aufgestellt werden, Minderheiten sollten in den Medien umfassender repräsentiert werden, d.h. nicht nur Extremfälle sondern auch ihr Alltagsleben sollte dargestellt werden, Beiträge zu Kriminalität sollten in den Medien nicht sofort mit bestimmten Ethnien in Verbindung gesetzt werden, MigrantInnen sollte in den Medien ebenfalls eine Stimme gegeben werden und JournalistInnen sollten mehr auf ihre Wortlaute bzgl. MigrantInnen achten.
Podcasting with Europa United
Ken Sweeney (Europa United)
Ken Sweeney gab im Anschluss außerdem einen Workshop zum Thema Podcasting. Zunächst stellte er aber Europa United vor, das er 2016 in Irland gegründet hat. Ziel von Europa United ist es, die Debatte über Europa anzustoßen und eine Plattform für angehende AutorInnen und JournalitInnen zu bieten. Zu einem großen Teil besteht das Angebot von Europa United auch aus vielseitigen Podcasts, womit Sweeney sehr positive Erfahrungen gemacht habe. Daher empfiehlt er auch den NachwuchsjournalIstinnen, das Format öfter zu nutzen. Zunächst verwies er auf zahlreiche Studien, die zeigen würden, wie beliebt Podcasts in der Öffentlichkeit sind und wie das Konsumverhalten aussieht. Weiterhin gab Sweeney verschiedene persönliche Empfehlungen für die Ausstattung zur Durchführung von Podcasts, wie z.B. Handys oder auch professionelle Kameras und Mikrofone und verschiedene Editingsoftware-Programme. Außerdem verwies er auf verschieden Plattformen, wo man seine Podcasts für kleines Geld anbieten könnte und gab Hilfestellung dabei, wie man seinen Podcast möglich attraktiv für Zuhörer gestalten könnte.
Donnerstag, 3. September 2020
INNOVATION: Media innovation: Best practices
Frederik Fischer (Mitgründer, piqd)
Frederik Fischer ist Gründungs- und Chefredakteur der Kuratierungsplattform piqd.de und Vorstandsmitglied von Vocer, dem führenden Think Tank für Medieninnovation in Deutschland. Am vierten Workshoptag erhielten die jungen JournalistInnen Inputs rund um das Thema Innovation im Journalismus. In Umbruchzeiten hat Innovation eine hohe Priorität für Medien. Was aber bedeutet Innovation im Journalismus – Produktentwicklung, neue Wege zur Zusammenarbeit oder zur Verbreitung von Inhalten? Vor diesem Hintergrund stellte Fischer zunächst eine Methode zur Organisationsentwicklung vor, die Adaptivität und Feedbackschleifen für eine effektive Produktentwicklung fördern würde. Agile Project Management bedeutet, sich Veränderungen zu stellen, sogar schon in der Entwicklungsphase, wobei der Wert für das Unternehmen immer an erster Stelle steht. „Agile Journalism“ als Methode kann aber aufgrund seines produktorientierten Ansatzes auch eine große Chance für MedienmacherInnen sein, ihre Produkte weiterzuentwickeln und hilft bei der Zielsetzung und Fokussierung der Arbeit.
Im Anschluss verwies Fischer außerdem auf die Chancen durch innovative Formate im Journalismus wie zum Beispiel Newsletter, Chatbots und Podcasts. Er zeigte zahlreiche Statistiken und Studien, aus denen hervorgehe, wie Konsumverhalten sich in den letzten Jahren im Medienbereich verändert habe und wie das von Medien genutzt werden könne. Insbesondere vor dem Hintergrund des finanziellen Drucks der Medien und JournalistInnen durch die Techgiganten, die den Großteil an Werbegeldern abschöpfen und dadurch den Medien im Internet nur wenig Profit überlassen, müssen Medien und Journalismus sich innovative Möglichkeiten zur Finanzierung überlegen, so der Appell von Fischer. Newsletter und co. können dabei helfen, sich von den Plattformen unabhängig zu machen und den Bedürfnissen der Konsumenten gerecht zu werden.
Als Gastredner informierte Martin Fehrensen, Journalist und Blogger, über seine Erfahrungen mit Innovation im Journalismus. Dazu arbeitet er an der Schnittstelle von Social Media, Politik und Gesellschaft. Mit seinem neuesten Projekt, dem Social Media Watchdog, gründete er einen Blog, der seinen AbonnentInnen Newsletter mit einem kuratierten Überblick über die wichtigsten News und Debatten rund um Social Media liefert. Mit wenig Geld und Zeit kreierte Fehrensen mit anderen Mitgründern Briefings, die einfach über Steady an die AbonnentInnen gelangen. Sein Beispiel zeigt, dass JournalistInnen auch unter erschwerten finanziellen Bedingungen mit besonderen Themen erfolgreiche Berichterstattung machen und dabei Geld verdienen können. Nach genaueren Details, Empfehlungen und Erfahrungen konnten sich die jungen JournalistInnen in einer Q&A Diskussion erkundigen. Alternativ zum Newsletter und anderen innovativen Formaten, betonte Fehrensen die Relevanz von Non-Profit-Journalismus, der durch Stiftungen und öffentliche Gelder finanziert wird und dadurch seine Unabhängigkeit von den Tech-Giganten gesichert wird und Medien als Grundfeiler der Demokratie geschützt wird.
Abschließend gab Fischer noch die Aufgabe an die jungen JournalistInnen, eigene Konzepte für Newsletter, Telegramkanäle und Podcasts zu entwickeln und dabei sowohl die Zielgruppe zu definieren und Gründe für die Nutzung zu erläutern. Die Ergebnisse wurden gemeinsam im Plenum diskutiert.
Samstag, 4. September 2020
Sonntag, 5. September 2020
Freitag, 11. September 2020
Samstag, 12. September 2020
Scenario Workshop
Liana Lim Hinch (Foresight Intelligence Indonesia Lead)
Ein zusehends wichtiger Skill in Zeiten der Digitalisierung – auch und gerade für Medien(-schaffende) – ist das Thema Zukunftsmanagement: Das Antizipieren von Trends und möglichen Entwicklungen der Zukunft sowie, darauf aufbauend, das Treffen von Handlungsempfehlungen. Foresight Intelligence ist eine Beratung, die anhand verschiedener Methoden zur Analyse komplexer Sachverhalte strategische Prozesse zur Zukunftsvorhersage (Strategic Foresight) unterstützt.
In einem 4-tägigen, methodisch angeleiteten, interdisziplinären Szenario-Workshop wurden verschiedene Szenarien möglicher zukünftiger Medienordnungen (von „Worst Case“ bis „Best Case“) erarbeitet, die schließlich als strukturierende Diskussionsgrundlage für die internationale Medienkonferenz dienten.
Dabei ging es konkret um folgende Fragestellungen: Mit welcher Medienlandschaft, mit welcher Art kommunikativer Infrastruktur, wollen wir in Zukunft, unter der Berücksichtigung technologischer, politischer und gesellschaftlicher Veränderungen leben? Welche weitere möglichen Szenarien im Jahre 2030 sind außerdem noch denkbar und plausibel? Und was müssen wir heute tun, um das gewünschte Szenario zu erreichen?
Nachdem alle TeilnehmerInnen zunächst in zwei Umfragen über 80 mögliche Einflussfaktoren für die Medienlandschaft in den nächsten zehn Jahren identifizierten, einigte sich die Gruppe nach einer gemeinsamen Diskussion auf acht wichtigste Schlüsselunsicherheiten, die alle 80 Indikatoren zusammenfassen: Medienvertrauen, Technologie und KI, Medienprodukte und ihre Businessmodelle, Medienkompetenz, Autoritarismus, Debattenkultur durch Populismus/Fake News und Internetfreiheit.
Am zweiten Szenario-Tag wurde eine Reihe von Projektionen auf der Grundlage aller acht zentralen Unsicherheiten gebildet und die Projektionen kombiniert, um Bausteine für die Szenarien zu bilden. Dann stellten wir Hypothesen auf, wie das Ergebnis über zehn Jahre aussehen würde, wenn all diese Projektionen kombiniert würden.
Es war unvermeidlich, dass einige Kombinationen zu ziemlich düsteren Umständen führten. Es wurden strukturelle Probleme z.B. bei der Finanzierung von Qualitätsjournalismus oder bezüglich des Vertrauens in die Medien antizipiert, die in Wechselwirkung mit sozialen und politischen Umwälzungen stehen – oder dadurch noch verschärft werden. Durch die Szenarien realisierten die NachwuchsjournalistInnen wie diese Dimensionen miteinander verbunden sind: Wenn Faktoren wie Technologie oder soziale Ungleichheiten dazukommen, kann dies einem Sturm für ein Szenario über die Medienordnung gleichkommen.
In einem Szenario wurde beschrieben, wie nach einer riesigen Flüchtlingskrise, rechte Autoritäre Angst und Fremdenfeindlichkeit schüren, um in den großen europäischen Staaten an die Macht zu kommen und gegen die – bereits geschwächten – unabhängigen Medien vorzugehen. Unter dem Deckmantel des Datenschutzes nutzen die autoritären Regierungen persönliche Daten Einzelner für ein Splinternet, wodurch digitale Freiheit eingeschränkt wird.
Daraus ableitend ergab sich eine Diskussion über mögliche Implikationen. Die jungen JournalistInnen betonten die Notwendigkeit eines stärkeren Schutzes für persönliche Daten. Dieser dürfte aber keine Rücknahme der individuellen digitalen Souveränität beinhalten, da sonst die digitale Freiheit eingeschränkt werden würde. Ein weiterer Diskussionspunkt beinhaltete die Einführung einer korrupten Infrastruktur zur Überprüfung von Fakten, die zur Bekämpfung gefälschter Nachrichten von autoritären Regierungen. Dies führt zu einer despotischen „Post-Wahrheit“, die alle eingeschränkten unabhängigen Medien untergräbt und die Regierungspropaganda unterstützt. Man ging hier davon aus, dass unabhängige Medien nicht in der Lage seien, gegen gefälschte Nachrichten vorzugehen, so dass der Staat einschreiten musste, der in der Konsequenz seine eigene Wahrheit erschuf.
Dass sich die Dinge nicht nur negativ entwickeln müssen, zeigte das „Best-Case“ Szenario: Hier beschrieben die WorkshopteilnehmerInnen den Zustand europäischer Medien bis 2030 als stärker. Lokale Medien haben dank stetiger Finanzierung und innovativer Produkte floriert, die den Verbrauchern direkte, relevante und personalisierte Informationen bieten und die Beziehung zwischen Leser und Publikation neu definieren. Das Vertrauen der Verbraucher in die Medien wurde wiederbelebt, und die Online-Plattformen wurden wirksam reguliert und in ihrer Macht eingeschränkt.
Dreh- und Angelpunkt dieses Szenarios ist eine neue, von der EU eingeführte Gesetzgebung, die einen stärkeren Datenschutz durchsetzt, das Big-Tech-Wachstum durch Anti-Monopolisierung und eine neue Steuerpolitik begrenzt. Motiviert wurde dies durch die Notwendigkeit, gegen systemische Fehlinformationen und ihre Auswirkungen auf die Demokratie und den Wahlprozess vorzugehen.
Auch wenn diese einheitliche europäische Antwort nicht besonders wahrscheinlich sein mag, so hat sie doch die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die jungen JournalistInnen darüber nachdenken konnten, wie der Journalismus innovativ sein und sein Publikum und Ansehen wiederaufbauen kann. Die wichtigste Erkenntnis war daher, dass ein gemeinsame Herangehensweise zur Steigerung des Vertrauens in die Medien erforderlich ist und dass ein neuer, innovativer lokaler und nationaler Journalismus sowohl symptomatisch als auch förderlich für dieses Vertrauen ist.
Indem sich die WorkshopteilnehmerInnen also systematisch mit hypothetischen „Zukünften“ auseinandersetzten, wurden sie für die große Bandbreite an Einflussfaktoren für zukünftige Entwicklungen sensiblisiert, überlegten sich ein ganzes Spektrum an möglichen Szenarien, diskutierten die Implikationen und überlegten sich konkrete Handlungsanweisungen. Ihre Botschaft, die nach außen getragen werden soll: Wenn sich die aktuellen Entwicklungen fortsetzen, droht unseren Informationsökosystemen der Kollaps. Wir – Politik und Medien – müssen handeln!
Sonntag, 13. September 2020
COMMUNICATION: Ergebnispräsentation
Steffen Gorski and Lea Wigger (Design „nachmorgen“)
Am letzten Workshoptag lernten die jungen JournalistInnen wie sie die komplexen Szenarien nach außen und an die TeilnehmerInnen des M100 Sanssouci Colloquium vereinfacht und interessant transportieren können. Dazu formulierten sie unter Anleitung und Beratung zunächst ihre Geschichte, wobei sie darauf achteten, sich auf die Prioritäten ihrer Szenarien zu konzentrieren und die Geschichte interessant, klar und auf den Punkt gebracht darzustellen. Im Anschluss entwickelten sie für die ausgewählten Szenariengeschichten eigene Storyboards mit diversen grafischen Elementen der Grafiker und unter der Berücksichtigung von vermittelter Visualisierungstechniken, des Zeitrahmens und diverser Methoden zum „Sketching“.
Donnerstag, 17. September 2020
M100 Sanssouci Colloquium
„NEUSTART: Shaping the Post-Covid Media Order“
Die Ergebnisse wurden auf der internationalen Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium, dem führenden internationalen Medientreffen für Demokratie und Pressefreiheit. Seit 2005 ermöglicht die jährliche Hauptveranstaltung, das M100 Sanssouci Colloquium, rund 100 internationalen Vordenkern aus Medien, Politik und Wissenschaft den Austausch über die Rolle und den Einfluss der Medien in internationalen Angelegenheiten.
„NEUSTART: Shaping the Post-Covid Media Order“ lautete der Titel der internationalen Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium. Erstmals fand das hochkarätige Forum digital statt. Rund 100 JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen aus ganz Europa waren virtuell zusammengeschaltet, um die Medienordnung nach Covid-19 zu diskutieren. Die Eröffnungsrede hielt Timothy Garton Ash, Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford. Entlang der Dimensionen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wurde in parallel stattfindenden, exklusiven Roundtable-Diskussionen darüber debattiert, wie Europas Medienlandschaft Herausforderungen wie Fake News, der Dominanz großer Plattformen, Finanzierungsschwierigkeiten und gesellschaftlicher Polarisierung begegnen und sich zukunftsfest aufstellen kann. Zu den Referenten zählten u.a. Neera Tanden, Präsidentin des Center for American Progress, Jim Egan, CEO von BBC Global News sowie der Politikwissenschafler und Buchautor Yascha Mounk. In der finalen Plenardiskussion „The Path Ahead“, eingeleitet durch einen Impuls des US-amerikanischen Aktivisten Cory Doctorow, wurden die strategischen Implikationen aller Roundtable schließlich zusammengetragen.
Die Ergebnisse des Szenarienprozesses der jungen JournalistInnenbeim M100 Young European Journalists Workshop wurden in der Agenda der Konferenz besonders hervorgehoben: Der Impuls „Setting the Scene: “Europe’s Media Landscape 2030: Future Scenarios“ bildete die Grundlage der vier parallelen Roundtable, da sie verdeutlichten, welche Entwicklungen eintreten können, wenn den Diskussionen keine Taten folgen. Insbesondere der Call to Action rief die Zugeschalteten dazu auf, konkrete und scharfe Maßnahmen zu beschließen und umzusetzen. Arthur Mythum, Teilnehmer des Workshops, betonte daher: „Da kommen Sie ins Spiel. (..) Wenn Nachrichten weiterhin ein Prozess sind, von dem sich die Menschen distanziert fühlen, wie können Sie dann Vertrauen wiederaufbauen, Ihre Leserschaft vergrößern und weiterhin die Wahrheit berichten? Wie können wir zu einer Version des Jahres 2030 kommen, die wir uns vorgestellt haben?“ Ein Video von der Designfirma nachmorgen, die mit den jungen JournalistInnen am letzten Workshoptag gemeinsam ein Storyboard mit diversen Animationen und Grafiken entwickelten, visualisierte sowohl das negative und positive Szenario und wurde als Call to Action an Politik und Medien gerichtet.
Im Anschluss durften die jungen JournalistInnen außerdem auch aktiv an den Online-Diskussionen mit internationalen Vordenkern aus Medien, Politik und Wissenschaft teilnehmen und mitdiskutieren. So plädierten Victoria Hristova and Juuso Järviniemi, beispielsweise für mehr mehr Bildung im Bereich media literacy sowohl für junge als auch ältere Menschen in der Roundtablediskussion zum Thema „Politics: Sustaining Democratic Media Ecosystems“. Die Teilnahme der jungen Journalisten an der internationalen Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium war eine besondere Gelegenheit, ein Netzwerk mit hochrangigen Medien- und Meinungsmachern, Politikern und Wissenschaftsvertretern aus der ganzen Welt aufzubauen, so konnten sie nicht nur in den Roundtablediskussionen, sondern auch bei den Networkinggelegenheiten in den Breakoutsessions mit allen TeilnehmerInnen persönlich in Kontakt treten.