M100YEJ 2021

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M100 Young European Journalists Workshop 2021

„Reporting in Crises and the Crisis in Reporting“
10. September – 2. Oktober 2021 (3 Wochenendmodule, online)

Krisen sind ein Stresstest für den Journalismus. Einerseits erhöht die Verunsicherung, die durch Krisen entsteht, das Bedürfnis nach Orientierung und Information. So ging die Covid-19-Pandemie – nicht nur in Deutschland – einher mit einem rasanten Anstieg des Medienkonsums, sowohl hinsichtlich der Zugriffs- und Abonnentenzahlen digitaler Angebote als auch der Einschaltquoten von Nachrichten und Sondersendungen in TV und Radio. Gleichzeitig haben die Krisen der letzten Jahre haben aber auch die Schwächen des Mediensystems und die daraus resultierenden Probleme in der Berichterstattung aufgezeigt. In der Folge steigt in Ländern wie Deutschland zwar das Vertrauen in die Medien, gleichzeitig ist aber eine wachsende Zahl von Menschen mit der Berichterstattung unzufrieden. Zudem nehmen Medienfeindlichkeit und gewalttätige Übergriffe auf Medienvertreter zu, und die Tendenz, dass Regierungen aller Couleur Krisen ausnutzen, um die Presse- und Meinungsfreiheit zu beschneiden, wächst.

Ziel des diesjährigen M100 Young European Journalists Workshops (M100YEJ) war es, Handwerk und Herausforderungen journalistischer Arbeit in Zeiten der Krise zu beleuchten. Im Wechsel aus praktischen Inputs und theoretischer Reflektion diskutierten die TeilnehmerInnen die Ursachen aktueller Krisenphänomene sowie mögliche Ansätze und Strategien für einen resilienten, wirtschaftlich wie inhaltlich erfolgreichen Journalismus im Dienste der Demokratie.

Das in Kooperation zwischen dem M100 Sanssouci Colloquium und dem IfM durchgeführte Seminar, das von der Friedrich-Naumann-Stiftung und dem National Endowment for Democracy gefördert wurde, fand zwischen dem 10. September und dem 2. Oktober online in drei Modulen statt:

MODULE I: Starting the Journey: Outlining common challenges and common goals
Friday, 10 Sept 2021 (14:00 – 17:00 MEZ) – Saturday, 11 Sept 2021 (10:00 – 15:00 MEZ)

Das erste Modul stand ganz im Zeichen des Kennenlernens und der Wissenskonsolidierung unter den 15 TeilnehmerInnen, die aus 10 Ländern zugeschaltet waren. Nach der Eröffnung des Seminars durch Workshop-Leiterin Edith Michaeler (Forum Journalismus und Medien, Wien), Sabine Sasse und Leonard Novy, begrüßte Martin Kothé, Regionalbüroleiter Ost und Südost Europa der Friedrich-Naumann-Stiftung, die TeilnehmerInnen mit einer motivierenden Auftaktrede, in der er die Bedeutung eines funktionierenden, krisenfesten Journalismus und von gut ausgebildeten JournalistInnen herausstellte.

Danach hielt Wolfgang Blau, ehemaliger Chefredakteur von ZEIT Online und heute Fellow am Reuters Institute der Universität Oxford, eine programmatische Opening Speech. Blaus Fokus lag auf den Herausforderungen, die sich aus dem Klimawandel für den Journalismus ergeben, wobei es in der Natur der Klimakrise läge, dass diese eben nicht isoliert zu betrachten seien. So wie alle Bereich unseres Lebens, unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft betroffen seien, gelte es, diese holistische Perspektive auch in die redaktionelle Arbeit zu integrieren statt nur in Rubriken wie dem Politik-, Wissenschafts- oder Wirtschaftsteil. Alles andere wäre ein “Bärendienst an unseren Lesern und Zuhörern und würde, da die Öffentlichkeit sich dessen nun zunehmend bewusst wird, letztlich auch die Legitimität des Journalismus selbst beschädigen”, so Blau. Bei der Klimakrise handele es sich um ein systemisches bzw. “transversales Thema, das ohnehin jede einzelne vertikale oder sektorale Sparte des Journalismus betrifft, herausfordert und wesentlich verändert.” Deswegen sollte jeder Journalist und jede Journalistin in jedem Land in die Lage versetzt werden, “Klima-Aspekte in jeder Geschichte, an der er oder sie arbeitet, kompetent zu berücksichtigen.“

Blau hob zudem auf die Charakteristika journalistischer Krisenberichterstattung ab, die sich beim Klimawandel als besonders problematisch erwiesen, wie die “Betonung von Ereignissen gegenüber Prozessen: Natürlich ist der Klimawandel ein Prozess, aber Nachrichtenorganisationen brauchen ein Ereignis, sie brauchen einen Aufhänger.“ So lese sich ein Großteil des Klimajournalismus “wie die Berichterstattung über Kricket in einem Fußballland – in Bezug darauf, wie viel Vorwissen vorausgesetzt wird und wie viel Fachjargon verwendet wird. Und das ist ein Problem und ein Grund mehr, warum Klimajournalismus nicht nur in der Wissenschaftsredaktion erscheinen sollte.“

Die TeilnehmerInnen teilten im Nachgang zur Diskussion ihre Einschätzung zu den Leistungen und Defiziten der Berichterstattung in ihren jeweiligen Ländern. In Bezug auf die Rolle der Medien während der Covid-19-Pandemie waren hier – zum Beispiel zwischen Russland und den westeuropäischen Ländern – deutliche Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zu erkennen. Alle TeilnehmerInnen verband die Überzeugung, dass es gerade in Krisenzeiten wichtig sei, dass die Menschen durch die Medien sachlich und umfassend informiert werden. Alle sahen die Gefahren, die gerade von Desinformation auf den großen Plattformen, aber auch von “Horse Race”-Journalismus ausgehen.

Im Rahmen des ersten Moduls erarbeiteten die TeilnehmerInnen die Grundlagen für eine Zusammenarbeit untereinander und für jeweils eigene Publikationen, die den Abschluss des Workshops bilden sollten.
Sie sammelten erste Ideen und formulierten gemeinsam jene Themenfelder, die ihnen im Zusammenhang des Themas “Reporting in Crises and the Crisis in the Reporting” relevant erschienen. In angeleiteten Diskussionen formulierten und erarbeiteten sie Aspekte des Themas und entwickelten in Gruppenarbeiten erste Thesen, um das Generalthema herunterzubrechen und eigene Lösungen zu entwickeln und zu präsentieren.

Didaktisch wichtig war dabei, den Austausch der Teilnehmenden untereinander anzuregen. Ein Raum wurde geschaffen, der es ermöglichte, die unterschiedlichen Vorerfahrungen und Sichtweisen der TeilnehmerInnen zu integrieren. Eine offene Diskussion wurde angeregt, die sich aufgrund der unterschiedlichen Biographien und Wohnorte der KollegInnnen als sehr fruchtbar und rege entwickelte.

Es bildeten sich Arbeitsgruppen heraus, die auf Basis der Vorerfahrungen und der Inputs durch die Workshop-Gäste bis zum Abschluss des Workshops folgende Themen näher beleuchten sollten: “Mental Heath of Journalists: A key factor for resilient media” / “Independent Media: How to guarantee a free press” / “Fake News” : How to cope that threat to journalism”.

MODULE II: How do we get there? An agenda for resilience in journalism
Friday, 17 Sept. 2021 (10:00 – 15:00 MEZ) – Saturday, 18 Sept. (10:00 – 15:00 MEZ)

Strategien und Instrumente eines zukunftsorientierten, glaubwürdigen und belastbaren Journalismus standen im Mittelpunkt des zweiten Seminarmoduls. Unter dem Titel “A new mindset – The Media House of the Future” berichtete M100-Beiratsmitglied Mathias Müller von Blumencron (ehem. SPIEGEL und Tagesspiegel) von den aktuellen Herausforderungen großer Medienhäuser, aber auch vom Rollenkonflikt, in dem viele JournalistInnen heute stecken: “Eine weitere wichtige Lektion, über die wir nachdenken müssen, wenn wir über uns selbst nachdenken, ist die Frage, wie wir die Grenze zwischen Aktivismus für eine gute Sache und dem Versuch, in der Berichterstattung unvoreingenommen zu bleiben, ziehen.”

Roland Schatz vom Forschungsunternehmen Media Tenor betonte den zentralen journalistischen Grundsatz einer “ehrlichen Nachrichtenauswahl und ehrlichen Darstellung dessen, was wir als Journalisten vorfinden” und erinnerte daran, für wen JournalistInnen arbeiten: All jenen, “die darauf vertrauen, dass wir ihre Augen, Ohren und Herzen sind, wenn sie nicht genug Zeit haben.” Eine zentrale Ursache für die “fundamentale Krise des Journalismus” läge darin, dass viele Medien ihr Publikum “aufgegeben” hätten. “Wir hören nicht mehr so sehr auf diejenigen, die – bis zu einem gewissen Grad sogar mit ihrem Leben, wenn es um die Berichterstattung geht – auf Journalisten angewiesen sind.”

Der Journalismus-Experte Alexander Sängerlaub betonte in seiner Session ebenfalls die zentrale Rolle einer freien Presse für die Demokratie, wies aber darauf hin, dass die Art und Weise, wie die Presse diese Rolle wahrnehme, sich verändern müsse. Der “konstruktive Journalismus” böte eine Lösung dafür, da er den Lesern, Hörern und Zuschauern mehr Macht gäbe als andere Formen des Journalismus. Konstruktiver Journalismus habe nichts mit positivem Journalismus zu tun. “Es geht nicht darum, die Welt positiv zu gestalten und zu leugnen, dass es auch schlechte Dinge gibt, sondern vielmehr darum, die ganze Perspektive zu zeigen.” Konstruktiv zu sein bedeute zu zeigen, dass es auch Lösungen gibt. Dem modernen Journalismus stehe einer Vielzahl neuer Produktions- und Darstellungsformen zur Verfügung, die es in diesem Sinne zu nutzen gelte, etwa digitale Wissensarchitekturen: “Das bedeutet, dass wir mit Hilfe von Daten durch die Zeit reisen können, weil wir sehen können, wie sich die Dinge entwickeln oder verändern oder ob es besser wird oder ob es als Gesellschaft funktioniert, bestimmte Probleme zu lösen.”

Daran anknüpfend teilte die Unternehmerin Sham Jaff (“What happened last week”) ihre Erfahrungen und ihren Blick auf “entrepreneurial journalism”. Für sie sei es essentiell, Nachrichten aus zwei verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten: aus der Sicht des Journalisten und aus der Sicht der Nachrichtenkonsumenten. JournalistInnen täten sich schwer damit, Nachrichten als das zu begreifen, was sie eben (auch) sind: ein Produkt. Doch guter Journalismus brauche Menschen, “die darüber nachdenken, wie man ansprechende und finanziell nachhaltige Medienprodukte herstellen” und verbreiten kann. Jaff hat selber höchst erfolgreich einen Newsletter entwickelt, der hintergründige Informationen zu Themen rund um internationale Politik liefert und dafür strategische Markenentwicklung und Zielgruppenanalyse betrieben. Mit den TeilnehmerInnen des Seminars teilte sie ihr Wissen und ihre Tools und motivierte sie, sich im Zweifelsfall auch selbstständig zu betätigen.

Am Ende des zweiten Moduls diskutierte die Gruppe erste Erkenntnisse aus dem Seminar. So wurde konstatiert, dass die Unabhängigkeit und “Capacity” des Journalismus einer Vielzahl von Bedrohungen ausgesetzt sei. Dabei liege das Hauptaugenmerk vor allem auf strukturellen Fragen (Finanzierung und Geschäftsmodelle, Eingriffe der Regierungen in die Pressefreiheit). Eher selten in den Blick gerate die individuelle Situation von Journalisten, und wenn, dann ginge es meist um die (prekäre) wirtschaftliche Situation von (freien) Journalisten, nicht um die psychologischen Herausforderungen, die ihre Arbeit (und neue Herausforderungen wie Fake-News) mit sich bringen. Sich dieser Dimension anzunehmen, nahm sich die Gruppe für die weitere Arbeit vor.

Die Inputs der Gäste und die oben beschriebenen Themen dienten auch dazu, die eigenen Perspektiven und Annahmen zu erweitern und die jeweils formulierten individuellen Thesen in den Arbeitsgruppen “Mental Health of Journalists”, “Independent Media” und “Fake News” einfließen zu lassen. Die in Kleingruppen diskutierten Thesen präsentierten die TeilnehmerInnen dann im Plenum und präsentierten den KollegInnen aus den anderen Gruppen, die angeregt worden waren, weitere inhaltliche Inputs zu geben.

Davon ausgehend wurden Möglichkeiten erarbeitet, wie die Beiträge schließlich dargestellt, publiziert und präsentieren werden sollten. Konzepte zu Storytelling und Formgestaltung wurden vorgestellt und mit den KollegInnen auf die jeweiligen Beitragsideen abgestimmt. Die Gruppe entschied sich, Textbeiträge (Interviews, Erklärungen, Berichte zu forumlieren – als Text – auf der Plattform www.medium.com zu publizieren und ein Video zu erstellen, das auf dem M100-YouTube-Channel veröffentlicht worden ist („Trying to understand what independent media is“).

Ausgehend von den beiden Modulen erarbeiteten die TeilnehmerInnen Strukturen für ihre Beiträge und recherchierten zu den avisierten Themen. Sie verabredeten sich auch außerhalb des Workshop-Rahmen auf diversen Netzwerken (Zoom, WhatsApp), um Ergebnisse und weitere Vorgehensweisen abzustimmen. M100 diente dabei als Enabler und bot die notwendige Infrastruktur. Damit wurde ein wichtiger Anker für ein weiteres Zusammenarbeiten im Netzwerk gesetzt.

MODULE III: And now? Transferring our knowledge & “Masterpiece”
Friday, 1 October 2021 (10:00 – 15:00 MEZ) – Saturday, 2 October (10:00 – 15:00 MEZ)

Im dritten und letzten Seminarteil konzentrierten sich die TeilnehmerInnen auf ihren selbstgewählten und nach Meinung der Gruppe in der Diskussion um Krisenjournalismus oft vernachlässigten Schwerpunkt: Krisen sind demnach nicht nur Konzepte oder Stoff für akademische Diskussionen sind, sondern Momente, die die Menschen am eigenen Leib erfahren. JournalistInnen erleben sie unmittelbar; die Herausforderungen, denen sich der einzelne Journalist bei seiner oder ihrer Arbeit stellen muss, bleiben oft unbemerkt. Dabei handelt es sich um reale Gefahren, aber auch und vor allem um die Folgen von Populismus, Fake-News und Desinformation, aus denen häufig auch Gewalt gegen JournalistInnen entsteht. In den Niederlanden beispielsweise gaben 80 % der JournalistInnen an, dass sie im Jahr 2021 Aggressionen im Job erlebt haben. Die Gruppe entschloss sich, dieses Thema zum Gegenstand eines Blogs zu machen. Zentrale Thesen wurden zu diesem Zweck im Rahmen dieses Seminarteils mit Brigitte Alfter, Direktorin von Arena for Journalism in Europe und Dozentin an der Universität Göteborg, diskutiert. Alfter, die in ihrer Arbeit journalistische Praxis, unternehmerische Aktivitäten, Lehre/Ausbildung und akademische Forschung verbindet, bestärkte die TeilnehmerInnen in ihrem Fokus und verwies noch einmal auf die existentiellen Herausforderungen, denen der Journalismus und mithin auch die Demokratie gegenüberstehe.

Im dritten Modul arbeiteten die TeilnehmerInnen außerdem die Beiträge, die schließlich als ihre “Abschlussarbeiten” auf Medium präsentiert worden sind. Die Beiträge beziehen sich auf zwei Themengebiete: “Mental health of journalists” und “Is independent media under threat”. Die Beiträge umfassen Interviews, Kommentare, Analysen und Hintergrundinformationen zu den gewählten Themengebieten.

In einer abschließenden Diskussion wurden die Ergebnisse der Arbeiten wechselseitig präsentiert und kommentiert. Dabei wurden besonders der Prozess des gemeinsamen Arbeitens im Workshop und in den Arbeitsgruppen positiv hervorgehoben. “Resilienz im Journalismus” wurde dadurch nicht nur als theoretisches Konzept wahrgenommen, sondern durch die Arbeit als Team auch praktisch erfahren.

Ergebnis: Es wurde über die Klimakrise, die Covid-Pandemie, das Problem von Fake-News, Pressefreiheit und vieles andere gesprochen, das JournalistInnen in ihrer täglichen Arbeit beeinflusst. Am Ende arbeiteten die TeilnehmerInnen ein zentrales Thema heraus, über das in diesem Zusammenhang kaum gesprochen oder geschrieben wird: die Bedeutung der mentalen Gesundheit von JournalistInnen. Das sei ein weit unterschätztes und kaum beachtetes Problem, das auch für die Qualität des Journalismus große Bedeutung habe. JournalistInnen, die über Krisen oder in Krisen arbeiten, sind oft hohen Stressfaktoren ausgesetzt. Sie erleben belastende Dinge und arbeiten und belastenden Bedingungen, die ihre Gesundheit beeinträchtigt. Hinzu kommen oft geringe, unregelmäßige Einkommen und damit verbundene Existenzängste. All diese Faktoren, die auf die mentale Gesundheit von JournalistInnen einwirken und sie beeinträchtigen, dürfen nicht länger ignoriert werden – sei es in der Ukraine, Mazedonien, Italien, Frankreich, Großbritannien oder Deutschland. Denn nur gesunde, resistente JournalistInnen können auf Dauer qualitativ hochwertige Arbeit produzieren und die Demokratie unterstützen.

Positiv wurden die kompetenten, interessanten Speaker und die Vielfalt der im Seminar diskutierten Aspekte bewertet. Das hat bei den TeilnehmerInnen zu einer vertiefenden Beschäftigung mit dem Thema geführt und ihr Wissen über Journalismus erweitert. Betont wurde auch, dass der Workshop die Bedeutung internationaler Vernetzung und Kommunikation unterstrichen hat, dass es zwischen den verschiedenen Kulturen viele Gemeinsamkeiten gibt und man gemeinsam stärker sei.

Ergebnisse:
M100YEJ Blog
Video „Trying to understand what independent media is“