M100 2023

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Between Ambition and Disarray – The Future of Democracy

Donnerstag, 14. September 2023, Orangerie Sanssouci, Potsdam

Between Ambition and Disarray – The Future of Democracy“ lautete der Titel des M100 Sanssouci Colloquiums, das am 14. September 2023 in der östlichen Pflanzenhalle des Orangerieschlosses in Potsdam-Sanssouci stattfand.
Zum 19. Mal trafen sich führende Vertreterinnen und Vertreter aus Medien, politischen Institutionen und Think Tanks aus ganz Europa und den USA, um gemeinsam an einem langen Tisch und in kleineren Strategic Working Groups über den Zustand und die Zukunft unserer (westlichen) Demokratie und die Rolle der Medien zu diskutieren. Erneut bot das Colloquium eine Plattform für einen offenen und konstruktiven Dialog über den sich entwickelnden Zustand demokratischer Systeme in einer Welt der Umbrüche, Krisen, Krieg und einer damit einhergehenden Neustrukturierung der Weltordnung.

Das Plenum bestand aus fast 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 20 Ländern sowie 20 NachwuchsjournalistInnen aus 14 Ländern, die in den Tagen vor der Konferenz in einem mehrtägigen, intensiven Workshop zum Thema „Klimaberichterstattung“ gearbeitet hatten.
Zu den Hauptthemen des Colloquiums gehörten das Spannungsverhältnis zwischen demokratischen Bestrebungen und der Realität demokratischen Regierens, die Auswirkungen des technologischen Fortschritts auf die Demokratie, die zunehmende globale Unordnung und Polarisierung innerhalb der Demokratien sowie den Einfluss von Desinformation und die Rolle der Medien im Zusammenhang mit dem Anstieg von Populismus.

Die Konferenz war in drei Plenary Roundtable – Diskussionen am langen Tisch – und vier parallel stattfindenden Strategic Working Groups à ca. 20 Personen gegliedert.

Prof. Dr. Christoph M. Vogtherr

In einer kurzen Begrüßungsrede wies Prof. Dr. Christoph Martin Vogtherr, Direktor der Schlösserstiftung und damit Hausherr der Orangerie, darauf hin, dass eines der brennenden Themen, die beim M100SC auf der Tagesordnung standen, auch eine der großen Herausforderungen der Schlösserstiftung sei: Wenn man nach draußen in den Park sehe und die Bäume genauer betrachte, so Vogtherr, könne man sehen, dass ein großer Teil des Baumbestands durch die Folgen des Klimawandels extrem bedroht sei. Die Parks zukunftsfähig zu machen und an die kommenden Generationen übergeben zu können, sei eine der großen Aufgaben, die die Stiftung in den nächsten Jahren zu bewältigen habe.

M100-Kurator Dr. Leonard Novy wies darauf hin, dass M100 nicht nur eine eintägige Konferenz sei, sondern ein echtes Netzwerk und eine Plattform, die

Dr. Leonard Novy

Regionen, Sektoren und Generationen verbindet. „Mit diesem Netzwerk-Spirit haben wir angefangen, auch an anderen Orten kleine M100 Media-Foren zu veranstalten, wie letztes Jahr in New York und im Juni mit finanzieller Unterstützung der Alfred Herrhausen Gesellschaft in der georgischen Hauptstadt Tiflis“, so Novy. „Die Konflikte, die wir beim M100 Media Forum in Tiflis gesehen und diskutiert haben, spiegeln eine größere, universellere Herausforderung wider. Eine Herausforderung für die Bedeutung, die Praxis und die Zukunft der Demokratie. Präsident Biden hatte erklärt, dass der Kampf zwischen Autokratien und Demokratien die Herausforderungen unserer Zeit definieren. Wenn das der Fall ist, ist es nicht nur ein Kampf zwischen Nationen, sondern auch ein Kampf innerhalb unserer Gesellschaften. Das Zeichen unserer Zeit ist der Aufstieg und die Anziehungskraft von gewählten Autokratien, oder: Sanfter Autokratismus.“

Tagesmoderator Christoph Lanz

Zur Vorbereitung des diesjährigen Colloquiums hatten die Veranstalter wenige Wochen zuvor die Mitglieder des M100-Netzwerks in einer Umfrage zum Zustand von Medien und Demokratie in ihren jeweiligen Ländern gefragt. Bei der Frage nach dem Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf Journalismus und Gesellschaft sind fast 80 % der TeilnehmerInnen der Meinung, dass weder die politischen Institutionen noch die Medien ausreichend auf die Konsequenzen von KI vorbereitet seien. Fast 55 % der TeilnehmerInnen sind über den Einfluss von KI-Technologien wie ChatGPT auf die Demokratie besorgt, nur 27% sehen diese Entwicklung positiv. Dennoch bewerteten dieselben Menschen die Frage nach dem zukünftigen Einfluss von KI-Technologien wie ChatGPT auf den Journalismus zu 34 % positiv oder sogar sehr positiv, während 39 % den Einfluss negativ bis sehr negativ betrachten (27 % neutral). Diese und einige weitere Ergebnisse der (nicht repräsentativen) M100-Umfrage flossen zum Teil in die Diskussion der am Nachmittag stattfindenden Strategischen Arbeitsgruppen ein.

Videointerview mit Pankaj Mishra

ERÖFFNUNGSREDE
Für die Eröffnungsrede konnte der indische Bestsellerautor und Essayist Pankaj Mishra („Das Zeitalter des Zorn“, „Freundliche Fanatiker“) gewonnen werden, der die TeilnehmerInnen aus Europa und den USA mit einem Blick aus dem sogenannten „Globalen Süden“ auf den vom Westen geprägten Demokratie-Begriff konfrontierte (die Aufzeichnung seiner gesamten Rede finden Sie hier).

Seit Jahren kritisiert Mishra in seinen Essays und Büchern den Westen dafür, die Länder des Globalen Südens nicht nur auszubeuten, sondern auch auszublenden und in ihrem Drang, die Weltordnung nach ihren Vorstellungen zu gestalten, sich für „das Maß aller Dinge“ zu halten und den größten Teil der Weltbevölkerung bisher ignoriert und übergangen zu haben. Spätestens seit dem Krieg Russlands in der Ukraine, so Mishra, gelte diese Ordnung nicht mehr. Durch den Krieg und seine Folgen für den weltweiten Energie- und Lebensmittelhandel haben sich die Koordinaten verschoben, und der Westen merkt, dass er auf der Suche nach neuen Partnern – Ländern des Globalen Südens – plötzlich allein dasteht.

Die instabile und „verwirrende“ Situation der Welt, die mit Kriegen und Krisen einhergehende Verschiebung der als so sicher geglaubten Weltordnung, sei vor allem auch und vor allem den Versäumnissen und der Überheblichkeit und Ignoranz des Westens in den letzten Jahrzehnten geschuldet, so Mishra. Und wirft weißen Westlern vor, „sich nicht genug mit der Geschichte, der Politik und der Wirtschaft nicht-weißer Länder beschäftigt zu haben“ – und es bis heute nicht zu tun. So werde der indische Premierminister Modi jetzt in den westlichen Medien „als großer Verbündeter des Westens und als die Art von Führer des globalen Südens dargestellt, mit dem der Westen zusammenarbeiten kann“, so Mishra, und Politik und Medien verschließen die Augen vor Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Einschränkung der Pressefreiheit und einer despotischen Führung. Der Westen solle sich überlegen, mit illiberalen und opportunistischen Führen von Ländern des Globalen Südens Allianzen zu schmieden, darauf sei kein Verlass. Denn: „In Wirklichkeit braucht Indien billige Industriegüter von seinem strategischen Rivalen China, günstiges Öl aus Russland, militärische Ausrüstung und Technologietransfers aus den Vereinigten Staaten und Europa sowie Investitionen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dementsprechend kommt Indien nicht umhin, eine Außenpolitik zu betreiben, die sich sorgfältig gegen verbindliche Verpflichtungen gegenüber diesem oder jenem Land oder Block in der multipolaren Welt absichert.“

„Wir leben in einer Welt, in der die Zukunft der Demokratie nicht einmal in Europa, geschweige denn in Indien, gesichert ist“, so Mishra in seiner Rede. „Der Kapitalismus hat eine viel zu große Unsicherheit geschaffen, die nun eine bösartige Gegenreaktion hervorruft. Demagogen und despotische Führer innerhalb und außerhalb Europas sind auf dem Vormarsch.“
Und er endet: „Anstatt autoritäre Herrscher erneut zu legitimieren und ihre Glaubwürdigkeit weiter zu beschädigen, sollten westliche Führer und Meinungsmacher ihr Engagement für die Demokratie aufrechterhalten – und das nicht nur rhetorisch. Diejenigen, die behaupten, in der Ukraine für Freiheit und Würde zu kämpfen, sollten nicht bereit sein, deren Zerstörung in Indien, der Türkei und anderen möglichen Partnern des Westens zu dulden. Das größere gemeinsame und universelle Gut der Demokratie ist es wert, in unserer komplexen multipolaren Welt noch mehr angestrebt zu werden.“

PLENARY ROUNDTABLE I
„Is Democracy losing its Lustre?“
Input: Christopher Walker
, Vizepräsident für Studien und Analysen, National Endowment for Democracy (NED), USA
Moderation: Christoph Lanz, Trustee Thomson Foundation, M100-Beirat, Deutschland
Der erste Plenary Roundtable – eine Diskussion mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern am langen Tisch – befasste sich mit der Frage, ob und warum die Demokratie ihre Anziehungskraft und ihren Glanz verliert. Eingeleitet wurde die Diskussion von Christopher Walker, der gerade ein Buch mit dem Titel „Defending Democracy in an Age of Sharp Power“ veröffentlicht hat. Darin beschreiben verschiedene Autoren, wie autoritäre Mächte weltweit versuchen, an den Grundfesten demokratischer Gesellschaften zu rütteln und die Offenheit der freien Welt auszunutzen – und was wir dagegen tun können.

Videointerview mit Christopher Walker

Walker erklärte, dass in den letzten 17 Jahren mehr Länder einen demokratischen Rückschritt als einen Fortschritt erlebt haben. Insbesondere Demokratien litten unter einer Vertrauenskrise und verlören allmählich den Glauben an die Demokratie als ein Regierungssystem, das besser in der Lage sei, die Rechte des Einzelnen zu schützen und Wohlstand zu schaffen als andere Systeme, die diese Garantien nicht böten. Walker warnte, dass liberale Demokraten „sich ihrer eigenen Verantwortung, ihre Werte zu verteidigen, viel bewusster werden müssen“. Autokratische Länder wie China, Russland, Saudi-Arabien und der Iran arbeiten zusammen, um die Meinungsfreiheit im Internet einzuschränken. Zusammen mit anderen Autokratien wie Ägypten, Venezuela, Nicaragua und Simbabwe verfolgen sie Journalisten und Oppositionelle nicht mehr nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen, sondern weltweit. Journalisten, Sportstars und Funktionäre sind auf mysteriöse Weise verschwunden, von hochrangigen Beamten des chinesischen Außenministeriums bis hin zu einem chinesischen Tennisstar, die einen CCP-Funktionär des sexuellen Missbrauchs beschuldigte und seitdem verschwunden ist. Hinzu kommt die Internierung Hunderttausender Uiguren in sogenannten Umerziehungslagern in Xinjiang, an der die chinesische Führung in absehbarer Zeit nichts zu ändern gedenkt.

Dr. Tobias Endler

Zusammen mit dem Krieg in der Ukraine, der „die Essenz des modernen russischen Kolonialunternehmens ist, das sich in Brutalität und Unmenschlichkeit ausdrückt“, sei dies „sicherlich eine düstere Situation, aber umso mehr ein Grund für Menschen, die an demokratische Werte und Schutzmechanismen glauben, diese noch entschlossener zu vertreten und zu verteidigen“, so Walker. Die Aufgabe bestehe darin, „nicht nur in guten Zeiten für diese Werte einzutreten, sondern noch mehr in schlechten Zeiten“. Ein Teil der Herausforderung bestehe heute darin, kreativere und innovativere Wege zu finden, „um mit den Menschen zusammenzuarbeiten, die in diesen Kämpfen an vorderster Front stehen“. Dazu gehören die Frauen im Iran, die für ihre Rechte kämpfen (und am Abend den M100 Media Award erhielten), die Menschen in China, die für eine andere Zukunft kämpfen, die Menschen in Russland, die gegen das Putin-Regime kämpfen, und natürlich die Menschen in der Ukraine, die nicht nur für ihre Existenz, sondern auch für die Existenz eines freien und liberalen Europas kämpfen.

In der anschließenden Diskussion wurden folgende Punkte angesprochen:

Beata Balogová

Braucht die liberale Demokratie ein neues Narrativ?
• Das Problem des Zweiparteiensystems in Demokratien: In Großbritannien und den USA habe dies in den letzten Jahren zu einem Rechtsruck und einer Polarisierung in beiden Ländern geführt. In den USA würde eine dritte Partei bei den Wahlen sogar Donald Trump stärken.
• Für uns sind die Begriffe Liberalismus und Demokratie nach wie vor eng miteinander verbunden, aber sie driften immer weiter auseinander. Einerseits verliert die Demokratie für viele Menschen an Glanz, andererseits wollen dieselben Menschen liberal leben, nach dem Motto: Ich will meine Chancen nutzen, meine Ideen verwirklichen und nach meinen Überzeugungen leben – aber mich nicht mit Politik belasten und Verantwortung für meine Umwelt, meine Gesellschaft und die Menschen darin übernehmen.
• Nicht nur Liberale sollten für ihre eigenen Werte einstehen, sondern auch europäische Institutionen wie die Europäische Union. Beispiel Victor Orban: Die Hauptakteure haben Orbans Narrativ inzwischen vollständig übernommen, während Orban die Visegrád-Gruppe kolonisiert, um sie als zersetzende Kraft in der EU zu nutzen. Obwohl die EU viele Möglichkeiten hat, Orban zu disziplinieren, nutzt sie diese aus verschiedenen Gründen nicht, unter anderem weil Deutschland Steuererleichterungen für Autohersteller in Ungarn erhält. Die EU behauptet, dass eine Bestrafung Orbans alle Ungarn bestrafen würde, aber in Wirklichkeit bestraft sie die ganze Region, und das Vertrauen in die europäische Institution als starke Verteidigerin der europäischen Werte schwindet. Wenn man seine eigenen Werte nicht verteidigt, wie kann man dann für andere attraktiv sein?
• Autoritarismus findet sich auch in sogenannten liberalen Demokratien. Es gibt genügend Beispiele für die Einschränkung der Versammlungs-, Presse- und Meinungsfreiheit, auch in Ländern wie Frankreich, Deutschland oder Großbritannien.
• Selbst in Deutschland gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die das chinesische Modell vergleichsweise attraktiv finden.
• China kauft sich in immer mehr kleinere Länder ein und bringt Ressourcen, Arbeitskräfte, Technologie, Medien und Propaganda mit, mit denen einzelne Demokratien nur schwer umgehen können. Deshalb brauchen demokratische Gesellschaften mehr gemeinsames und starkes kollektives Handeln und Einigkeit.

Herausforderungen durch Technologie und (Des-)Information
• Deutschland ist das Hauptziel russischer Desinformationsangriffe und nicht in der Lage, diese abzuwehren. Nach eineinhalb Jahren Krieg in der Ukraine zeigen Umfragen, wie stark sich das russische Narrativ in den sozialen Medien und in den Köpfen vieler Deutscher verankert hat. RT ist zwar offiziell sanktioniert, kooperiert aber weiterhin mit anderen Plattformen und verbreitet seine Propaganda, ebenso wie Ruptly, das sogar noch ein Büro in Berlin hat. Es ist bemerkenswert, dass Deutschland im Rahmen einer hybriden Kriegsführung erfolgreich angegriffen wird.
• Wir rufen dazu auf, eine größere Allianz zu bilden, um diese Angriffe abzuwehren und unsere Werte innerhalb unserer Grenzen zu verteidigen. Finnland hat gerade eine Allianz aus Sicherheitsbehörden, Regierung, Medien, Journalisten und Vertretern der Zivilgesellschaft gebildet und damit eine gesamtgesellschaftliche Bewegung geschaffen, die sich gegen russische Desinformation und Meinungsunterwanderung wehrt.
• Ein entschiedeneres Vorgehen Deutschlands gegen russische Desinformation wäre auch ein wichtiges Signal nach Osteuropa. Denn wenn Deutschland zu schwach ist, sich gegen russische Desinformation zu wehren, wie sollen es dann die kleineren osteuropäischen Länder schaffen? Die Medienschaffenden in Deutschland sollten gemeinsam daran arbeiten, unseren Informationsraum freizuhalten und die Fälschungen zu entlarven, die täglich auf unsere Gesellschaft einprasseln.
• Wenn wir den großen Tech-Unternehmen und den neuen Technologien keine Standards und Grenzen setzen, werden es die Autokratien sein, die sie nutzen, um Demokratien und offene Gesellschaften weiter zu untergraben.
• Trotz der vielen Unterschiede zwischen Ländern, Kulturen und Perspektiven sollten demokratische Gesellschaften – und auch Journalisten – versuchen, den größten gemeinsamen Nenner zu finden, um Demokratie, Meinungs- und Gedankenfreiheit zu verteidigen und Autoritarismus und Diktatur abzuwehren.

C. Walker, A-Föderl-Schmid, J. Wilton

Die Medien und der Zustand der Demokratie
• Wir müssen die Zivilgesellschaft und die demokratischen Institutionen stärken, insbesondere die vierte Gewalt, die Medien.
• China gibt 6,6 Milliarden für Medien außerhalb Chinas aus. Russland hat 1,5 Milliarden für die Beeinflussung der Medien außerhalb Russlands ausgegeben, Katar gibt derzeit 5 Milliarden pro Jahr für die Beeinflussung der Medien außerhalb des Landes aus. Die gesamte OECD gibt 500 Millionen pro Jahr aus. Wenn die Medien nicht finanziert werden, sterben sie aus, die vierte Gewalt wird geschwächt und die Autokratie breitet sich aus. Allein in Großbritannien sind in den letzten 15 Jahren mehr als 250 Zeitungstitel für immer verschwunden. Die OECD und die demokratischen Mächte sollten mehr tun und konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Demokratie zu verteidigen und Desinformation zu bekämpfen.
• Funktionierende Medien stehen in direktem Zusammenhang mit dem Zustand der Demokratie in den Ländern. Es ist sehr wichtig, dass die Länder über gute und gesunde Medien und hohe professionelle Standards verfügen, insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Es ist traurig zu sehen, wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in vielen europäischen Ländern unter politischem und finanziellem Druck stehen.
• Der Journalismus und die Medienunternehmen können dem Phänomen der Polarisierung besser entgegenwirken, indem sie ihre Arbeit transparenter und vielfältiger gestalten und mehr Zeit darauf verwenden, zu erklären, was Demokratie ist, anstatt sich nur auf Sentimentalitäten in einer Art Wettbewerb und Kampagnen zu konzentrieren.

M100 YOUNG EUROPEAN JOURNALISTS WORKSHOP
REPORTING ON CLIMATE CHANGE

Im Anschluss stellten die 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des M100 Young European Journalists Workshop die Erkenntnisse aus dem zuvor stattgefundenen viertägigen Workshop vor. Die jungen Journalisten hatten über Klimaberichterstattung in vier europäischen Regionen recherchiert: Den Kaukasus, den Balkan, Südeuropa und Westeuropa. Sie betonten, dass es wichtig sei, sich vor Augen zu halten, dass Demokratien unterschiedlich seien und zum Teil anders funktionieren. Verschiedene Länder, verschiedene politische Systeme, aber in allen spielen die Medien eine entscheidende Rolle. Die Teilnehmer sagten, dass die Medien in den letzten Jahren die Menschen im Stich gelassen hätten. Und obwohl die meisten selbst für Medien arbeiten, wollten die jungen Journalisten bei der Präsentation auch die Stimme des Volkes repräsentieren und ihre Anliegen vortragen.
Zu Beginn baten sie die Colloquiums-TeilnehmerInnen, unter einem QR-Code einzugeben, was für sie die größte Herausforderung für die Klimaberichterstattung im Newsroom sei. Zu den Antworten gehörten unter anderem: fehlende Finanzierung, hohe Komplexität, Greenwashing, Korruption, Kriminalität, fehlende Ressourcen und fehlende Ausbildung. Eine weitere Umfrage ergab, dass von allen Journalisten am Tisch nur drei angaben, die Klimakrise auch Krise zu nennen – die anderen nennen sie Klimawandel. Für die jungen Journalisten war das erstaunlich, da sie selbst die Klimaveränderungen als Krise begreifen.

In unterschiedlichen Gruppen stellten sie im Folgenden die Ergebnisse ihrer Recherchen vor:
1. Kaukasus am Beispiel Georgien
Georgien hat vor allem ein Demokratieproblem. Und viele Medien berichten nicht unabhängig. Den unabhängigen Medien und Bürgern fehlt es vor allem am Zugang zu unvoreingenommenen Informationen, was sich auf das Funktionieren einer gesunden Demokratie auswirke.
2. Balkan am Beispiel Türkei
In der Türkei sei vor allem der Kampf zwischen Online-Medien um die meisten Klicks problematisch, um mehr Reichweite und damit mehr Werbekunden zu gewinnen. Themen werden nicht sachlich behandelt, sondern aufgebauscht und hysterisiert. Das ist auch im Bereich Klimaberichterstattung ein Problem, weil nicht aufgeklärt, sondern Klimaangst geschürt werde. Die düsteren übertriebenen Schlagzeilen sollen Aufmerksamkeit er- und zum Klicken anregen, machen das Publikum aber vor allem deprimiert und lethargisch und führen zur Polarisierung in der Gesellschaft. Bei dieser Art von Weltuntergangsjournalismus wenden sich die Menschen von den Medien ab. Sie haben keine Kapazitäten, um mit dieser Art von Nachrichten umzugehen.
3. Südeuropa am Beispiel Italien
Die Mittelmeerregion ist ein Hotspot des Klimawandels, die Temperaturen steigen schneller als an anderen Orten in Europa, und diesen Sommer wurden alle Länder Südeuropas von Hitzewellen und Waldbränden heimgesucht. Trotzdem würden sich die Medien der Herausforderung nicht stellen. Es werde nur über die Ereignisse berichtet, aber nicht über die Gründe dafür. Die Medien konzentrierten sich auf die menschliche Tragödie, ignorieren aber den wissenschaftlichen Aspekt. In Italien seien Fehlinformationen, die Verbreitung und Zitierung falscher Studien und die Klimaleugnung ein großes Problem.
4. Westeuropa am Beispiel Frankreich
In Frankreich sei es ähnlich wie in Italien. Selbst Frankreichs größte Tageszeitung „Le Monde“ berichtete 2022 zwar über die vielen großen Waldbrände, brachte sie aber in keinen Zusammenhang mit dem Klimawandel.
Die Kritik der Nachwuchsjournalisten: Zwar würden immer mehr Medien Ereignisse mit dem Klimawandel in Verbindung bringen, die meiste Berichterstattung fokussiere jedoch auf das Extrem des Ereignisses und nicht auf seine Verbindungen zum Klimawandel. Das sei auch in Deutschland nicht anders.
Der Run um Aufmerksamkeit und Klicks, so das Fazit der internationalen Gruppe, stehe bei der Berichterstattung über den Klimawandel meist im Vordergrund. Zudem stellen Journalisten oft keine Verbindung zwischen Naturkatastrophen – Waldbränden, Überschwemmungen, Tornados – und dem Klimawandel her, sondern berichten allein über das Ereignis als Katastrophe. Bezüglich Klimawandel stecke der Journalismus offenbar noch in den Kinderschuhen. Er stellt den Journalismus auf die Probe und zwingt die Branche, über sich selbst nachzudenken und sich zu ändern.

Lösungsvorschläge:
• Engerer, intensiver Austausch zwischen Redaktionen über Auswirkungen von Geschichten über den Klimawandel, sowohl in gesellschaftspolitischer Sicht (hat sich etwas in der Gesellschaft oder an den Entscheidungen politischer Entscheidungsträger geändert?), als auch in finanzieller (wurden mehr Abonnements verkauft, mehr Leser angezogen?)
• Die Berichterstattung über den Klimawandel zu einem Teil des journalistischen Geschäftsmodells machen
• Integration des Themas in allen Ressorts
•  Aneignen wissenschaftlicher Kompetenz, Weiterbildungen in den Redaktionen, Teilnahme an Workshops und Seminaren
•  Wissenschaft für alle verständlich erklären
•  Nicht mehr tun, sondern was man macht, besser machen
•  konstruktiver, lösungsorientierter Journalismus. Weg von der Schwarzmalerei, hin zu einer pro-aktiven Berichterstattung.

Videointerview mit Veronia Gennari und Mariam Kukhilava

Dazu zwei Beispiele:
1. Konkret statt abstrakt
Um den Klimawandel greifbarer zu machen, bietet die deutsche Wochenzeitung Die Zeit eine Art Klimawandel-Rechner an (Paywall). Man kann zum Beispiel berechnen, wie die Welt aussehen wird, wenn man 65 Jahre alt ist oder den CO2-Abdruck seiner Urlaubsreisen. So wird der Klimawandel zu einem sogenannten „Ich-Thema“ gemacht und von einer abstrakten auf die private Ebene verlagert.
2. Bündelung von Kräften
Zum Beispiel das internationale Netzwerk für Lösungsjournalismus, das im Zusammenhang mit dem Klimawandel um einen globalen Wandel im Journalismus erreichen möchte.

Hier finden Sie eine umfangreiche Zusammenfassung des M100YEJ Workshops.

PARALLEL STRATEGIC WORKING GROUPS
Nach dem Lunch teilten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in vier Strategische Working Groups auf, die sie bereits bei ihrer Zusage zur Konferenz auswählen konnten. Folgende Themen wurden diskutiert:

I. The new global divide: Regaining trust for democracy
II. Whole and free? Reenergizing EU enlargement
III. Technically obsolete? Journalism and Democracy in the Age of AI
(Diese Strategische Working Group wurde von der Alfred Herrhausen Gesellschaft gehostet)
IV. Democratic defence: Trends, challenges and side-effects of the fight against disinformation

Die einzelnen Strategic Working Groups wurden durch kurze Impulse eingeleitet und fanden unter Chatham House Rules statt. Die Ergebnisse wurden am Ende der Konferenz von den Moderatoren und Moderatorinnen der Arbeitsgruppen präsentiert (Ergebnisse siehe unten).

Videointerview mit Dr. Gregor Peter Schmitz

PLENARY ROUNDTABLE II
The new (far-right) normal: Are journalists to blame for democracy’s discontent?
Input: Dr. Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur STERN, Deutschland
Input: Dr. Edit Zgut-Przybylska, Gastdozentin CEU Democracy Institute, Ungarn
Moderation: Anja Wehler-Schöck, Ressortleiterin Internationale Politik, Der Tagesspiegel, Deutschland
„Die neue (rechtsextreme) Normalität“ und ob der Journalismus „Schuld an der Unzufriedenheit an der Demokratie“ habe, lautete die Frage von Plenary Roundtable II, zu dem sich alle TeilnehmerInnen wieder am langen Tisch einfanden. Dazu befragte Anja Wehler-Schöck erst Dr. Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur des Magazins STERN, der im Juni 2023 die umstrittene Entscheidung getroffen hatte, ein Interview mit AfD-Chefin Alice Weidel auf das Titelblatt zu setzen. Das hatte eine hitzige Diskussion darüber ausgelöst, ob der Stern damit zu einer weiteren Popularität der AfD beigetragen habe und ob Medien eine Partei wie die AfD beachten oder ignorieren sollten.
Da die AfD eine demokratisch gewählte Partei sei und Weidel zudem ihr Interesse an einer Kanzlerkandidatur geäußert hatte, so Schmitz, sei es legitim und notwendig, sich dem Thema und der Person zu widmen, nach dem Motto: „Das Sonnenlicht ist manchmal die beste Desinfektion“. Aber natürlich gäbe es auch eine rote Linie, die er nicht überschreiten würde, er würde zum Beispiel nie jemandem publizistischen Raum geben, der den Holocaust leugnet.

A. Wehler-Schöck, Edit Zgut-Przybylska

Dr. Edit Zgut-Przybylska, die aus Ungarn kommt, in Polen lebt und seit Jahren zum Thema Demokratie forscht, merkte an, dass die Vereinnahmung der Medien der Dreh- und Angelpunkt sei, wenn es um demokratische Rückschritte in Mittelosteuropa gehe. Balázs Orbán, politischer Direktor von Ungarns Ministerpräsident Victor Orbán, sagte vor einigen Wochen. „Wer auch immer die Medien kontrolliert, kontrolliert die Mentalität des Landes und damit auch das Land selbst.“
Das Ergebnis sei, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Ungarn und Polen ausschließlich Staatspropaganda verbreitet. Unabhängige Medien gibt es kaum, da es äußerst schwer ist, sich unter diesen Bedingungen, zu denen auch Repressionen und Verhaftungen zählen, zu finanzieren. In Polen, in dem am 15. Oktober Parlamentswahlen stattfinden, wird vor allem verbreitet, dass Oppositionsführer Donald Tusk zusammen mit Deutschland und Russland versuche, den Willen des polnischen Volkes und seine Souveränität zu untergraben. In Ungarn konzentriert sich die Diskussion darauf, dass die Ukraine kein echtes Land sei und wie die Sanktionen gegen Russland sowohl Ungarn als auch die Europäische Union zerstören. Edit Zgut-Przybylska kritisierte, dass all das seit 13 Jahren mit Steuergeldern der EU und unter den Augen der EU passierte, ohne dass nennenswerte Verfahren eingeleitet werden.
„Die EU steckt in einer Schleife mit informeller Macht in Polen und Ungarn fest“, so Edit Zgut-Przybylska. Die Europäische Kommission müsse ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, um die Politisierung des Medieneigentums und den Missbrauch staatlicher Werbung zu unterbinden. (Lesen Sie hier ihren kürzlich dazu veröffentlichten Text The EU Is Letting Hungary and Poland Erode Democracy).

Gregor Peter Schmitz sieht auch in der deutschen Debatte einen wachsenden Druck auf die Medien. Durch die zahlreichen Krisen der vergangenen Jahre gäbe es sehr viele Ressentiments gegenüber den Medien, die er so vor ein paar Jahren nicht vorhergesehen hätte. „Man kann die Berichterstattung der letzten Jahre sehr kritisch sehen“, so Schmitz. „Wir als Medien waren lange Zeit zu zögerlich, einige Aspekte der Corona-Politik zu kritisieren, und wir haben Merkels Migrationspolitik anfangs zu sehr unterstützt.“ Die Art, wie Medien jetzt frontal angegriffen werden, sei jedoch eine sehr beunruhigende Entwicklung.

In Ungarn und Polen beginnen immer mehr unabhängige Plattformen, sich direkt an ihr Publikum zu wenden, um es für eine finanzielle Unterstützung zu gewinnen. Crowdfunding ist sehr populär, um die journalistischen Prinzipien und die Bereitstellung von unabhängigen Nachrichten und faktenbasierten Informationen aufrechtzuerhalten.
2. In der Gesellschaft besteht eine größere Nachfrage nach Zugang zu Informationen, und die Menschen sind bereit, für ihre Arbeit zu zahlen und einen Beitrag zu leisten. Leider werden diese Bemühungen durch mehrere Wirtschaftskrisen untergraben. Und immer mehr Redakteure sind besorgt, dass dieses Geschäftsmodell nicht nachhaltig ist. Wir müssen uns alternative Ideen einfallen lassen, zum Beispiel Stiftungen gründen.
3. Einige lokale Online-Medien haben begonnen, zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Strategien zu entwickeln, wie sie überleben, sich finanzieren und widerstandsfähiger werden können. Eine Einmischung in die redaktionelle Arbeit der anderen finde nicht statt.
4. Mehr sektorübergreifende Zusammenarbeit mit Hochschulen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien, um die Lügen der Regierung in den sozialen Medien, dem öffentlichen Fernsehen und 80 % der Medien zu durchschauen.

In den USA haben laut einer Umfrage 64 % der Amerikaner kein Vertrauen in die Medien. Einige große Medienunternehmen haben Donald Trump extrem auf seinem Weg in die Präsidentschaft unterstützt. Auch in Großbritannien haben Teile der Medien eine große Rolle gespielt, um Stimmung für einen Brexit zu machen.
In Deutschland ist das noch nicht der Fall. Kein sogenanntes Mainstream-Medium unterstützt bisher die AfD. Dennoch steht die Frage im Raum, wann der erste Dominostein fällt und traditionelle Medien beginnen, die AfD zu unterstützen, und wann der Staat in die Hände dieser Partei fällt.

Videointerview mit Can Dündar

Welche Rolle spielen also die Medien beim gesellschaftlichen Rechtsruck, wieviel Schuld haben sie an der Unzufriedenheit mit der Demokratie, und wie sollten sie mit extremen Parteien umgehen? Darauf antwortete der türkische Journalist Dr. Can Dündar, Chefredakteur der deutsch-türkischen Nachrichtenplattform Özgürüz und seit 2016 im deutschen Exil, mit einer eindringlichen Warnung: „Auch wir haben vor 20 Jahren in der Türkei diskutiert, ob wir den radikalen Islamisten eine Plattform als Teil der Gesellschaft geben sollten. Einige sagten nein, weil diese Leute versuchen, unsere Demokratie zu zerstören. Aber andere sagten, das sei die Kraft der Demokratie, wenn sie in der demokratischen Sphäre sind, müssen wir ihnen eine Plattform geben. Und hier sind wir nun, 20 Jahre später. Ich bin im Exil, wir haben alle Medien an die radikalen Islamisten verloren, die in der Türkei niemandem eine Plattform geben, der anders denkt als sie. Ich denke, wir brauchen eine Art Unterscheidung zwischen echten Demokratien und schwachen Demokratien, denn ohne demokratische Institutionen, unabhängige Medien und unabhängige Traditionen sind diese Länder nicht stark genug, um die Demokratie zu verteidigen. Und in Ermangelung dieser Macht können die Radikalisten leider leicht die Macht ergreifen und den demokratischen Prozess zerstören.“

PLENARY ROUNDTABLE III
The path ahead: Recommendations
Präsentation der Ergebnisse der Arbeitsgruppen und Abschluss der Konferenz
Beim abschließenden Plenary Roundtable wurden die Ergebnisse aus den Strategic Working Groups kurz zusammengefasst und Empfehlungen für weitere notwendige Schritte und Maßnahmen formuliert. Ziel war es, praktische Wege, Strategien und Ideen zu entwickeln, die uns helfen, uns an die komplexen und schwierigen Realitäten unserer Zeit anzupassen.

Videointerview mit Tamar Kintsurashvili

IV. Democratic defence: Trends, challenges and side-effects of the fight against disinformation
Input: Tamar Kintsurashvili, Gründerin und Direktorin MDF, Georgien
Input: Monika Garbačiauskaitė-Budrienė, Generaldirektorin des Nationalen Rundfunks und Fernsehens (LRT), Litauen
Input: Nishant Lalwani, Geschäftsführer des International Fund for Public Interest Media IFPIM, Großbritannien
Moderation: Prof. Dr. Alexandra Borchardt, leitende Journalistin, Autorin, Dozentin, Medienberaterin, M100-Beirätin, Deutschland

Ausgangslage:
• Die Entlarvung von Desinformation ist nur die Spitze des Eisbergs, wir brauchen ein gesundes Medienökosystem, was auch ein gesundes öffentlich-rechtliches Medienökosystem bedeutet.
• Propaganda wird meist von politischen Akteuren verbreitet. Es ist also nicht allein die Aufgabe des Journalismus, Desinformation zu bekämpfen, sondern auch der Politik.
• Die Themen s

Videointerview mit Monika Garbačiauskaitė-Budrienė

pielen keine Rolle, wenn es darum geht, welche Art von Desinformation verbreitet wird. Sie sind mehr emotional als sachlich motiviert. Es geht darum, Emotionen anzusprechen, Angst zu machen und diese Ängste zu instrumentalisieren, z.B. die Angst vor einem Krieg.
• Zu wenig Investitionen in journalistische Innovation. Wenn es genügend qualitativ hochwertigen und innovativen Journalismus gäbe, der die Öffentlichkeit und auch junge Menschen wirklich erreicht, dann hätten wir kein so großes Problem mit Desinformation.
• Wir haben den Kampf gegen Desinformation seit so vielen Jahren im Visier, aber es gibt keine Reflexion darüber, was im Kampf gegen Desinformation funktioniert und was nicht. Künstliche Intelligenz mache alles noch schlimmer.
• Wahrhaftige Information ist ein Menschenrecht!

Vorschläge:
• Mehr Investitionen in investigativen Journalismus vor Ort.
• Geber, die in Qualitätsjournalismus investieren, sollten dies nicht allein tun, sondern zusammenarbeiten, um mehr Qualitätsjournalismus vor Ort zu erreichen.
• Qualitätsinformationen verbreiten. Mit Influencern zusammenarbeiten. Das Weiße Haus hat jetzt einen Presseraum für Influencer eingerichtet. Es ist wichtig, so viele Menschen wie möglich

Nishant Lalwani

mit Qualitätsinformationen zu erreichen.
• Öffentlich-rechtliche und kommerzielle Medien sollten ihre Rivalität beenden und sich gemeinsam für Qualitätsjournalismus einsetzen.
• Wir müssen dorthin gehen, wo die verschiedenen Zielgruppen sind, was auch bedeutet die große Herausforderung bedeutet, Nachrichten in verschiedenen Sprachen anzubieten.

Videointerview mit Sven Gösmann

III. Technically obsolete? Journalism and democracy in the age of AI
Die Arbeitsgruppe wurde von der Alfred Herrhausen Gesellschaft gehostet
Input: Sven Gösmann, Chefredakteur dpa, Deutschland
Input: Prof. Dr. Gerard de Melo, Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz und Intelligente Systeme, Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering, Deutschland
Moderation: Antonia Marx, Senior Projektmanagerin, Alfred Herrhausen Gesellschaft, Deutschland

Keypoints:
• Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die Prozesse und Arbeitsabläufe von Nachrichtenorganisationen zu beeinflussen und ist damit der Schlüssel zu einer tiefgreifenden Veränderung der Zukunft des Journalismus.
• KI kann und wird sich nicht nur auf die Erstellung von Inhalten auswirken, sondern auch auf deren Verbreitung und hat erhebliche Auswirkungen auf die Vertriebs- und Einnahmeseite von Nachrichtenorganisationen.
• KI kann die Qualität und den kreativen Wert des Journalismus verbessern, indem sie Ressourcen freisetzt.
• Viele Nachrichtenredaktionen experimentieren bereits mit KI. Der Journalismus kann vom Potenzial der KI bei der Erstellung und Verbreitung von Inhalten profitieren, indem Ressourcen für einen tiefer gehenden Journalismus freigesetzt werden. Wie ein Teilnehmer bemerkte: „KI macht die langweiligen Dinge“.
• Qualitätsjournalismus ist im Zeitalter der Desinformation umso wichtiger.
• So vorteilhaft KI für den Journalismus auch sein mag, sie kann auch dazu genutzt werden, mehr Fehlinformationen zu produzieren und zu verbreiten. Dies macht die Rolle des Journalismus als vertrauenswürdige Informationsquelle noch wichtiger.

Prof. Dr. Gerard de Melo

• KI stellt das Geschäftsmodell des Journalismus in Frage.
• KI generiert ihre Inhalte aus vorhandenen Informationen im Internet. Das wirft Fragen nach den Eigentumsverhältnissen und dem Geschäftsmodell des Journalismus auf: Sollen Redaktionen ihre Inhalte für KI-Anwendungen zur Verfügung stellen? Und wenn sie ihre Inhalte sperren, welche Folgen hat das? Eine der größten Befürchtungen ist, dass qualitativ hochwertige und vertrauenswürdige Inhalte exklusiver werden und die Wissenskluft in der Gesellschaft wächst.

Fazit:
Müssen wir Angst vor KI haben? Oder überwiegen die Vorteile von KI die Risiken? Die Technologie der KI existiert bereits und wird auf jeden Fall eingesetzt werden. Es geht weniger darum, Angst vor KI zu haben, als vielmehr darum, sich bewusst zu machen, wie diese Technologie missbraucht werden kann, um Schaden anzurichten. Kooperation und Zusammenarbeit zwischen Journalismus und Technologieplattformen könnten eine Lösung sein, um den Missbrauch von KI zu verhindern, ebenso wie (Selbst-)Regulierung – und Bildung und Aufklärung.
Brechen wir die Monopole und bauen wir Kooperationen auf!

Videointerview mit Wolfgang Ischinger

II. Whole and free? Reenergizing EU enlargement
Input: Prof. Dr. Wolfgang Ischinger, ehemaliger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, M100-Beirat, Deutschland
Input: Agnieszka Romaszewska-Guzy, Direktorin Belsat TV, Polen
Moderation: Anja Wehler-Schöck, Ressortleiterin Internationale Politik, Der Tagesspiegel, Deutschland

Status quo:
• Zurzeit gibt es eine Reihe von Ländern, die darauf warten, Beitrittskandidaten zu werden, oder die bereits Kandidaten sind und darauf warten, dass der Beitrittsprozess weitergeht: die Ukraine, Moldawien, Georgien sowie die Länder des westlichen Balkans, die langsam ungeduldig werden. Zitat: „Das Wartezimmer ist ziemlich voll“.
• Es stellt sich die Frage, wie schnell und in welche Richtung der EU-Erweiterungsprozess weitergehen kann. Die Vision sei die EU 30, aber wann und wie wurde in der Runde heftig diskutiert.
• Mögliche Hindernisse: Die Erweiterung kann nur funktionieren, wenn es einen Konsens zwischen allen Mitgliedern gibt.
• Im Falle eines EU-Beitritts der Ukraine müssten alle Mitglieder akzeptieren, dass sie zu Nettozahlern werden, auch Länder in Mittelosteuropa, die bislang vor allem von EU-Mitteln profitieren, was auf jene erhebliche finanzielle Auswirkungen habe.

Wie kommen wir dahin:
• Nutzen des historischen Momentums.
• Mehr kreatives Denken beim Thema EU-Erweiterung als bisher und nicht so strikt sagen „entweder ihr seid dabei oder ihr seid nicht dabei“, sondern Wege finden, während des Beitrittsprozesses z.B. die Außenminister der Partnerländer in den Ministerrat einzuladen oder andere Wege der Zusammenarbeit zu finden, die wir im Moment nicht gehen, und Partnerschaftsmodelle implementieren.
• Diskussion über die Kopenhagener Kriterien (Wahrung der Menschenrechte, Institutionelle Stabilität, Demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung, Achtung und Schutz von

Agnieszka Romaszewska-Guzy

Minderheiten), was ohne Vertragsänderung möglich wäre.
• Umgang mit problematischem Verhalten, das gegen EU-Standards verstößt, wie derzeit in Polen oder Ungarn: Anreize statt Sanktionen, um die Kluft nicht weiter zu vertiefen.
• Beitrittsprozesse für Reformen nutzen, wie in Ländern wie der Ukraine oder Georgien, um sehr intensiv an den Reformen zu arbeiten, die notwendig sind, um das Ziel zu erreichen.

I. The new global divide: Regaining trust for democracy
Input: Saad Mohseni, Ko-Gründer und Vorsitzender MOBY Group, Afghanistan
Input: Dr. George N. Tzogopoulos, Dozent und Senior Fellow CIFE | European Institute Nizza, Griechenland
Moderation: Dr. Ali Fathollah-Nejad, Direktor CMEG, Deutschland

Videointerview mit Saad Mohseni

Keypoints:

• In der Diskussion wurde die Eröffnungsrede von Pankaj Mishra noch einmal aufgegriffen. Einerseits müsse die westliche „Scheinheiligkeit“ in Bezug auf den Globalen Süden thematisiert und kritisiert werden, gleichzeitig dürfe die Tyranneien in großen Teilen des Globalen Südens nicht außer Acht gelassen werden.
• Die Diskussion über das Vertrauen in die Demokratie in der Welt wird weitgehend mit dem „Globalen Süden“ in Verbindung gebracht. Es ist daher wichtig, zu verstehen, was dieser Begriff bedeutet, seine historische Verwendung (zuerst durch Willy Brandt) zu untersuchen und die Prioritäten der Länder des „Globalen Südens“ durch ihr eigenes Prisma zu verstehen.
• Der Westen kann nur dann Vertrauen zurückgewinnen, wenn er seine Werte verteidigt und seine immer noch weit verbreitete Hypokrisie beendet.
• Ein Wiedergewinnen des Vertrauens in Demokratie kann nur durch ein Ende der Doppelmoral und der Prinzipienlosigkeit in der internationalen Politik erreicht werden.
• Vor allem die Teilnehmer aus Europa betonten, dass wir unsere eigenen Demokratien verbessern und die Demokratien, die es noch gibt, entschlossener verteidigen müssen (siehe Polen, Ungarn oder Slowakei, dessen bevorstehende Parlamentswahlen erneut den russlandfreundlichen Populisten Robert Fico an die Macht bringen könnte).
• Aufstände für mehr Freiheit und Demokratie wie im Iran gegen die dortige Diktatur müssen unterstützt werden.
•  Es gäbe leider immer noch die westliche Tendenz, autoritäre Stabilität und autoritäre Ordnung zu bevorzugen. In den letzten Jahrzehnten habe sich diesbezüglich auf politischer Ebene leider nichts geändert.
• Der Westen muss sich vor allem um seine eigenen Probleme kümmern, wenn er als Leuchtturm für andere dienen will. Die Situation in den Vereinigten Staaten, insbesondere nach den Anschlägen auf das Capitol, hat die Dinge durcheinandergebracht. Aus europäischer Sicht ist der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen 2024 mit Sorge zu betrachten.

Dr. George Tzogopoulos

• Während sich die Debatte über die neue globale Kluft und die Bedeutung der Demokratie weiterentwickelt, ist es sehr positiv, dass die USA und die EU ihre Synergien verstärken. Ihre Zusammenarbeit im Rahmen des Rates für Handel und Technologie ist ein bemerkenswertes Beispiel. Dies gilt auch für die entsprechende Zusammenarbeit im Rahmen der G7.
• Die Betonung der Demokratie ist von entscheidender Bedeutung, aber diese Betonung sollte die Zusammenarbeit mit Nicht-Demokratien nicht ausschließen, um gemeinsame Ziele wie die Bekämpfung des Terrorismus und die Bewältigung des Klimawandels zu erreichen. Dies erfordert politisches Geschick, um die Demokratie zu schützen und gleichzeitig zu Stabilität und Wohlstand in der Welt beizutragen.

FAZIT

Dr. Leonard Novy

„Wenn wir eines aus den vergangenen zwei Jahrzehnten gelernt haben, dann, dass das demokratische Versprechen kein Selbstzweck ist und schon gar nicht, wie wir jetzt wissen, das Ende der Geschichte“, fasste Dr. Leonard Novy die Konferenz zusammen. „Es bedarf der ständigen Erneuerung und des ständigen Engagements, und das tun wir hier mit und bei M100. Denn es gibt kein Engagement ohne Meinungsaustausch und Dialog auf internationaler Ebene.“

 

 

M100 MEDIA AWARD
Jasmin Tabatabai, Mersedeh Shahinkar, Shima Babaei, Ursula von der Leyen, Mike Schubert, Düzen Tekkal

Im Anschluss an die Konferenz fand die Verleihung des M100 Media Award and die Women, Life, Freedom Bewegung im Iran statt. Die Auszeichnung wurde von der iranischen Frauenrechtlerin Shima Babaei entgegengenommen.
Die Laudatio hielt Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.
Politische Statements: Mersedeh Shahinkar, iranische Aktivistin im Exil | Jasmin Tabatabai, deutsch-iranische Schauspielerin und Musikerin | Düzen Tekkal, Journalistin, Menschenrechtsaktivistin, Gründerin von HÁWAR.help.
Die Zusammanfassung sowie alle Reden der Preisverleihung in schriftlicher Form finden Sie hier.
Die Aufzeichnung des Livestreams der Preisverleihung finden Sie hier.

 

Ein herzliches Dankeschön an unsere Förderer, Sponsoren und Partner!

M100SC: Landeshauptstadt Potsdam, Medienboard Berlin-Brandenburg, Auswärtiges Amt, Deutsche Postcode Lotterie, Alfred Herrhausen Gesellschaft, Institut für Medien- und Kommunikationspolitik, Agentur Medienlabor, BFB, AFP, MVFP, Reporter ohne Grenzen, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
M100YEJ: Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Journalismfund Europe.