Ministerpräsident
Land Brandenburg
Bereits zum 7. Mal hat die Landeshauptstadt Potsdam zusammen mit dem Verein Potsdam Media International e.V. Chefredakteure und Medienmacher in die historischen Schlösser und Gärten von Sanssouci geladen, zur internationalen Medienkonferenz M100. Das Land Brandenburg ist stolz, dass sich dieses renommierte Medienereignis in Potsdam etabliert hat und dass Jahr für Jahr die Spitzen der deutschen und internationalen Medienlandschaft gern nach Potsdam kommen.
Meine Anerkennung gilt Ihnen dafür, dass Sie sich von dem prachtvollen historischen Ambiente nicht thematisch verführen lassen, sondern mit der Agenda Ihres Colloquiums nah am Puls der Zeit bleiben.
Das Thema der diesjährigen Konferenz lautet „Globale Demokratie – Triumph der sozialen Netzwerke?“ Meine Damen und Herren, verbale Zuspitzungen sind ein probates Mittel der Medien, um die Aufmerksamkeit der Leser oder Hörer zu fesseln. Heute jedoch sind Sie, die Medienvertreter, unter sich. Dies bietet Raum für eine tiefergehende Analyse der sogenannten „Facebook-Revolution“. Dazu möchte ich Ihnen einige Denkanstöße meinerseits – quasi als thematischen Einstieg in die Materie – geben.
„Globale Demokratie“: ich denke, soweit sind wir noch lange nicht. Noch ist gar nicht sicher, in welche Richtung sich die Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika entwickeln werden. Zwar haben die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, der Kampf der Aufständischen in Libyen und die Proteste in Syrien die Hoffnung auf Selbstbestimmung in der Bevölkerung geweckt.
Nach Jahrzehnten der Unterdrückung wird aber nun klar: der Kampf um eine offene Gesellschaft und Menschenrechte hat erst begonnnen.
„Triumph der sozialen Netzwerke“: Meine Damen und Herren, Revolutionen werden immer noch von Menschen gemacht. Neue Medien können den Informationsfluss beschleunigen und den Zugang zu Informationen verbreitern. Aber ohne eine kritische Masse von Menschen, die gegen die herrschenden politischen, wirtschaftlichen und/oder sozialen Verhältnisse aufbegehren, würde es keine gesellschaftlichen Veränderungen geben.
Art und Schnelligkeit der Medien hat sich in den letzten 20 Jahren rasant verändert. Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Anekdote zur Rolle der Kommunikationsmittel bei der friedlichen Revolution 1989 in der DDR erzählen. Als im Februar 1990 anstelle des Runden Tisches eine „Regierung der nationalen Verantwortung“ unter Einbeziehung von Vertretern der Opposition gebildet werden sollte, erfuhr ich davon, als ich während einer Tagung im bayerischen Tutzing unvermittelt ans Telefon geholt wurde.
Ein Vertreter der GRÜNEN in Berlin fragte mich, ob ich nicht Minister werden könnte. Zwar gehörte ich der Grünen Liga an und nicht der Grünen Partei, aber einen eigenen Kandidaten hatte man offenbar so schnell nicht gefunden. „Hauptsache ein Grüner“, erklärte man mir.
Nebenbei: Ich druckste dennoch herum, bis ein westdeutscher Journalist, der das mitbekommen hatte, zu mir meinte: „Wissen Sie, im Westen arbeitet man 30 Jahre, bis man gefragt wird, ob man Minister werden will.“ Ich sagte zu. So oder so ähnlich begannen zu dieser Zeit viele politische Laufbahnen.
Dass die Grüne Partei mir als Mitglied einer anderen politischen Vereinigung einen ihr zustehenden Ministerposten anbot, erscheint aus heutiger Sicht merkwürdig. So war das damals – in den turbulenten Wochen. Und hätte man mich in Tutzing nicht ans Telefon bekommen, wäre ich wahrscheinlich nicht Minister geworden. Meine politische Karriere wäre sicher ganz anders verlaufen.
Telefone – zumal private – waren in der DDR selten. Über sie verfügten meist nur staatliche Funktionsträger oder Menschen, die aus beruflichen Gründen im Notfall schnell erreichbar sein mussten wie z. B. Ärzte. In oppositionellen Kreisen wurden Nachrichten oder Botschaften daher meist von Mund zu Mund weitergegeben. An Twitter, SMS oder Facebook-Aufrufe war nicht zu denken.
Und trotzdem verbreitete sich der Wunsch der Menschen nach Veränderung wie ein Lauffeuer. An den Montagsdemonstrationen in Leipzig nahmen am Anfang nur einige Hundert, innerhalb weniger Wochen Hunderttausende teil. Und die Demos fanden Nachahmer in vielen anderen Städten.
Ich sage dies als Illustration meiner These, dass der Wunsch nach Meinungsfreiheit, Menschenwürde und Gerechtigkeit sich an einem bestimmten Punkt der Zuspitzung der politischen Verhältnisse so oder so Bahn bricht.
Neue, schnelle, global vernetzte Medien können diesen Prozess beschleunigen und den Strom der Sympathisanten exponentiell verbreitern, und damit vielleicht eher zum Sturz eines Regimes beitragen. Alleiniger Auslöser können sie hingegen nicht sein.
Unser Blick sollte daher auf die Menschen gerichtet sein, die handeln, die sich nach Jahrzehnten der Unterdrückung, Entwürdigung und Entrechtung gegen ein System erheben. Wir haben allen Grund, den Mut der vor allem jungen Aufständischen im Nahen Osten und in Nordafrika zu würdigen.
Als ehemaliger Bürgerbewegter der ehemaligen DDR wünsche ich ihnen von Herzen viel Erfolg bei der Vollendung der Revolution und der Neugestaltung der politischen Ordnung in Ihren Ländern.
Das Beispiel der Solidarnosc-Bewegung in Polen zeigt, dass auch Rückschläge möglich sind. Am 13. Dezember 2011 wird Polen an die Niederschlagung der Solidarnosc-Bewegung und die Verhängung des Kriegszustandes vor 30 Jahren erinnern.
Das Beispiel Polen stimmt aber auch hoffnungsvoll, denn die Unterdrückung der Freiheitsbewegung dauerte nur kurze Zeit. Schon 1989 gingen wieder Millionen Menschen für die Beseitigung der herrschenden Verhältnisse auf die Straße. Sie hatten ein gemeinsames Ziel. Nachdem dies erreicht war, zeigte sich aber, wie unterschiedlich die Vorstellungen über die Ausgestaltung des Neuen, Kommenden waren.
Diesen Prozess zu gestalten und dabei möglichst viele Menschen mitzunehmen, nicht von Neuem Teile der Bevölkerung, seien es nun ethnische oder religiöse Minderheiten oder politisch Andersdenkende, auszugrenzen, das sind die Herausforderungen, vor denen jetzt auch Tunesier, Ägypter und Libyer stehen.
Hierbei und beim Aufbau einer unabhängigen Medienlandschaft kann und sollte Europa und die gesamte westliche Welt Unterstützung anbieten. Dabei sollte Europa aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daher kommen. Beraten ja, aber durch Darstellung der Stärken und Schwächen des eigenen Systems.
Ein Überstülpen fremder kulturell tradierter Werte und Traditionen wird nicht funktionieren. Auch darf man nicht aus dem Blick verlieren, dass die Menschen in Nordafrika vordringlich erstmal andere Sorgen haben werden als die Pressefreiheit. Zum Anderen gibt es in der Europäischen Union selbst durchaus Defizite.
So müssen potentielle EU-Mitgliedsstaaten zwar die Grundrechtecharta akzeptieren, sind sie aber erstmal Mitglied, genießen sie in Kulturfragen weitgehende Souveränität. Was z.B. nach der Verabschiedung der neuen Mediengesetze in Ungarn passiert, erfüllt mich mit großer Sorge.
Deshalb wäre ich bei der Beantwortung der Frage, ob Europa, die Europäische Union, ein Vorbild bei der Gestaltung der Pressefreiheit in Ägypten, Tunesien oder Libyen sein kann, zumindest vorsichtig.
Demokratie und Medien – seien es nun traditionelle oder neue – bilden keine unauflösliche Symbiose. Medien können auch von den autoritären Regimen instrumentalisiert werden, und China zeigt, wie man das Internet beschränkt. Und schließlich können Kommunikationsmittel auch abgehört, Informationen manipuliert werden.
Die heutige Konferenz hat das Ziel, die Vielschichtigkeit der Beziehungen zwischen der Gestaltung der politischen Ordnung und den Medien zu beleuchten. Dabei wünsche ich Ihnen anregende, erkenntnisreiche Gespräche. Bis zum nächsten Jahr im schönen Potsdam!