Laudatio Sebastian Kurz

Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Vitali Klitschko,
geschätzte Ehrengäste, allen voran Herr Präsident,

ich freue mich sehr, dass ich heute hier zu Gast sein darf, und es ist mir eine große Ehre, bei dieser Veranstaltung und insbesondere im Anschluss bei der 95er Feier von Lord Weidenfeld dabei sein zu dürfen. Insbesondere bei einer Feier eines 95. Geburtstages wird umso mehr bewusst, dass ich vielleicht noch relativ jung bin für mein Amt, kann aber sagen, dass es Gott sei Dank jeden Tag ein Stück weit besser wird, und für die vielleicht nicht so genauen Beobachter der österreichischen Politik darf ich auch gleich vorweg beruhigen, nicht alle Regierungsmitglieder in Österreich sind so jung wie ich es bin.

Wir haben heute hier ein sehr interessiertes und involviertes Publikum versammelt. Gleichzeitig ist uns wahrscheinlich allen bewusst, dass die Masse der Bevölkerung in Europa, insbesondere in Ländern wie Deutschland oder auch Österreich, durchaus etwas anders tickt. Wir leben in einer Zeit, in der sich immer weniger Menschen für Politik interessieren und in der immer weniger Menschen auch politisch mitmachen wollen, in der immer weniger Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, und viele sind sogar schon so weit, dass sie den Fernseher abdrehen, wenn ein Politiker herausschaut.
Und dennoch gibt es Momente, in denen alles anders ist, in denen  die Welt inne hält und jeder gespannt die Geschehnisse verfolgt. Ein solcher Moment war die Maidan-Bewegung.  Wir  haben alle mitgefiebert, wir waren alle schockiert aufgrund der hohen Opferzahlen. Wir waren beindruckt von der Stärke, die eine geschlossene Zivilgesellschaft entwickeln kann. Wir haben gesehen, dass es zwar bei uns teilweise viel Desinteresse gibt, dass es aber in anderen Teilen der Welt, in diesem Fall in der Ukraine, viele gibt, die sogar ihr Leben riskieren, um mitbestimmen zu können. Und wir haben auch erleben können, dass jeder einzelne die Möglichkeit hat, Veränderungen auszulösen.

Und gerade in solchen Momenten braucht es Persönlichkeiten, die entschlossen für ihre Werte eintreten, die ihre Ideale verfolgen und die gleichzeitig aber so besonnen agieren, dass sie versuchen, auch in schwierigen Situation zumindest die Opferzahlen so gering wie möglich zu halten. Die Maidan-Bewegung ist untrennbar mit Vitali Klitschko verbunden, und wir kennen zu Recht alle die Bilder, die um die Welt gingen, als er, krank und bei Minusgraden, versucht hat, die Demonstranten und die Polizeikräfte mit großen mächtigen Armen irgendwie auseinander zu halten.
Es war aber nicht nur das Bild, das um die Welt gegangen ist, es war auch Vitali Klitschko selbst, der ganz bewusst Termine wahrgenommen hat und bei der Münchner Sicherheitskonferenz nicht nur mich, sondern viele durchaus auch erfahrenere Außenminister beeindruckt hat mit seinem Kampf für Freiheit, Demokratie und mit seiner Entschlossenheit.
Er hat uns allen gezeigt, dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeit sind, und er hat Entschlossenheit bewiesen im Kampf gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit. Und gleichzeitig, obwohl er irrsinnig entschlossen und kampfeslustig unterwegs war, war er einer, der in entscheidenden Momenten stets das große Ganze im Blick gehabt hat und wahrscheinlich in einer ganz heiklen Phase etwas gemacht hat, was für viele Politiker ganz untypisch ist. Politiker machen selten einen Schritt auf die Seite und schon gar nicht zurück.  Als drohte, dass sich die pro-europäischen Kräfte zersplittern könnten, als die Präsidentschaftswahlen andstanden, war er derjenige, der einen Schritt zurück gemacht und Poroschenko den Vortritt gelassen hat. Und beide sind vom Wähler belohnt worden, du, Vitali, für deine Besonnenheit, und ich möchte dir an dieser Stelle ganz herzlich zur Wahl zum Bürgermeister von Kiew mit absoluter Mehrheit gratulieren.

Obwohl die Maidan-Bewegung erfolgreich war und starke Persönlichkeiten an die Spitze des Landes und der Stadt gewählt wurden, ist die Ukraine nun in einer Phase, wo sie vor unfassbaren Herausforderungen steht und wo auch keiner so genau einschätzen kann, wie sich die Lage in den nächsten Tagen und Wochen entwickeln wird.

Viele machen es sich jetzt leicht und sagen: man hätte das doch alles vorhersehen müssen. Sie geben der europäischen Union die Schuld und sagen, das wäre doch alles planbar und berechenbar gewesen. Aber wenn wir ehrlich zu uns sind, dann hat wahrscheinlich keiner von uns damit rechnen können, dass sich Janukowitsch nach dreijährigen Verhandlungen am Tag der Unterzeichnung weigert, das  Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Es hat wahrscheinlich keiner von uns vorhersagen können, dass die Maidan-Bewegung so stark ist, dass Janukowitsch das Land und das Amt verlassen muss, es hat keiner vorhersagen können, dass daraufhin die Russen die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durchführen, und es hat wahrscheinlich niemand voraussehen können, dass dann russische Soldaten im Osten der Ukraine tätig werden. Und insbesondere für meine Generation, die den Kalten Krieg nur aus Geschichtsbüchern kennt, die stets mit offenen Grenzen aufgewachsen ist, und für die das Zusammenrücken der Welt eigentlich etwas ganz Selbstverständliches ist, ist das ein unvorstellbares Szenario, dass da über uns alle hereingebrochen ist.

Es ist ein Szenario, dass nicht nur die Ukraine, sondern auch die Europäische Union fordert und wo klar sein muss, dass die Ukraine nicht zerfallen darf, dass die EU-Mitgliedstaaten auch in dieser schwierigen Situation nicht auseinanderfallen und sich spalten lassen dürfen, und zum Dritten: dass wir hoffentlich das Blockdenken, das derzeit wieder Hochkonjunktur hat, langfristig wieder dahin verbannen können, wo es hingehört, nämlich in die Geschichtsbücher.

Gerade jetzt braucht es, ähnlich wie schon auf der Maidan-Bewegung, Politiker, die entschlossen für Frieden, Freiheit und Demokratie einstehen und die gleichzeitig nie den Willen verlieren, auch Brücken zu bauen. Viele hier drinnen haben große Hoffnungen, dass du, Vitali, auch weiterhin einer dieser Politiker sein wirst, und ich bin überzeugt davon, dass viele hier dich auch auf diesem Weg dahin unterstützen wollen.

Lieber Vitali, am Ende einer Rede, eines Politikers, da gibt’s im Normalfall Applaus, üblicherweise 10 Prozent Applaus für den Inhalt und 90 Prozent aus Dankbarkeit, dass die Rede vorbei ist. In diesem Fall heute, glaube ich, dass es 100 Prozent Applaus für dich und deine Leistungen gibt, für deinen unermüdlichen Kampf für Frieden, Freiheit und Demokratie. Wir alle wünschen dir, dass du ihn mit  Besonnenheit fortsetzen kannst, dass du stets auch versuchen wirst, Brücken zu bauen, und wir gratulieren dir ganz herzlich zu diesem Preis. Alles Gute!