Potsdam, 27. Oktober 2019. Das M100 Sanssouci Colloquium (M100SC) zum Thema „From Pipedream to Reality – Democracy and the European public sphere“ fand am 17. September 2019 zum 15. Mal im Orangerieschloss statt. Rund 60 Chefredakteure, Politiker und Historiker diskutierten über die Zukunft der europäischen Öffentlichkeit, den Zustand der Pressefreiheit und Medieninnovation. Hier finden Sie die detaillierte Zusammenfassung der Ergebnisse und Redebeiträge der Medienkonferenz.
Session I: Between Amnesia and Hysteria – the State of the European public sphere
„Zwischen Amnesie und Hysterie – der Zustand der europäischen Öffentlichkeit“ war der Titel der Sitzung I, der darauf anspielt, dass viele Europäer heute die Daseinsberechtigung und die Gründungsmotive der EU vergessen haben. Gleichzeitig leben wir in Zeiten, in denen das politische Klima – national wie transnational – an Hysterie zu grenzen scheint (wie bei Brexit). Während man beobachten kann, dass Europa heute stärker als je zuvor in den Nachrichten vertreten ist, hinkt der öffentliche Diskurs in und über Europa den vollendeten Tatsachen europäischer Integration hinterher. Aus diesem Grund wurde in Session I über den Zustand der europäischen Öffentlichkeit und die Rolle der Medien bei der Wahrnehmung Europas diskutiert.
Zum Auftakt der Diskussion schlug Kalypso Nicolaïdis, Professorin für Internationale Beziehungen an der Universität Oxford, drei Dilemmata vor, die den aktuellen Zustand der europäischen Öffentlichkeit charakterisieren.
Das erste Dilemma beschreibt die Transformation der Demokratie durch Technologie und Transnationalisierung. Prof. Nicolaidis fordert die Medien auf, pädagogisch aktiv zu werden: Die Rolle der Medien bestehe darin, die neuen Transformationen sowie die verschiedenen Geschichten der verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten zu erklären, um gegenseitige Anerkennung und Verständnis über Grenzen hinweg zu fördern.
Beim zweiten Dilemma beobachtet Prof. Nicolaïdis eine allgemeine Ambivalenz zwischen Kooperation und Kontrolle. Nicola Sturgeon dient als aktuelles Beispiel, da sie die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union anstrebt und gleichzeitig die Kontrolle von London zurückerlangen will. Prof. Nicolaidis ruft daher die Medien auf, ihre moderierende Intuition zu vergrößern.
Beim dritten Dilemma weist sie darauf hin, dass in Demokratien Entscheidungen oft sehr kurzfristig getroffen werden, da langfristige Lösungen nur in sehr langwierigen Diskussionen mit zahlreichen Interessenskonflikten gefunden werden. Es sei ein großer Wettbewerbsvorteil für Europa, auch langfristige Lösungen und Orientierung zu bieten. Dabei sei es die Verantwortung der Medien, ihrer Rolle gerecht zu werden und dazu beizutragen, Europa in eine vorausschauende Demokratie zu verwandeln, indem sie verschiedene Perspektiven auf europäische Themen eröffnen.
Journalisten sind ihrer Meinung nach „Fußsoldaten“, die sich diesen drei Dilemmata stellen müssen und dabei für die Gestaltung der europäischen Öffentlichkeit verantwortlich sind.
Im Anschluss stellte Claes de Vreese, Professor für politische Kommunikation an der Universität Amsterdam, wissenschaftliche Daten über die Qualität und Entwicklung des Kommunikationsraums in Europa im Hinblick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament vor.
In seiner Forschung stellte Prof. de Vreese fest, dass es keine gemeinsame europäische Öffentlichkeit gibt, da die Berichterstattung über Europa in jedem Land sehr unterschiedlich ausfällt. Diskussionsmuster über europäische Angelegenheiten unterscheiden sich zwischen den Mitgliedsstaaten enorm. Obwohl der europäische Kommunikationsraum noch sehr national geprägt ist, ist ihre schrittweise Entstehung dennoch zu beobachten.
In seinen weiteren Ausführungen betonte Prof. de Vreese die Relevanz politischer Konflikte in den Medien und öffentlichen Debatten über die Wahlen des Europäischen Parlaments. Seine Forschungserkenntnisse zeigen, dass insbesondere euroskeptische Parteien oder Populisten dazu beitragen, das Bewusstsein für Europa zu schärfen und Debatten über EU-Angelegenheiten anzuregen. Daher spielen die Medien eine zentrale Rolle bei der Berichterstattung und Förderung solcher Konflikte, damit europäische Angelegenheiten auch in den nationalen Öffentlichkeiten diskutiert werden können.
Neben Amnesie und Hysterie fügte der diplomatische Chefkorrespondent des Tagesspiegels, Dr. Christoph von Marschall, hinzu, dass auch eine mediale Arroganz unter Journalisten den Zustand der europäischen Öffentlichkeit beschreibt. Von Marschall befürchtet, dass Journalisten, die vor allem eine „Großstadtperspektive“ darstellt, oft nur eine einseitige und begrenzte Berichterstattung ermöglicht, da sie die öffentliche Meinung nicht vollständig abzubilden schafft. Er forderte daher zu mehr Initiative von Journalisten und Medien, verschiedene Perspektiven unserer vielseitigen Gesellschaft aufzuzeigen.
Die Chefredakteurin des slowakischen SME, Beata Balogova, setzt sich für klare Definitionen von europäischen Werten und Demokratie im europäischen Diskurs ein. Trotz unterschiedlicher, nationaler Diskurse sollten Journalisten keine Abweichungen von gemeinsam definierten Abgrenzungen tolerieren. „Indem wir dies nicht tun, erlauben wir Orban, andere Politiker mit autokratischen Tendenzen in der Region zu inspirieren“, sagte sie.
Christiane Hoffmann, Diplomatische Korrespondentin des Spiegels, argumentierte, dass unsere eigene Debatte nur so gut sein kann, wie es die politische Debatte zulasse. Da Politiker Angst hätten, über Europa als langfristiges Projekt, als Vision zu sprechen und sich die politischen Parteien über ihre Ziele für Europa nicht im Klaren seien, könnten Journalisten die Realität nicht besser machen als sie ist. Darüber hinaus stimmte sie zu, dass Konflikte den gemeinsamen politischen Raum fördern würden. Dementsprechend hätte Brexit erst dazu beigetragen, die breite Öffentlichkeit für Brexit und die britische Demokratie im Allgemeinen zu sensibilisieren.
Die Kolumnistin von The Guardian, Natalie Nougayrède, äußerte sich zu einer Unklarheit über die Begrifflichkeit der gemeinsamen europäischen Öffentlichkeit. Wenn man über einen gemeinsamen Kommunikationsraum spricht, sollte man nicht diejenigen vernachlässigen, die das europäische Projekt (die Europäische Union) nicht unterstützen. Vor allem Euroskeptiker sind sehr aktiv bei der Vernetzung und Schaffung einer parallelen Öffentlichkeit, der ebenfalls Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Darüber hinaus behauptete Nougayrède, dass nationale Medien keinen gemeinsamen europäischen Diskurs fördern würden, da die traditionellen Medien in einer Überlebenskrise stecken und zu national geprägt sind. Daher sieht sie den europäischen Medienraum eher als Verbindung von lokalen Wahrnehmungen, lokalen Erkundungen von Nachrichten, lokalen Kuriositäten. Sie forderte jedoch alternative Lösungen, wie man eine gemeinsame Basis für ein besseres Verständnis in Europa finden könnte und verwies auf vielversprechende Initiativen, die aber kaum Ressourcen haben. Außerdem plädierte sie dafür, Europa mehr als einen Kontinent zu betrachten, anstatt Nicht-EU-Länder zu ignorieren.
Dr. Alexandra Borchardt, Senior Research Associate am Reuters Institute for the Study of Journalism, verwies auf die Aussage von Christiane Hoffmann, dass unsere Mediendebatte nur so gut sein könne wie es die politische Debatte zulasse. Dabei verwies sie auf einige ihrer Forschungsergebnisse, aus denen hervorgeht, dass die Rolle der Medien sehr unterschätzt wird, da traditionelle Medien immer noch die Tagesordnung bestimmen. Sie behauptete, dass traditionelle Medien weiterhin die öffentliche Debatte prägten, indem sie Social Media Inhalte verstärken und stark darüber berichten würden, was Populisten sagen. Sie verwies auch auf eine Studie des Reuters Institute zur Berichterstattung zu Brexit, die durch ihren Schwerpunkt auf Personen, insbesondere Politiker, gekennzeichnet ist, anstatt umfassend über die EU selbst zu informieren. Im Gegensatz dazu behauptete sie, dass es die Rolle der Medien sei, mehr die Gedanken der Menschen darzustellen und über EU-Debatten anzustoßen.
Der Nachrichtenchef der Deutschen Welle, Richard Walker, erwähnte außerdem die Sprachbarriere in Europa aufgrund der zahlreichen, unterschiedlichen Sprachen, die ein Grund für das Fehlen eines europäischen Demos sein könnte. Vor allem die Elite spricht Englisch, doch die Medien müssten eine Lösung dafür finden, wie auch nicht-englischsprachige Menschen erreicht werden könnten.
Niklas Nuspliger, Brüssel-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, entgegnete, dass die sprachliche Fragmentierung nicht das Ende der europäischen Öffentlichkeit sein muss.Technologie könnte dabei helfen, solche Herausforderungen zu bewältigen und Menschen verschiedener Öffentlichkeiten zu verbinden, auch ohne physisch im selben Raum sein zu müssen. Er wies auch auf die Schweiz als mehrsprachiges Land hin, wo niemand die Schweizer Demokratie in Frage stellen würde, obwohl es keine pan-schweizerischen Medien gibt.
Darüber hinaus argumentierte Nuspliger, dass eine europäische Öffentlichkeit nicht künstlich durch Medien geschaffen werden könne. Es gebe viele Anzeichen dafür, dass eine Öffentlichkeit und europäische Demos natürlich wachsen. Die EU-, Migrations- oder Brexitkrise haben Menschen erst dazu gebracht, sich darüber zu informieren, was in ihren Nachbarländern passiert. Er forderte daher, die Idee der Gestaltung eines europäischen öffentlichen Raums von oben durchzusetzen, auszugeben, da die europäische Öffentlichkeit eigentlich schon heute natürlich in Entstehung ist.
Europaredakteurin von France 24, Catherine Nicholson, fügte hinzu, dass Journalisten vor allem auch Partner und nicht nur Zuhörer sein müssen: „Das Publikum und uns selbst zumTeil derselben Gemeinschaft zu machen, das ist unsere Zukunftsaufgabe, nicht nur für den Journalismus, sondern auch für die Aufrechterhaltung einer wirklich wichtigen Funktion der Demokratie“.
Lukasz Lipinksi, stellvertretender Chefredakteur von Polityka Weekly in Polen, verwies auf den Beitrag von Prof. Claes de Vreese, der behauptete, dass Konflikte notwendig sind. Aus polnischer Sicht, wäre Ausgewogenheit wichtig. Das polarisierte Polen zeigt, dass zu viel Konflikt auch die Demokratie zerstören könnte.
Der Leiter des Büros von Bloomberg News, Nikos Chrysoloras, rief die Medien dazu auf, eine stärkere Rolle bei der Erklärung der Komplexität und der Entscheidungsprozesse der EU zu übernehmen. Dies wird notwendig für die liberale Ordnung und die Stärkung des europäischen Projekts sein.
Die Leiterin der ECFR Berlin, Almut Möller, eröffnete eine Perspektive von einem Think Tank, der sich mit der Frage beschäftigt, was die Menschen in Europa denken und wie der Zusammenhalt zwischen den europäischen Gesellschaften hergestellt werden kann. Sie forderte eine genauere Analyse der Europawahlen, da die Medien nicht immer die entsprechenden Fragen stellen oder die notwendigen Instrumente einsetzen würden.
Der Direktor von European Cultural Foundation, André Wilkens, plädierte für mehr EU-Investitionen in einen europäischen öffentlichen Raum, um die EU in Zukunft wettbewerbsfähig zu machen. Er betonte die Relevanz, einen umfassenden europäischen öffentlichen Medienlandschaft zu schaffen.
Die Datenwissenschaftlerin Dominique Roch schlug vor, Europa lokal zu machen und die EU zur lokalen Bevölkerung zu bringen, anstatt Menschen auf die europäische Ebene zu bringen. Gleichzeitig müssten sich die Medien an neue Gegebenheiten anpassen, da sich die jüngere Generation an Blogger und Influencer gewandt hätte, so Roch. Sie betonte, dass Medien keine Wohltätigkeitsorganisationen seien, daher sollte auch über die Architektur des Internets gesprochen werden, wenn wir über Öffentlichkeit sprechen.
Sven Afhüppe, Chefredakteur des Handelsblattes, forderte mehr Aufmerksamkeit für die Europapolitik: „Ein oder zwei Reporter in Brüssel zu haben, reicht nicht aus“. Er behauptete, dass es in der Verantwortung der Medien liege, mehr über Europa zu schreiben. Darüber hinaus ging er erneut auf die Sprachbarriere und die Notwendigkeit einer gemeinsamen Verwaltungssprache wie Englisch ein.
Prof. Claes de Vreese beendete die Sitzung: Zwischen Amnesie und Hysterie beziehe sich genau auf den Zustand der europäischen Öffentlichkeit, da sie noch nicht existiere, sondern erst in Entstehung sei. Natürlich solle eine europäische Öffentlichkeit nicht mit der öffentlichen Unterstützung für die EU gleichgesetzt werden. Aber eine sichtbare, lebendige und multiperspektivische Debatte über Europa und seine Identität sei dringend erforderlich. Konflikte seien entscheidend, um die öffentliche Debatte anzufachen und die Aufmerksamkeit für Europa zu schärfen. Darüber hinaus wies er erneut auf die vorherrschende Ambivalenz hin, die sich auch in den Daten zeigt. Die rechten oder linken Populisten sollten nicht überschätzt werden, da die überwiegende Mehrheit nicht ihre Haltung gegenüber der EU repräsentieren würde. Dennoch hätte die Mehrheit berechtigte Bedenken, wenn Bürger sich aufgrund eines sehr komplizierten europäischen Projekts ambivalent fühlten. Dies sollte eine Leitlinie für die Medien bei der Berichterstattung über die EU und den Kontinent, so De Vreese.
Prof. Kalypso Nicolaidis fasste abschließend drei Hauptthemen zusammen. Erstens verwies sie auf die Einwände von Christoph von Marschall und Catherine Nicholson, die sich mit der Arroganz der Medien befassten, und erklärte, dass alle Bürger Probleme mit der Verschwörung zwischen nationalen und supranationalen Eliten haben würden. Es sei die Rolle der Medien, einer monopolisierten Macht zu entgegnen und stattdessen andere Menschen zu stärken. Darüber hinaus forderte sie die Medien auf, Brexit nicht mehr nur als verrücktes Durcheinander zu bezeichnen, sondern als etwas Erstaunliches für Europa. Schließlich plädierte sie für eine Unterscheidung zwischen destruktivem, existentiellem und transformativem Euroskeptizismus, der auf eine Veränderung der EU abzielt.
Session II: Press Freedom Under Pressure – the Future of the European Media Ecosystem
Die Medienfreiheit in Europa ist in Gefahr – so wie nie zuvor seit Ende des Kalten Krieges. Der Europarat zählt 2018 140 gravierende Übergriffe auf Journalisten in 32 seiner 47 Mitgliedsländer. Die prekäre ökonomische Situation der Medien schwächt ihre Unabhängigkeit. Vor diesem Hintergrund widmete sich Session II den aktuellen Entwicklungen rund um Medienfreiheit in Europa und möglichen Strategien zur Stärkung eines demokratischen Journalismus.
Dr. Julie Posetti, Senior Research Fellow am Reuters Institute for the Study of Journalism, gab einen ersten Überblick über den Zustand der Pressefreiheit in Europa in Hinblick auf Verstöße, Zensur, Gesetze und Maßnahmen, die die Pressefreiheit untergraben, sowie auf die Unabhängigkeit und den Pluralismus der Medien. Dabei sprach sie über vier zentrale Herausforderungen für den europäischen Journalismus und schlug vier mögliche Antworten darauf vor.
Die Dämonisierung von Journalisten stellt die erste Bedrohung für die Pressefreiheit dar. Anfänglich auf ein rhetorisches und digitales Umfeld beschränkt, in dem sie als Staatsfeinde dargestellt werden, äußert sich die Dämonisierung von Journalisten später aber auch physisch, da Journalisten mehr angegriffen werden. Dr. Julie Posetti betont die Notwendigkeit, den Journalismus zu „humanisieren“, damit die Gesellschaft sich mehr mit den Problemen der Journalisten identifizieren können. Maßnahmen könnten sein, mehr Debatten über Qualitätsjournalismus zu führen, Herausforderungen für Medienfreiheit mehr in den Medien zu beleuchten sowie die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft im Bereich Pressefreiheit zu fördern.
Virale Desinformationskampagnen in Verbindung mit Fehlinformationen bergen ebenfalls die Gefahr, den glaubwürdigen Journalismus zu überfordern und die Demokratie zu untergraben. Erforderliche Maßnahmen sind beispielsweise die Warnung durch Anti-Desinformation- oder Anti-Fake-Nachrichten. Eine Gesetzgebung könnte sehr riskant sein, so Dr. Posetti, da sie dazu beiträgt, legitime Meinungs- und Pressefreiheit zu kriminalisieren oder von Despoten oder in fragilen Staaten zur Beschränkung der Arbeit der Journalisten ausgenutzt werden könnte.
Online-Gewalt, die sich insbesondere gegen Frauen richtet, stellt eine dritte Herausforderung für den europäischen Journalismus dar. Sie umfasst Belästigung, Gewaltdrohungen und sexuelle Beleidigungen, verursacht aber auch ein größeres physisches Risiko oder den Rückzug der Journalisten aus der Praxis oder der Interaktion mit dem Publikum. Dr. Julie Posetti forderte daher eine stärkere Gesetzgebung durch Berichterstattung sowie normative Rahmenbedingungen in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft.
Eine vierte Gefahr für die Pressefreiheit seien die zunehmenden Risiken für die digitale Sicherheit und den Schutz vertraulicher Quellen für die Arbeit der Journalisten mit Whistleblowern. Der Schutz vor Veröffentlichung und die vertrauliche Behandlung der Informationen zur Identität der Quellen oder Informanten der Journalisten müssten gewährleistet werden, damit Journalisten auch weiterhin den Mut aufbringen, mit relevanten Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen. Mit der zunehmenden Bedeutung der Plattformen und der Erosion der Privatsphäre breche dieses Ökosystem möglicherweise zusammen. Daher müssten sich Journalisten kritisch mit dem Thema sowie der Gesetzgebung und der Maßnahmen der Justiz und Strafverfolgungsbehörden auseinandersetzen.
Abschließend kommt Dr. Julie Posetti zu dem Schluss, dass es bei der Medienfreiheit nicht nur darum ginge, das Recht von Journalisten auf eine sichere Ausübung ihrer Tätigkeit und das Recht der Nachrichtenmedien, ohne Zensur zu arbeiten, zu gewährleisten, sondern auch um das Recht der Bürger auf Information. Folglich ginge es bei dem Thema Medienfreiheit um die Rechte aller. Wir müssten daher sicherstellen, dass das Publikum am Aufbau des Journalismus involviert ist, da man sie als Handlungsgemeinschaften zur Verteidigung der Meinungsfreiheit im Kontext von Pressefreiheit bräuchte.
Im Anschluss wurden weitere mögliche Maßnahmen zum Schutz der Pressefreiheit diskutiert. Jean-Paul Marthoz ist Europe Advisory Committee des Committee to Protect Journalists (CPJ, New York) und Autor des Berichts von Oktober 2015 „EU and Press Freedom Balancing Act”. Als Antwort auf Posettis Beitrag verwies er auf eine Umfrage der Europäischen Journalistenvereinigung über die Sorgen der Journalisten in der EU: 60 Prozent gaben an, dass Verleumdungsfälle und Gesetzesmissbräuche in Europa allgemein und in über der Hälfte der europäischen Mitgliedstaaten immer noch existieren würden. Da viele Medien nicht über die wirtschaftlichen Mittel verfügen, um der Verleumdung entgegenzuwirken, müssten Politiker Gesetze ändern. Das geringe Vertrauen in den Journalismus oder die mangelnde Bereitschaft, mit dem Beruf in Verbindung gebracht zu werden, führe zu ineffizienten politischen Maßnahmen. Daher seien alternative Lösungen vor Ort erforderlich. Jean-Paul Marthoz präsentierte Initiativen von Journalisten wie „Express“, das Anwälte und Journalisten zusammenbringt, um mit rechtlicher und wirtschaftlicher Macht, Verleumdung zu begegnen.
Die Chefredakteurin des slowakischen SME und stellvertretende Vorstandsvorsitzende des International Press Institute (IPI), Beata Balogova, wies ebenfalls auf die Tendenz hin, dass dem Journalismus in vielen Ländern wie Ungarn, der Slowakei oder Tschechien seine „Watchdog“- Rolle der Politik verweigert werde. Dennoch sei die investigative und wachsame Rolle des Journalismus besonders in einer Welt relevant, in der Tweets und verkürzte Formen von Journalismus angestrebt würden. Unter diesen Umständen müssten private Medien wie SME die Rolle des öffentlichen Dienstes erfüllen, was sich schwierig gestaltet, wenn sie gleichzeitig qualitativ hochwertige Inhalte produzieren und Einkommen schaffen müssten. Beata Balogova forderte daher die Rundfunkanstalten auf, mehr Druck auf ihre Mitglieder auszuüben, die die Rolle des Journalismus nicht mehr erfüllen.
Der Direktor von Reporter ohne Grenzen Deutschland, Christian Mihr, plädierte für journalistisches Handeln vor Ort, da man sich nicht allein auf die Nationalstaaten oder die Europäischen Union verlassen könne. Aufgrund der starken Bedrohungen im digitalen Bereich forderte er mehr Unterstützung bei der Förderung digitaler Kompetenz und dem Quellenschutz. Laut einer RoG-Studie seien 50 Prozent der RoG-Fälle durch die digitale Standortdokumentation in Bedrohungssituationen geraten. Laut Christian Mihr ist die digitale Verantwortung von Journalisten oft sehr begrenzt, daher müsste mehr Wert darauf gelegt werden, digitale Quellen von Journalisten zu schützen.
Lisbeth Kirk, Gründerin von EUObserver, betonte die Bedeutung von Selbstreflexion und Transparenz im Journalismus. Medien als Unternehmen und vierte Säule der Demokratie seien aufgrund des Vertrauensverlusts und der großen Konkurrenz an „Medien“ die bewusste Manipulation und Desinformationskampagnen nutzen, stark herausgefordert. Kirk schlug daher vor, dass traditionelle Medien transparenter in ihrer Kommunikation ihrer Identität und ihre Quellen werden sollten.
Zeynep Sentek, Managing Editor von Blacksea.eu, einem Online-Medium in Rumänien, das sich durch seinen kritischen Journalismus über die Schwarzmeerregion für ein globales Publikum und durch eine umfassende Berichterstattung und strenge Faktenkontrolle auszeichnet. Sie verwies auf Kirks Argument der Selbstreflexion und Transparenz, welche insbesondere aufgrund des Aufstiegs des Populismus und Rechtsruck relevant sei. Man müsse sich weiterhin mehr auf die Möglichkeiten zur Verbesserung des Journalismus konzentrieren, um solchen Tendenzen entgegenzuwirken.
Julia Ebner, Research Fellow am Institute for Strategic Dialogue (ISD), sprach über neue Bedrohungen wie Doxing, das Durchsickern privater Daten im Internet und was das für Angriffe aus der realen Welt bedeuten könnte. Daher schlug sie mehrere Verantwortungsbereiche vor, die sowohl Journalisten als auch politische Entscheidungsträger übernehmen könnten, um sich ihnen zu stellen. Journalisten sollten mehr Bewusstsein für Cybersicherheit und mögliche Wege zum Schutz vor Hackern schaffen. Im Gegensatz zu gezielten Belästigungskampagnen gegen Journalisten würde der Schutz und die Unterstützung der Opfer nicht europaweit koordiniert. Deshalb müsse das Bewusstsein für Maßnahmen auf individueller, aber auch auf organisatorischer und europäischer Ebene häufiger geschärft werden. Es liege in der Verantwortung der politischen Entscheidungsträger, einen Rechtsrahmen zu entwickeln, der sich mit den neuen Bedrohungen im digitalen Raum befasst.
Der Beiratsvorsitzende von Thomson Media, Christoph Lanz, argumentierte, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk gestärkt werden müsse, da die öffentlich-rechtlichen Medien theoretisch unabhängiger wären und sich leichter aussprechen könnten als private Eigenunternehmen, die unter wirtschaftlichem Druck stehen. Lanz warnte jedoch vor der Unterschätzung eines zunehmenden Drucks auf die Medienfreiheit in westeuropäischen Ländern wie Estland. Deshalb ermutigte er uns, lauter zu sprechen und das Bewusstsein für die Bedrohungen der Medienfreiheit zu schärfen.
Der Medienberater Lauri Hussar, der kürzlich noch Chefredakteur der führenden estnischen Zeitung Postimees war, eröffnete Einblicke in die estnische Medienlandschaft und ging insbesondere auf die Auswirkungen des wirtschaftlichen Drucks auf die Medien ein. Da das Medien-Geschäftsmodell nicht nachhaltig sei und Werbegelder hauptsächlich an die Plattformen gezahlt würden, forderte er eine digitale Steuer.
Agron Bairami, Chefredakteur von Koha Ditore im Kosovo, behauptete, dass den Risiken für die Pressefreiheit außerhalb der nationalen Grenzen nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt würden. Er rief dazu auf, auch auf die europäischen Länder außerhalb der EU zu achten. Darüber hinaus betonte er die Bedeutung der Medienkompetenz zur Unterscheidung von professionellem Journalismus und politisch verbundenen und kontrollierten Medien.
Florian Eder, Geschäftsführer von Politicos „Brussel’s Playbook“, bezeichnete die Vorstellung, dass öffentliche Medien unabhängiger und vertrauenswürdiger seien, eher als romantisch. Er behauptete, dass illiberale Regierungen normalerweise zuerst die Kontrolle von öffentlichen Medien übernehmen würden. Erst im Anschluss würden auch private Medien unter die Kontrolle gebracht, da dies hohe finanzielle Mittel und Gesetze erfordert. Infolgedessen würde die Glaubwürdigkeit der öffentlichen Dienste in ganz Europa durch die Techniken zur Delegitimierung der Medien und insbesondere der öffentlich-rechtlichen Sender untergraben. Eder schlug daher die öffentliche Finanzierung von privaten Medien vor. Er betonte jedoch, dass die Medien eine wichtige Säule der Demokratie seien und daher nicht zu einem Wirtschaftszweig wie der Landwirtschaft werden sollten.
Europaredakteurin von France 24, Catherine Nicholson, schlug mehrere Lösungsvorschläge vor. Sie forderte eine stärkere europäische Medienzusammenarbeit. Am Beispiel der Slowakei, wo sie mit Demonstranten im Fall Jan Kuchiak sprach, sagte sie, dass sie um mehr Aufmerksamkeit gebeten hätten, um den Druck auf die slowakische Regierung zu erhöhen, die Ermittlungen in diesem Fall durchführten. Nicholson sagte außerdem, es bräuchte noch einen Rahmen für eine solche Zusammenarbeit, aber es sei wichtig, ein breites journalistisches Netzwerk aufzubauen, damit Journalisten von Kollegen mit jeweiliger lokaler Expertise profitieren könnten.
Als ehemalige Chief Digital Officer Directive, die für Websites und das gesamte Marketing bei Euractiv zuständig war, war die Datenwissenschaftlerin Dominique Roch schockiert über das begrenzte Wissen von Journalisten über das tatsächliche Funktionieren einer Website und darüber, wie Artikel den Menschen und ihrem Ranking vorgeschlagen werden. Medienkompetenz sei daher der Schlüssel zum Geldverdienen im Internet. Anstatt die Verantwortung an den Gesetzgeber zu übergeben, sollten die Journalisten selbst anfangen, Algorithmen besser zu verstehen und sie zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.
Die M100YEJ-Teilnehmerin aus Armenien, Viktoriya Muradyan, sprach die Ungleichheit in Bezug auf Medienreaktion an. Auf Verletzungen der Pressefreiheit sollten die Medien auch darauf achten, was außerhalb Europas passiert, um zu verstehen, was innerhalb der Grenzen passiert.
Der stellvertretende Chefredakteur von stern Digital, Tolgay Azman, forderte mehr Transparenz in den Medienhäusern. Die Interaktion mit dem Publikum könnte Vertrauen schaffen und das Bewusstsein für die Bedrohungen der Pressefreiheit schärfen, da sie die einzige Möglichkeit darstellt, die Medienarbeit zu erklären und Solidarität durchzusetzen. So bot Stern Lesern und Nutzern während seines 70-jährigen Bestehens offene Türen über ihre Arbeit und erhielt positive Resonanz.
Die Kolumnistin des Guardian, Nathalie Nougayrède, verwies auf Viktoriya Muradyans Kommentar und fügte hinzu, dass Journalisten sich erst über mögliche Handlungsoptionen und Maßnahmen zur Stärkung der Medienfreiheit in Europa bewusst werden müssten. Die globalen Bedrohungen seien vielfältig, ebenso wie die Probleme innerhalb Europas. Daher wäre es wichtig, die spezifischen europäischen Bedürfnisse, Themen und Maßnahmen zu identifizieren, die außerhalb Europas nicht unbedingt auf den sich ändernden rechtlichen und politischen Kontext anwendbar sind. Darüber hinaus forderte sie, dass die Medienunabhängigkeit an Journalismusschulen in ganz Europa diskutiert werde.
Abschließend fasste Dr. Julie Posetti zusammen, dass es die Aufgabe der Journalisten sei, das Bewusstsein für die Pressefreiheit zu schärfen und vor allem das Publikum in diesen Prozess einzubeziehen. Bei der Prüfung der Möglichkeiten sei die Zusammenarbeit und Beteiligung erforderlich. Sie stimmte zu, dass die Fälle bedrohter Medienfreiheit außerhalb Europas, die möglicherweise innerhalb Europas anwendbar sein könnten, stärker berücksichtigt werden sollten. Der europäische Journalismus könnte viel über die Praxis des unabhängigen kritischen Journalismus und die Bekämpfung der Disformation außerhalb Europas lernen.
Session III: The Path Ahead: Unlocking Journalistic Innovation
Der heutige Journalismus ist in mancher Hinsicht besser und erfolgreicher denn je. Doch grenzenlose Reichweite geht nicht einher mit nachhaltigen Geschäftsmodellen. Journalisten und Medien, sowohl etablierte Organisationen als auch Start-ups, sind bestrebt, neue Wege zu finden, um die Rolle des des Wissensaustauschs in der Gesellschaft zu erfüllen. Sie entwickeln neue Geschäftsmodelle, um ihre Abhängigkeit von Technologieplattformen zu überwinden. Und sie konzentrieren sich intensiv auf die Entwicklung neuer Methoden, um den neuen, digitalen und vernetzten Realitäten im Dienste ihres Publikums zu begegnen. In Session III wurden Rahmenbedingungen für die Förderung von Innovation und die Zukunftsfähigkeit der Medien diskutiert.
Der Chefredakteur von piqd und Vorstandsmitglied von Deutschlands führendem Medieninnovationsthinktanks Vocer, Frederik Fischer, ermöglichte einen Überblick über journalistische Innovationen und schlug einen möglichen Rahmen für Medieninnovation vor. Während in jüngster Zeit journalistische Innovationen vor allem sehr experimentell waren, wirken sie heute viel pragmatischer und zielen vor allem auf ein nachhaltiges Wirtschaften ab. Fischer beobachtet seit Längerem eine Entwicklung wie sich der Qualitätsjournalismus aufgrund von Paywalls, Social Media Plattformen und der Abkopplung von der jüngeren Generation zunehmend aus dem öffentlichen Raum zurückziehe. Seiner Meinung nach seien die verschiedenen Herausforderungen des Journalismus oft mit der aktuellen Medieninfrastruktur verbunden, die die Bedürfnisse einer informierten Öffentlichkeit vernachlässigen würde. Fischer forderte daher Verlage und Rundfunk auf, sich verstärkt auf den Aufbau neuer Infrastrukturen für journalistische Innovationen zu konzentrieren. Konkrete Vorschläge sind bisher beispielsweise eine europäische Mediathek oder Initiativen über Plattformen hinaus. Fischer kam zu dem Schluss, dass der ganze Pragmatismus der Medieninnovation einfach nicht ausreiche und über die Organisationen hinausgedacht werden müsse.
Brigitte Alfter ist Direktorin der gemeinnützigen Organisation Arena for Journalism in Europe zur Unterstützung des grenzüberschreitenden, kollaborativen Journalismus in Europa und Autorin eines Handbuchs über grenzüberschreitenden Journalismus. Sie behauptete, dass die Zielgruppe der paneuropäischen Medien zwar klein sei, aber Journalisten traditionell an paneuropäische Medien gedacht hätten, um das Funktionieren der Kommunikation in den europäischen Gesellschaften zu gewährleisten. Als sie ihre Ausbildung im Journalismus absolvierte, war Wettbewerb der Schlüssel zum Erfolg und ein integrativer Bestandteil der Arbeit in den Medien. Vor diesem Hintergrund plädierte Alfter für einen anderen Weg für Journalisten, in dem sie in europäischen Netzwerken mit engen Beziehungen zum Publikum und zu allen Medien zusammenarbeiten. Dies erfordert jedoch nach wie vor eine aufstrebende Netzwerkinfrastruktur für Journalisten und ein Umdenken, um mehr Zusammenarbeit zu fördern, so Alfter.
Neben mehr Zusammenarbeit forderte Brigitte Alfter außerdem mehr Engagement und Investitionen in die Forschung und Entwicklung des Journalismus mit unzähligen Experimenten, um neue Methoden zu entwickeln, die traditionelle Medien später auch integrieren und skalieren könnten. Ein Beispiel sind Experimente mit Datenjournalismus in den 90er Jahren, die 20 Jahre später auch von traditionellen Medien als relevanten Methode übernommen wurde. Heute müssten weitere experimentelle Methoden zur Förderung journalistischer Innovationen konzentrieren.
Zeynep Sentek ist Geschäftsführerin von The Black Sea, das Teil des paneuropäischen Netzwerks European Investigative Collaboration ist, das die großen Akteure mit Mikroinitiativen im Journalismus zusammenbringt. The Black Sea zielt darauf ab, die Gewohnheiten der traditionellen Medien zu durchbrechen, indem die Initiative mehr auf Zusammenarbeit als auf Wettbewerb setzt. Neben dem Bedarf an mehr Mitteln betonte Sentek die Bedeutung des Ausbaus kleinerer Initiativen und der Zusammenarbeit in ganz Europa für den investigativen Journalismus.
Anschließend ging Fischer auf die vorgeschlagenen neuen Medienstrukturen ein. Auch wenn die Social-Media-Plattform Facebook aufgrund ihrer Wirkung und Macht mit einem Land mit Gesetzgebung vergleichbar ist, arbeitet sie nicht für eine informierte Öffentlichkeit oder für den Journalismus. Da Facebook sei aber nur eine Technologie und neutrale Infrastruktur sei, forderte Fischer die konkrete Definition von Gesetzen und Regeln für solche Netzwerke. Fischer schlug in einem ersten Schritt vor, alle Informationen kostenlos auf einer neu eingerichteten europäischen Plattform anzubieten, um großes Interesse zu wecken und eine kritische Masse zu erreichen. Der zweite Schritt wäre dann, die Plattform für alle kommerziellen Mitwirkenden zu öffnen, die bereit sind, sich an den zuvor definierten journalistischen Verhaltenskodex zu halten.
Der stellvertretende Chefredakteur von stern Digital, Tolgay Azman, fügte hinzu, dass Journalisten den Journalismus eher aus Sicht des Produkts betrachten sollten. Während Medien erwarten würden, mit Werbung oder kostenpflichtigen Abonnements Geld zu verdienen, würde das nur erfolgreich sein, wenn sie ihre Marke und Vision mehr in den Vordergrund stellen würden, damit sich die Leser mehr mit dem Produkt identifizieren könnten. Wenn die Medien nicht mehr an ihren Produkten arbeiten würden, so versteht Azman nicht, warum die Leser weiterhin ihre Inhalte kaufen sollten.
André Wilkens, Direktor von European Cultural Foundation, empfahl, Innovation aus der Sicht der Regulierungsbehörde und nicht der Medien zu betrachten, da die Medien nicht unbedingt das Ziel des Gemeinwohls verfolgen. Wilkens forderte daher, die Parameter für die europäische Öffentlichkeit neu zu setzen, indem zuerst die Ziele, Werte, bevorzugte Infrastruktur oder Sprachen benannt werden. Erst im nächsten Schritt sollten Innovationen in die Praxis umgesetzt werden, damit die Grundwerte und -ziele gesichert sind.
Dr. Julie Posetti, Senior Research Associate am Reuters Institute for the Study of Journalism, stellte die Ergebnisse ihres Innovationsprojekts für Journalismus vor. Sie betonte die Notwendigkeit, sich von den kurzfristigen Trends der „shiny bright technology-driven innovation“ zurückzuziehen, von denen sich die Medien in den letzten zehn Jahren hinreißen ließen. Stattdessen müssten sich die Medien mehr auf den Aufbau einer langfristigen Strategie für Medieninnovationen konzentrieren.
Dr. Alexandra Borchardt, Senior Research Associate am Reuters Institute for the Study of Journalism, forderte Medieninnovationen in Bezug auf den Inhalt, die Vielfalt der Redaktionen sowie die Rekrutierungsverfahren. Sie behauptete, dass die Medienberichterstattung hauptsächlich als negativ wahrgenommen werde, was insbesondere für die jüngere Generation nicht ansprechend sei. Sie forderte außerdem mehr Vielfalt in den Redaktionen, die die Gesellschaft derzeit nicht vollständig repräsentieren würden. Ein vielfältiges Publikum müsste bedient werden, damit Vertrauen in die Medien aufgebaut werde und ihre Produkte besser verkauft würden. Daher plädierte sie für Innovation bei der Medienrekrutierung, die die Einstellung von Journalisten mit unterschiedlichem Geschlecht und sozialem Hintergrund, sowohl aus den Weltstädten als auch vom ländlichen Raum, berücksichtigen würde.
Der stellvertretende Chefredakteur von stern Digital, Tolgay Azman, stimmte zu, dass die Vielfalt in den Medien gefördert werden müsste. Aufgrund eines langwierigen Prozesses einer neuen Medienrekrutierungsform, schlug er vor, alternativ die Expertise von Diversity-Beratungen zu nutzen. Dadurch könnte die Berichterstattung diversifiziert werden, auch wenn die Redaktionen noch nicht vielfältig besetzt seien. Azman erklärte, dass auf diese Weise für einen Artikel relevante Zielgruppen erreicht werden könnten, die man zu ihrer Meinung, Feedback und Beratung zum jeweiligen Thema konsultieren könnte. Seiner Ansicht nach würde das eine „empathische Berichterstattung“ mit hohem Potenzial ermöglichen, die den Anforderungen der Gesellschaft besser erfüllen könnte.
Die Geschäftsführerin von The Wake Up Foundation, Annalisa Piras, die derzeit die „Wake Up Europe!“-Kampagne, ein innovatives transnationales Dokumentarfilmfestival, das europäisches Bürgerbewusstsein wecken und eine paneuropäische Debatte anregen soll, indem es Dokumentarfilme als Informations- und Engagement-Medium nutzt. Aufgrund ihres Hintergrunds in der Filmbranche, wies sie auf Dokumentationen als neue Form des Journalismus hin. Aus ihrer Sicht beschränke sich der Journalismus nicht nur auf seine traditionelle Konzeption von Print. Film könnte ebenfalls den Zielen des Journalismus zu dienen, zu informieren und Bewusstsein zu schaffen.
Brigitte Alfter beendete die Diskussion mit einem Appell für mehr Kreativität bei der Medieninnovation. Insbesondere die Interaktion, die durch neue Technologien möglich ist, verspricht ein hohes Potenzial, Medienkompetenz zu schaffen. Die Einbeziehung der Leser in die Entwicklung journalistischer Inhalte, z.B. durch einen redaktionellen Ansatz des Crowdsourcing, trägt dazu bei, dass die Menschen sich mitverantwortlich und beteiligt fühlen.
Der Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik, Dr. Leonard Novy, betonte die klare Botschaft, die sich von den Diskussionen am M100-Roundtable ableiten lies: Qualitätsjournalismus und die unabhängige, pluralistische Medienlandschaft wird zu oft als selbstverständlich angesehen. Zum ersten Mal hat das M100-Board eine M100-Deklaration veröffentlicht, die viele Punkte anspricht, die während des Tages diskutiert wurden. Novy forderte eine viel breitere politische und öffentliche Diskussion über die Richtung der Medienwelt und betonte die Relevanz der M100 Debatte über die europäische Öffentlichkeit, die für die Zukunft der Demokratie und ihrer Grundlagen entscheidet.