Christopher Walker

Christopher Walker

Eröffnungsrede von Christopher Walker Der Titel des diesjährigen Kolloquiums – “Globale Demokratie – Ein Triumph für soziale Netzwerke?” – ist meines Erachtens korrekterweise als Frage formuliert. In den letzten Monaten sind wir Zeugen weitreichender Veränderungen geworden, zu denen soziale Netzwerke beitrugen, obwohl sich ihre tatsächliche Rolle in diesem Prozess und das Ausmaß ihres Einflusses nur […]

Eröffnungsrede von Christopher Walker

Der Titel des diesjährigen Kolloquiums – “Globale Demokratie – Ein Triumph für soziale Netzwerke?” – ist meines Erachtens korrekterweise als Frage formuliert. In den letzten Monaten sind wir Zeugen weitreichender Veränderungen geworden, zu denen soziale Netzwerke beitrugen, obwohl sich ihre tatsächliche Rolle in diesem Prozess und das Ausmaß ihres Einflusses nur schwer bestimmen lassen.

Hätte vor einem Jahr jemand die These vertreten, dass wenige Wochen dazu ausreichen würden, die politische Situation im Nahen Osten und dem nordafrikanischen Raum auf den Kopf zu stellen, hätte man ihn ausgelacht. Die Dauer und Intensität des politischen Autoritarismus, der diese Region so lange in seinem Bann hielt, hatte dabei verschiedene Folgen  –  nicht zuletzt die Tatsache, dass Beobachter zunehmend den Verfehlungen dieser Region gegenüber abgehärtet wurden – woraus sich die Schwierigkeit begründete, Möglichkeiten für Veränderungen überhaupt anzudenken.

An dieser Stelle möchte ich kurz innehalten, um die Ereignisse mithilfe des Beispiels von Tunesien zu erläutern.

Als Erinnerung daran, an welcher Stelle sich das Land am 31. Dezember 2010 befand, dem letzten Tag des Regimes von Ben Ali, werde ich mich auf die Analyse von Freedom House beziehen:

Tunesien wurde zu diesem Zeitpunkt von Freedom House als „Not Free“ bewertet, sowohl in Freedom of the Press, unserem Bericht, der sich vor allem mit Presse- und Rundfunkmedien befasst, als auch in Freedom on the Net, einem Format, das sich der Analyse der Freiheit des Internets und neuer Kommunikationstechnologien widmet.Die Auszeichnung „Not Free“ bedeutet, dass unter der Ben Ali Diktatur keine ausreichende Gewährleistung oder Wahrung dieser von uns beleuchteten Freiheiten existierte.

So taten sich, laut Freedom of the Press, keine wesentlichen Unterschiede im Vergleich von Tunesien und repressiven Regimen in Äquatorialguinea und Laos auf. Unter 196 untersuchten Staaten belegte Tunesien Platz 184. Laut der Analyse von Freedom of the Net zählte Tunesien zu den repressivsten Systemen der Welt, zu welchen auch China gehört; ein Land, auf das ich später noch zurückkommen werde. Genauso wurde Tunesien auch in Freedom of the World, der jährlichen, von Freedom House veröffentlichten Analyse politischer und ziviler Freiheiten, als „Not Free“ bewertet.

Die vor nicht allzu langer Zeit aus ihren Ämtern verdrängten Despoten in Tunesien und Ägypten – und jetzt auch Libyen – blickten zusammen auf fast 100 Jahre Machtbesitz. Muamar Gaddafi ergriff am 1. September 1969 die Macht. Zu diesem Zeitpunkt war Kurt Georg Kiesinger deutscher Bundeskanzler. Die Diktaturen im Nahen Osten und in Nordafrika unterdrückten jeglichen Widerstand mit rücksichtsloser Härte. Im Verlauf der Existenz ihrer Regime begründeten diese Diktatoren Regierungssysteme ohne Perspektive. Auf Grund der Tatsache, dass sie Reformen grundsätzlich ablehnten, waren sie schlecht für unvorhersehbare Krisen gerüstet.

Das Argument, dass autoritäre Regierungen Garanten von Stabilität seien, erweist sich somit als Mythos. In Wirklichkeit zerstören autoritäre Systeme stetig die unabhängigen Institutionen und Schutzvorrichtungen, welche Grundrechte garantieren sollten, welche zur Sicherung der Integrität und Verantwortlichkeit der Regierung eingesetzt sind und welche dafür sorgen, dass sich Machtwesel friedlich vollziehen.

Regime wie die von Mubarak, Ben Ali, Gaddafi und Assad widmen sich ihrer eigenen Bereicherung. Anstatt grundlegende Probleme zu thematisieren, unterdrücken sie kritische Stimmen. Viele dieser soeben benannten Probleme stehen auf der Liste der Kümmernisse der Protestierenden in dieser Region sehr weit oben. Nicht zuletzt führt auch der Mangel an Transparenz in der Nachfolge des Präsidentenamtes mit hoher Wahrscheinlichkeit zu weiteren Krisen.

Natürlich betrachten diese Diktaturen die Kontrolle der Medien als Priorität. Die staatlichen Nachrichtenmedien, vor allem das Fernsehen, stärkten autoritäre Machthaber in ihrer Position, indem sie für die Bevölkerung eine Parallelwelt schufen und Dissidenten kein Forum baten. Das Internet und andere neue Kommunikationstechnologien bieten dieser Medienhegemonie die Stirn.

Von der Revolution zur Demokratie

In Anbetracht der enormen Hürden auf dem Weg zum Wandel kann kaum zur Debatte stehen, dass die diesjährigen Errungenschaften in dieser Region bemerkenswert sind.

Trotz der Tatsache, dass diese Veränderungen schnell abliefen und von historischem Ausmaß waren, möchte ich etwas Wichtiges betonen: Heute sind weder Tunesien noch Ägypten, die ersten Länder dieser Region, in denen es Revolutionen gab, als Demokratien einzustufen. Hoffentlich werden sie, sobald es ihnen möglich ist, diesen Status erreichen. Im Moment sollte man sie jedoch als Staaten betrachten, die sich in einer Art post-autoritärer Grauzone befinden.

Die korrekte Definition des derzeitigen Status der politischen Entwicklung dieser Staaten ist hilfreich, wenn man die Rolle sozialer Medien im Veränderungsprozess dieser Region zu bemessen ersucht.

Derzeit kann man mit Sicherheit argumentieren, dass soziale Medien im Sturz etablierter Diktatoren in Nordafrika eine wichtige Rolle spielten. Wie diese Medien sich jedoch im weiteren Verlauf, im schwierigen und langwierigen Aufbau demokratischer Institutionen, behaupten werden, kann in diesem Augenblick nicht beantwortet werden.In dieser Hinsicht ist es zu früh, von einem Triumpf zu sprechen.

Was war also der Einfluss sozialer Medien in Nordafrika und dem Nahen Osten? Unter anderem hat Sami ben Gharbia ihre einflussreiche Position bei den Aufständen in Tunesien beleuchtet.

Er beschreibt eindringlich das ausgeklügelte Zusammenspiel von Web 2.0 Applications und den einflussstarken Satellitenmedien, vor allem Al Jazeera, in der Mobilisierung und Aufklärung von Bürgern.

Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass 2.0 Applications wichtige Werkzeuge bei der Organisation von Bürgerengagement bieten können.

In Tunesien und anderswo in dieser Region wurden sie dazu genutzt, Nachrichten der Proteste und der gewaltsamen Unterdrückungsversuche der Regierung zu verbreiten sowie durch Videos das Ausmaß der Proteste und die Grausamkeit der autoritären Antwort zu belegen. Der Einfluss der digitalen Medien offenbart sich vor allem in Syrien, welches im Zuge der Proteste ausländische Journalisten, einschließlich Repräsentanten der arabischen Medien, auswies und tausende Aktivisten und Protestierende tötete oder festnahm.

Regierungskritische Aktivisten benutzten Twitter, um die internationalen Medien über die Situation in Syrien aufzuklären; sie stellten Videos auf YouTube, in denen Sicherheitskräfte auf Demonstranten schossen und schufen Facebook-Gruppen, um Botschaften und Pläne mit Aktivisten anderer Zusammenschlüsse in anderen Städten auszutauschen.

Bis zum heutigen Zeitpunkt haben soziale Medien somit zweifelsohne Räume für die Meinungsäußerung geschaffen, wo vorher solche Räume nicht existierten – und halfen so, Menschen im Zuge der Enthebung von Diktatoren zu mobilisieren. Aber wie werden soziale Medien nach dem Sturz eines autoritären Machthabers dauerhafte institutionelle Reformen beeinflussen – zum Beispiel mit Hinblick auf politische Parteien und die Reform des Rechtssystems? Dies ist eine wesentliche Frage.

 

China: Ein besonderer Fall von Bedrohung der Internetfreiheit

Ein kurzes Wort zu China. Die Strategie der Regierung, den Goldstandard der Internetzensur zu schaffen, ist ein besonders eindrucksvoller Fall der Bedrohung der Freiheit im Internet. Es ist ironisch, dass gerade zu dem Zeitpunkt, zu welchem das autoritäre System Chinas als Hauptalternative zu demokratischen Regierungsformen gehandelt wird, die Einheit der autoritären Staaten im Nahen Osten zu bröckeln beginnt.

Die Volksaufstände im Nahen Osten waren für die chinesischen Autoritäten besonders nervenaufreibend. Aufgrund der Furcht, dass das chinesische Volk die Szenen aus Kairo als Inspiration auffassen könnte, blockierten die Zensoren in China Anfang dieses Jahres Web-Suchen nach dem Wort „Ägypten“.

Am 12. Februar, am Tag nach dem Rücktritt von Hosni Mubarak als ägyptischer Präsident, hielten einige Mitglieder des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas ein besonderes Meeting, um die Ereignisse im Nahen Osten näher zu diskutieren. Laut Informationen des China-Wissenschaftlers Perry Link war Propaganda (vor allem online) ein Hauptaugenmerk dieser Diskussion.Die folgenden Direktiven enthielten Anweisungen, alle unabhängigen Berichte der Ereignisse in Ägypten und anderswo zu stoppen, die Zensur und Kritik von Mikroblogs zu verschärfen und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu verstärken.

Das von Freedom House veröffentlichte China Media Bulletin thematisiert eingehend die verschärfte Zensur in China, wie sie sich nach Beginn des arabischen Frühlings herauskristallisiert hat. Zum Beispiel wurde im Mai diesen Jahres das Wort „Jasmin“ – egal, ob es sich auf die Blume, das Thema eines chinesischen Volksliedes oder die Jasminrevolution, welche Präsident Ben Ali stürzte, bezog – Ziel der chinesischen Autoritäten in jeglichem Zusammenhang, nicht nur im Internet.

Seitdem Mitte Februar unter chinesischen Internetnutzern anonyme Forderungen nach einer von Protesten getriebenen, an das tunesische Vorbild angelehnte „Jasminrevolution“ laut wurden, sind Suchen nach dem Wort „Jasmin“ auf dem chinesischen Mikroblogging-Dienst Sina Weibo sowie den Suchmaschinen Baidu und Panguso zensiert. Video-Clips, die Präsident Hu Jintao beim Singen eines Volksliedes namens Jasmin („Molihua“) auf öffentlichen Veranstaltungen zeigen, wurden aus dem Internet entfernt.

Obwohl diese Maßnahmen als klares Symptom wachsender chinesischer Unsicherheit zu deuten sind, ist die Konsequenz – und der Einfallsreichtum – mit welchem die chinesische Regierung Informationen manipuliert und zensiert, sicherlich bemerkenswert.

Dabei muss ebenfalls erwähnt werden, dass die chinesischen Autoritäten sowie auch andere, weitentwickelte Regime, kein Monopol auf die öffentliche Meinungsäußerung beanspruchen.

Vielmehr besteht ihr Ziel darin, zu steuern und zu beeinflussen, was tatsächliche politische Auswirkungen haben könnte.

Durch die Anwendung von Methoden, welche den Nachrichtenfluss unterbrechen, Vorkommnisse leugnen und grundsätzlich falsche Informationen verbreiten, beweisen autoritäre Regime, dass sie ebenfalls lernen, wie sie soziale Medien für ihre eigenen Zwecke verwenden können. Ein 2009 von Freedom House , Radio Free Europe/Radio Liberty und Radio Free Asia, veröffentlichter Bericht mit dem Titel Undermining Democracy: 21st Century Authoritarians, zeigte auf, wie die Autoritäten im Iran, in Russland und vor allem in China fortschrittliche und finanzstarke Techniken anwenden, um so legitime Online-Diskurse zu unterminieren.

Wissenschaftler wie zum Beispiel Evgeny Morozov und Rebecca MacKinnon haben weitreichend erforscht, wie derartige Regime die Ressourcen und die Macht des Staates ausnutzen, um die Freiheiten des Internets zunehmend einzuschränken. Die Vehemenz, mit welcher autoritäre Regime die Meinungsäußerung zu beschneiden ersuchen, verdeutlicht, dass sich die Gemeinschaft der Demokratien erneut ihrer Verpflichtung, diese Werte zu schützen, bewusst werden muss. Ich muss hierbei auch leider anfügen, dass westliche Firmen sich viel zu oft an der Beschneidung der Internetfreiheit beteiligen, indem sie Überwachungs- und Zensurtechnologien an diese autoritären Staaten liefern.

In den letzten zwei Wochen, als das Gaddafi-Regime sich langsam auflöste, berichtete das Wall Street Journal über Amesys, eine französische Firma, welche die libysche Regierung bei der Überwachung von digitaler Kommunikation unterstützte.

Bloomberg News lieferte einen ausführlichen Bericht über eine von Nokia Siemens konzipierte Überwachungssoftware, welche zur Aufspürung von Dissidenten in Bahrain genutzt wurde, von denen einige gefoltert wurden.

Der arabische Frühling: Nur der Anfang vom Ende autoritärer Systeme

Ich begann meine Ausführungen mit der These, dass es noch vor einem Jahr schwer gewesen wäre, sich vorzustellen, dass drei der gefestigtsten Diktatoren im arabischen Nahen Osten gestürzt würden. Gleichermaßen übersteigt es unsere Vorstellungskraft, Voraussagen darüber zu treffen, wie sich die Situation in einem Jahr darstellen mag.

Wir wissen, dass es außergewöhnlichen Anstrengungen und viel Zeit bedarf, einen erfolgreichen Übergang von der Diktatur zur dauerhaften Demokratie in die Wege zu leiten.

Aufgrund der Tatsache, dass wir uns zum jetzigen Zeitpunkt erst am Anfang des Endes dieser Systeme befinden, sollten wir mit größerer Sorgfalt die Rolle der sozialen Medien untersuchen, um so zu identifizieren, wo sich ihre größten Mehrwerte bieten und ob es tatsächlich in der Natur neuer Medien liegt, die demokratische Entwicklung zu begünstigen.

In Anbetracht der enormen Aufwendungen an Zeit, Mühe und Ressourcen, welcher der Aufbau demokratischer Gesellschaften bedarf, sollten wir uns davor hüten, in zu große Abhängigkeitsverhältnisse zu neuen Technologien zu treten und so andere wichtige Aspekte der Demokratieentwicklung zu vernachlässigen.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.