M100 Media Forum in Tblissi: Kampf um demokratische Räume

12. Juli 2023. Unabhängige Medien und eine aktive Zivilgesellschaft sind ein Fundament für die Demokratie, die durch autokratische Regierungen bedroht werden. Beim M100 Media Forum in Georgien diskutierten rund 30 nationale und internationale VertreterInnen aus Medien und Zivilgesellschaft, wie öffentliche Räume für gesellschaftlichen Diskurs und Wandel gestärkt werden können.

Demokratien weltweit – und die liberale internationale Ordnung – stehen vor vielfältigen Herausforderungen, die die Grundlagen ihrer Werte und Institutionen in Frage stellen. So ist der neue geopolitische Wettbewerb unserer Zeit auch ein Kampf um die Rolle, die Bedeutung und letztlich die Zukunft der Demokratie. Diese Entwicklungen standen im Mittelpunkt intensiver, manchmal düsterer, aber immer aufschlussreicher Diskussionen im Rahmen des eintägigen M100 Media Forums unter dem Titel „Between Ambition and Disarray – The Future of Democracy“, das wir am 22. Juni gemeinsam mit der Alfred Herrhausen Gesellschaft (AHG) in der georgischen Hauptstadt Tbilissi veranstaltet haben. Die Diskussionen fanden unter Chatham House Rules statt.

Georgien, ein ehemaliger „Ort der Hoffnung“ (Die Zeit), hat in den letzten Jahren einige Rückschläge beim Übergang zur Demokratie hinnehmen müssen und ist mit massiven Spannungen konfrontiert. Gleichzeitigt zeugen die Demonstrationen wie die gegen das umstrittene „Agenten“-Gesetz im März 2023 von der Stärke und Resilienz der georgischen Zivilgesellschaft und schüren die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel. Wie also kann man diese Kraft in Richtung einer positiven, zukunftsorientierten Veränderung lenken?

Bei unserem Media Forum diskutierten 30 internationale und lokale VertreterInnen von Medien und der Zivilgesellschaft, wie die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien die demokratischen Ströme stärken und wie sie selbst unterstützt werden können. Ein Ziel der gemeinsam vom M100 Sanssouci Colloquium und der Alfred Herrhausen Gesellschaft initiierten Reise war, die Perspektive zu wechseln: Also nicht im Westen über den Osten, sondern in einem osteuropäischen Land über Osteuropa und den Blick des Westens auf Osteuropa und in diesem speziellen Fall auf Georgien zu diskutieren.

Botschafter Ernst Peter Fischer

Eröffnet wurde die von Leonard Novy, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik und M100-Beiratsmitglied, moderierte Konferenz vom deutschen Botschafter in Georgien, Ernst Peter Fischer, mit einem Impuls zu den deutsch-georgischen Beziehungen. Es folgen drei Strategic Roundtable zu den Themen Demokratie, Desinformation, Geopolitik, der Rolle der Zivilgesellschaft und der unabhängigen Medien sowie der Berichterstattung westlicher Medien über Georgien aus georgischer Sicht. Moderiert wurden die Roundtable von Antonia Marx, Projektleiterin AHG, und Nino Gelashvili, Leitende Redakteurin des Büros von Radio Free Europe/Radio Liberty – Radio Tavisupleba in Tbilissi.

Inputs kamen von Vazha Tavberidze, Journalist und politischer Analyst im Büro Tbilissi von Radio Free Europe/Radio Liberty – Radio Tavisupleba, Anja Wehler-Schöck, Leiterin der Abteilung Internationale Politik beim Tagesspiegel, Ana Kakalashvili, Beraterin und Gutachterin beim OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte in Tbilisi, Marta Ardashelia, Journalistin und Gründerin des unabhängigen georgischen Online-Magazins SOVA, und Brigitte Baetz, freie Journalistin, unter anderem für den Deutschlandfunk.
Bei einer abschließenden Paneldiskussion erörterten Gigi Gigiadze, Senior Fellow des EPRC in Tbilisi, der britische Journalist Robin Forestier-Walker, der für den arabischen Sender Al-Jazeera aus Georgien berichtet, Tamar Kintsurashvili, Geschäftsführerin der Media Development Foundation Ge sowie Götz Hamann, Head of Digital Editions der Wochenzeitung DIE ZEIT, die Zukunft der Demokratie und stellten sich den Fragen des Publikums.

Paneldiskussion

Das sind die wichtigsten Ergebnisse:
● Georgien gilt aktuell nach wie vor als “potenzieller Beitrittskandidat“ der EU, der offizielle Kandidatenstatus soll erst nach der Erfüllung von Auflagen im Hinblick auf den weiteren Demokratisierungs- und Reformprozess vergeben werden. Die Empfehlungen der EU-Kommission werden in Georgien kontrovers diskutiert und die im Winter 2023 anstehende Entscheidung über den Kandidatenstatus mit Spannung erwartet. Angesichts des Umfangs und der Tiefe der von der EU-Kommission geforderten Reformen äußerten viele TeilnehmerInnen die Befürchtung, dass Georgien die Erwartungen nicht erfüllen kann und näher an Russland herangerückt wird.
● Die jüngsten Proteste im März 2023 wie auch schon 2021 zeugen von der Stärke und Resilienz der Zivilgesellschaft in Georgien. Aber die Öffentlichkeit ist auch stark fragmentiert und polarisiert, was demokratische Prozesse behindert und erschwert.
● Lange Zeit hat Georgien den Trends in der Region getrotzt und seine Bilanz in Bezug auf die Pressefreiheit kontinuierlich verbessert. In den letzten Jahren hat sich die Medienfreiheit jedoch rapide verschlechtert. Oppositionelle Fernsehsender sind noch in Betrieb, jedoch hat sich die Spaltung der Medienlandschaft in offen regierungsfreundliche und kritische Sender weiter verstärkt. Politisch ausgerichtete Eigentümer nehmen Einfluss auf die redaktionelle Politik ihrer Sender, die beiden Seiten haben aufgehört, direkt miteinander zu sprechen, und verlassen sich nur noch auf befreundete Medien, was die Polarisierung weiter verstärkt.
● Der Zugang zu gut recherchierten und vertrauenswürdigen Informationen ist schwieriger geworden. Staatliche Stellen blockieren Informationsanfragen. Darüber hinaus hat die Regierungspartei bisher keinen umfassenden Plan zur Umsetzung der EC-Empfehlung zur Gewährleistung freier, professioneller und pluralistischer Medien vorgelegt.
● Deshalb sind unabhängige Medien für eine informierte und widerstandsfähige Zivilgesellschaft extrem wichtig. Um gegen Propaganda-Medien zu bestehen und das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, ist es für sie besonders wichtig, akkurat, ausgeglichen, objektiv, aktuell und divers zu sein.
● Eines der drängendsten Probleme für journalistisch unabhängige Medien bleibt jedoch die Finanzierung. Es müssen neue Wege der Monetarisierung gefunden werden. Dabei müssen wir akzeptieren, dass die alten Regeln der Medienfinanzierung, die vor der Digitalisierung und der in den letzten Jahren wieder zunehmenden Autokratisierung galten, nicht mehr gelten.
● Was wissen die Menschen in Georgien über Deutschland? Und was wissen die Deutschen über Georgien? In einer sehr lebhaften Debatte über die gegenseitige Auslandsberichterstattung würde die Berichterstattung über Georgien in den westlichen Medien als oft klischeehaft und zu schwarz-weiß beschrieben.

Strategic Working Group

Zum Abschluss unseres Aufenthalts in Tbilisi besuchten wir am zweiten Tag das Institute for Development of Freedom of Information (IDFI) und die Georgian Foundation for Strategic and International Studies GFSIS (Rondeli Foundation).
Das IDFI ist eine georgische NGO, die 2009 von den beiden Historikern und Forschern Levan Avalishvili und Giorgi Kldiashvili gegründet wurde. Giorgi Kldiashvili und Giorgi Davituri, Leiter der Abteilung Rechtsstaatlichkeit und Medien, führten uns durch die Geschichte und die Arbeit des Instituts, dessen Ziel die Bildung einer informierten und handlungsfähigen Gesellschaft für eine demokratische Regierungsführung in Georgien ist. Das IDFI wolle das Bewusstsein der Bürger durch fundierte Informationsberichte, Forschung und Empfehlungen schärfen, um dadurch Menschenrechte und gute Regierungsführung zu fördern. Es setzt sich für die Initiierung und Umsetzung von Reformen der Politik, Gesetze und Praktiken ein, um die demokratische Regierungsführung zu verbessern.
Beim GFSIS gaben uns Kakha Gogolashvili, Senior Fellow, Director of EU Studies Center, Giorgi Badridze, Senior Fellow, Tornike Turmanidze, Senior Fellow, und Keti Emukhvari, Research Fellow, Einblick in die Arbeit des Instituts und die Möglichkeit für einen intensiven Austausch. Das GFSIS ist ein unabhängiger, gemeinnütziger Think Tank, dessen Mission es ist, “die politische Entscheidungsfindung in Georgien zu verbessern”, so Senior Fellow Shota Utiashvili. Dazu werden nicht nur Studien und Analysen erstellt, sondern auch politische Entscheidungsträger und Politikanalysten geschult. Weiterhin stehe “die Aufklärung der Öffentlichkeit über die strategischen Fragen, die sich Georgien und der Kaukasus im 21. Jahrhundert stellen müssen, die Förderung der Demokratie und die Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit” im Fokus der Stiftungsarbeit. Die GFSIS sei bestrebt, die Chancen und Probleme des Landes zu analysieren und “den Dialog zwischen Regierung und Wissenschaft zu fördern”, um den Weg des Landes in Richtung EU-Mitgliedschaft zu unterstützen.

Die Ergebnisse aus dem M100 Media Forum in Tbilissi sollen beim M100 Sanssouci Colloquium in Potsdam am 14. September aufgegriffen werden.

Die Veranstaltung wurde organisiert vom M100 Sanssouci Colloquium, dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IFM) und der Alfred Herrhausen Gesellschaft und fand in Kooperation mit Radio Free Europe und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Tbilissi statt.