Laudatio auf Nicola Sturgeon

Laudatio von Ministerpräsident Armin Laschet

Laudatio von Ministerpräsident Armin Laschet auf Nicola Sturgeon, Erste Ministerin von Schottland, anlässlich der Verleihung des M100 Media Award 2019

Sehr geehrte Frau Erste Ministerin Nicola Sturgeon,
sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Mitglieder des Beirats des M100 Sanssouci Colloquiums,
meine Damen und Herren,

Vielen Dank für die Einladung, vielen Dank, die Laudatio auf die Erste Ministerin von Schottland halten zu können.

Dieser Rahmen ist natürlich der richtige, um über europäische Öffentlichkeit nachzudenken. In den Jahrhunderten vor uns waren diese Königshöfe Orte europäischer Öffentlichkeit.

Ich komme aus Aachen.
Karl der Große hat aus Großbritannien, aus York beispielsweise, Alkuin kennengelernt, in Parma in Italien, hat ihn an seine Hofschule, an seinen Hof geholt. Er hat dort die Bildung vorangebracht, wurde am Ende Abt in Tours in Frankreich.
Das war europäische Öffentlichkeit, die sich rund um Königshöfe abspielte.
Und die Debatten Friedrichs des Großen mit Voltaire hier in Potsdam, hier in Sanssouci sind auch ein späteres Beispiel dafür, wie diese Höfe so etwas wie eine Öffentlichkeit, allerdings natürlich nur für Eliten der damaligen Zeit, schuf.

Und deshalb ist die Kernfrage, wie schaffen wir denn heute ohne Königshöfe eine europäische Öffentlichkeit, eine, wie Wolfgang Schäuble eben angesprochen hat, mit ein paar Beispielen, an denen wir merken, sie beginnt zu entstehen – Fridays for Future ist nicht nur eine deutsche, eine nationale Bewegung, sondern diese gibt es überall, das werden wir am Freitag massiv erleben – aber es ist noch nicht gelungen, mit den technischen Möglichkeiten die wir haben, uns über die anderen Länder zu informieren.

Ich habe daran erinnert, als der Aachener Vertrag unterschrieben wurde, steht da in den Texten drin, zwischen Deutschland und Frankreich: „Wir müssen bei den Medien enger zusammenarbeiten“.

Als Adenauer und de Gaulle den 1963 geschrieben haben, hatte man, wenn man Glück hatte, zwei Tage später am Hauptbahnhof Le Monde oder Le Figaro und konnte die Zeitung lesen.

Heute können Sie diese zeitnah am Abend im Internet lesen, aber meine These ist, sie wird nicht mehr gelesen, als zu der Zeit, als sie am Bahnhof 1963 kaum erhältlich war.
Und dieses herzustellen, die technischen Möglichkeiten, die wir hätten, uns über die anderen Länder zu informieren, zu nutzen, in unserem Alltag, das ist, glaube ich, eine Aufgabe, vor der Medien gerade in dieser Zeit stehen.

Nun sind Großbritannien und Deutschland, auch Nordrhein-Westfalen, eng miteinander verbunden. Unser Land Nordrhein-Westfalen wurde durch die Briten gegründet. 1946. Bevor es eine Bundesrepublik Deutschland gab, war das Land da. Das ist unser föderales Verständnis. Die Länder waren da, bevor sie sich dann irgendwann mal einen Bund gegründet haben.

In Großbritannien war der Weg umgekehrt. Die Macht, die nach Schottland gegangen ist, wurde von der Zentrale „heruntergegeben“ nach Schottland, nach Wales, nach Nordirland und nach England, weil man wusste, es ist klüger nicht alles zentral zu steuern, sondern manche Probleme dezentral zu lösen.
Und die Schotten haben das intensiv für sich genutzt.

Aber dieser Prozess, „Operation Marriage“ hieß die, weil man Westfalen und Rheinland zusammengebracht hatte – manche haben gesagt, das war keine Marriage, das war eher eine Zwangshochzeit, weil sie nicht geliebt war – war aber eine britische Gründung, die bei den Medien ansetzte.

Und ich darf da nochmal in Erinnerung rufen, die Medien waren da ehe die Politik da war.

Die Stadt Aachen wurde befreit im Oktober 1944. Amerikanische Truppen kamen von Westen. Die Stadt war dann befreit in einer Zeit, als im Rest Deutschlands noch der Krieg tobte und Millionen Menschen ihr Leben ließen. Die Bombardierung Dresdens war im Februar danach.

Und das demokratische Leben begann mit Zeitung. Die Lizenz Nummer 1 einer deutschen Zeitung waren die Aachener Nachrichten, erschienen im Januar 1945. Da gab es noch keinen Stadtrat, noch keinen Staat, noch kein Parlament, aber die freie Presse war da.

Und deshalb ist das so fundamental für ein Staatswesen, dass es eine freie Presse gibt. Und deshalb ist das so beunruhigend, was wir in diesen Tagen erleben.

Wir feiern jetzt gerade im September 70 Jahre Bundestag, 70 Jahre Bundesrepublik Deutschland, haben gedacht, alles was da erkämpft wurde, ist dann irgendwann selbstverständlich.
Und plötzlich erleben wir, dass freie Presse, dass Unabhängigkeit der Justiz, dass alles das, für das man so gestanden hat, überall in Europa plötzlich wieder hinterfragt wird, überall in der Welt hinterfragt wird.

Dass man die größte Macht der Welt regieren kann, indem man die wichtigsten Medien des Landes zu Fake News erklärt, das ist eine neue Situation, in der wir uns befinden.

Heute ist der 25. Todestag von Sir Karl Popper. Der hat 1945, als hier in Potsdam die Welt neu geordnet wurde, das Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ geschrieben. 1945. Das könnte er morgen wieder veröffentlichen und wir hätten wieder die Feinde dieser offenen Gesellschaft, die wieder aggressiver und lauter auftreten, als wir das in den letzten Jahrzehnten gewohnt waren.

Und deshalb gibt es da vieles, was Deutschland, und die deutschen Länder, verbindet mit Schottland, mit dem Bemühen Schottlands diese europäischen Werte hochzuhalten, auch in einer Zeit von Populismen.

Und, in Deutschland ist es aus der Mode gekommen mit dem europäischen Projekt den Frieden zu verbinden.
Da sagt man, ja, das haben eure Großeltern erzählt, das war mal wichtig zwischen Deutschland und Frankreich, ja, das haben wir verstanden, aber eine Friedensfrage ist das doch heute nicht mehr, Europa.

Fragen Sie mal Iren, und Nordiren, und die, die das Karfreitagsabkommen unterzeichnet haben, was es bedeuten würde, wenn die irische Grenze, eine EU-Außengrenze werden könnte. Und, wir sagen ja alle in jeder Rede, wir müssen die Außengrenzen schützen. Können Sie sich vorstellen, wie diese Außengrenze zwischen Nordirland und Irland dann geschützt wird? Nämlich geschlossen. Und was das für den Friedensprozess in Nordirland bedeuten könnte?

Alleine diese kleine, beim Brexit sicher kaum eine Rolle spielende Frage, zeigt, wie wichtig dieses europäische Projekt ist, unabhängig von den wirtschaftlichen Fragen, unabhängig von den Lieferketten, die uns alle verbinden, und unabhängig von dem, was Schottland aus seiner besonderen Situation gemacht hat, nämlich eine dynamische Region mitten in diesem Vereinigten Königreich zu sein, mit all den Chancen, die der europäische Binnenmarkt geboten hat.

Wir verdanken den Schotten und den Briten vieles, auch nach 1945. Wir erinnern uns daran, dass viele schottische Soldaten in der britischen Armee gekämpft haben und nach dem Krieg in Deutschland stationiert waren. Einer aus Glasgow im 51. Highland Divisionsregemt hat einen Sohn geboren, der hieß David McAllister. Er ist in Deutschland Ministerpräsident geworden und hat in der deutschen Armee nachher gedient. Die Vorstellung, der Sohn eines am Anfang Besatzungsoffiziers ist am Ende in einer Armee der Deutschen Offizier geworden, ist ein besonderes Zeichen, wie eng die Länder verbunden waren und wie wir diese neue Situation nach dem Zweiten Weltkrieg gestaltet haben.

Die „Scottish Ingenuity“, Schottischer Erfindergeist, klingt viel schöner als Deutsches Ingenieurwesen, ist etwas, was wir in Deutschland mehr gebrauchen könnten. Die Schotten haben wir gesamte westliche Philosophie, die Kunst, die Kultur viel stärker geprägt, als man mit einer Region von fünf Millionen Menschen vermuten würde.

Adam Smith als Vater der Nationalökonomie, oder David Hume als Philosoph der Aufklärung sind uns allen ein Begriff. Und nur wenige wissen, dass der Begriff „common sense“ ein Konzept aus der Schottischen Aufklärung ist.

Ich würde mir manchmal, in diesen aufgeheizten und polarisiereden Debatten unserer Tage, mehr von diesem „common sense“, den die Schotten als Begriff entwickelt haben, auch in unseren Debatten wünschen.

Und mit diesen schottischen Tugenden ist das heutige Schottland auch dank seiner tatkräftigen Regierungschefin zu einer modernen, technologieaffinen Region geworden, die vor allem nach vorne schaut. Das sieht man z. B. an dem hohen Wert, den die Chancengleichheit in Schule und Universitäten oder die Gleichstellung von Mann und Frau in Schottland genießen. Und man sieht es auch an der großen Zahl erfolgreicher Start-Ups in Schottland.
Aus sehr traditionsreichen Universitäten wie St. Andrews und Edinburgh wird heute die Zukunft erschlossen.

Es ist also kein Wunder, dass Nicola Sturgeon als Erste Ministerin ihres Landes sich mit Leidenschaft und sehr guten Argumenten für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union einsetzt.

Liebe Nicola, Sie sind eine Freundin Europas und eine verlässliche pro-europäische Stimme in Großbritannien.

Dear Nicola,
you are a reliable friend of Europe. And your’s has been a strong a voice for cooperation and reason in the whole debate about Britain leaving the European Union.

Therefore, I am happy that your advocacy for a united Europe is being honored with this year’s M100 Media Award. Congratulations.

Und liebe Frau Sturgeon, das war kein einfacher Weg: Mit 16 Jahren sind Sie in die Scottish National Party eingetreten.
National Party klingt bei uns, als sei das eher etwas auf der politischen Rechten.
Es ist eine eher linke Partei, hat mir David McAllister mal erklärt.
Eine Partei, die sich als Volkspartei versteht.
Da sind Sie eingetreten mit 16, um die Rolle Schottlands zu stärken.

Nach einem erfolgreichen Jurastudium und ersten politischen Gehversuchen an der Universität, gab es immer wieder auch Rückschläge bei Wahlen.
Es hilft manchmal nicht. Ich kenne das. Rückschläge bei Wahlen können einen stärken.

Doch, liebe Nicola, Sie ließen sich eben nicht entmutigen. Sie blieben bei Ihren Überzeugungen, bei Ihrem Engagement für die Menschen in Ihrem Wahlkreis im Süden von Glasgow und für einen schottischen Akzent in der Politik.

Und nun sind Sie seit fünf Jahren Erste Ministerin Ihres Landes und werden weit über Schottland und das Vereinigte Königreich hinaus als eine weitsichtige und tatkräftige Politikerin wahrgenommen.
Es besteht kein Zweifel an Ihren Werten, an Ihrer Intelligenz und auch an Ihrer Sachlichkeit, wie Sie Politik betreiben, mit Argumenten versuchen, auch dem, der eine andere politische Meinung hat, entgegenzutreten.

Und es ist immer der common sense, das Gemeinsame suchend, das Gegenmodell von „Mein Land First“, sondern gemeinsame Lösungen entwickeln, ist was sie im Besonderen auszeichnet.

Und nicht umsonst verweisen Sie in einem gemeinsamen Interview für Die Welt und La Republica darauf, dass die Polarisierung, die wir aktuell im Vereinigten Königreich sehen, zu einem Teil von der weltweiten Welle des Populismus inspiriert ist.
Sie sagen wörtlich: „Ganz viel davon kommt sicher aus Trumps Politik-Handbuch.“

Nun sind wir alle Transatlantiker. Alle enge Freunde der Vereinigten Staaten. Ich habe eben beschrieben, wie wir im Westen befreit wurden von den Amerikanern. Das wissen immer noch sehr viele Menschen. Wie Berlin von der Luftbrücke gelebt hat, von der Solidarität der Amerikaner in schwieriger Zeit.

Aber, das heißt nicht, dass wir mit jedem Schritt der Administration zufrieden sind. Und in solchen Zeiten lohnt es, in die Regionen zu gucken. Ich habe vor wenigen Wochen Gouverneure aus den Vereinigten Staaten getroffen. Die sagen: Wir sagen Ja zum Pariser Klimaabkommen.

Der Präsident ist ausgestiegen, die Administration in Washington ist ausgestiegen, aber Kalifornien arbeitet weiter an den Zielen des Pariser Klimaabkommens. Washington State arbeitet weiter an diesen Zielen.
Unser alter Freund Phil Murphy, als Gouverneur in New Jersey, fühlt sich den Pariser Klimaschutzzielen verpflichtet.

Und deshalb haben wir jetzt eine Kooperation zwischen deutschen Bundesländern und amerikanischen Bundesstaaten, um weiterzumachen für den Zeitpunkt, dass vielleicht auch die Administration einmal wieder eine andere ist.

Und deshalb frage ich mich, ganz gleich wie die Briten jetzt entscheiden, ganz gleich wie die Schotten für sich ihren Weg definieren, wenn es zum Brexit kommt: Sollen wir nicht zwischen den Ländern versuchen, die Kooperation mit denen, die pro-europäisch denken, auch in Zukunft zu gestalten? Sollen wir nicht bei den staatlichen Möglichkeiten, den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten, die Schottland hat im Vereinigten Königreich, weiter versuchen den Acquis communautaire der Europäischen Union zumindest in den Gebieten, wo man zuständig ist, einfach weiter zu übertragen?

Deutschland hat da übrigens ein Beispiel. Berlin, West-Berlin, war bis 1985 formell in einer nicht deckungsgleichen Lage zum Deutschen Bundestag. Und trotzdem hat West-Berlin immer jedes Bundesgesetz dann als Berliner Gesetz übernommen und damit war ein ähnlicher Rechtsraum gegeben.

Wenn das gelingen kann, dass Schottland für die Felder, wo es zuständig ist, auch in Zukunft europäisch orientiert bleibt, dann ist das, glaube ich, eine Perspektive, die über den Tag hinausweist.

Und deshalb wünsche ich erstmal allen, die noch bemüht sind einen guten Weg für Großbritannien eng an Europa oder in Europa, die Entscheidung wird in Großbritannien gefällt, alle denen wünschen wir viel Kraft, viel Erfolg, auch viel juristischen Erfolg – in dieser Woche sind möglicherweise wichtige Entscheidungen beim Supreme Court anhängig.

Wir tun alles mit Städtepartnerschaft, Jugend- und Schüleraustausch, wissenschaftlicher Kooperation, und, und, und, um eng mit Schottland und Großbritannien in Kontakt zu bleiben.

Und wir danken vor allem Ihnen, liebe Nicola Sturgeon, für Ihre klare Haltung, ihr unermüdliches pro-europäisches Engagement.

Der „M100 Media Award“ ist ein Zeichen der Dankbarkeit, ein Zeichen der Ermutigung, ein Zeichen der Anerkennung für Ihren Einsatz für Europa.

Ich gratuliere ganz herzlich der Preisträgerin 2019. Herzlichen Glückwunsch.