Herr Bundespräsident,
Frau Präsidentin,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
Sie, Frau Osmani-Sadriu ehren zu dürfen – das ist eine Ehre für den, der das tun darf. Sie sind eine wirklich inspirierende, eine herausragende Persönlichkeit. Und das wird ausgezeichnet mit dem M100 Media Award.
Meine Damen und Herren, vor (ziemlich genau) 240 Jahren, im Jahr 1784, schrieb Immanuel Kant: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ und selbstverschuldet ist die Unmündigkeit, wenn sie nicht auf einem Mangel an Verstand, sondern auf einem Mangel an „Entschließung und Mut“ beruht – also mündet in dem Unwillen oder der Unfähigkeit, sich des eigenen Verstandes zu bedienen.
Frau Präsidentin, als ich Sie kennenlernen durfte und ein wenig Ihrem Werdegang und Ihrem politischen Wirken nachspüren konnte, da kam mir diese Kant’sche Definition in den Sinn. Denn exakt das verkörpern Sie: die Entschiedenheit und den Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Das hat Folgen. Ich greife einige Aspekte heraus:
Präsidentin Osmani engagiert sich unerschütterlich für Freiheit und Demokratie, für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Damit wird unter neuen, heute besseren Bedingungen fortgesetzt, wofür ihr großer Vorgänger Ibrahim Rugova schon einstand. Das politische Erbe des Präsidenten Rugova wird in ihrer Persönlichkeit bewahrt und, wie es im Kosovo heisst, es lebt fort im Geiste des ‚Rugovismus‘. Das bedeutet: der Kraft der Mitmenschlichkeit und der Vernunft zu vertrauen; jedem Menschen das gleichberechtigte Streben nach Glück zuzubilligen, ja zu ermöglichen; also auch: die Stärke des Rechts zu sichern und das vermeintliche Recht des Stärkeren nicht hinzunehmen – das soll nicht nur gelten zwischen Individuen oder in Gesellschaften, sondern auch zwischen Nationen und Staaten.
Selbstverständlich ist das alles nicht, gesichert schon gar nicht – sondern immer wieder herausgefordert. Und wenn ich schon Kant zitiert habe, dann erlauben Sie mir noch eine zweite Bemerkung: Als er seine Schrift „Zum ewigen Frieden“ veröffentlichte, da waren zum ersten Mal Gedanken in der Welt – das können Sie dem als Vertrag konzipierten vorgestellten Gedanken entnehmen –, dass z.B. ein Staat nicht das Recht habe, sich einen anderen zu kaufen oder anders einzuverlaiben; dass z.B. der Weg des Einzelnen in der Gesellschaft und seine friedliche Entfaltung die Voraussetzung für den Frieden in und zwischen Nationen sei.
Und wir alle wissen, dass von der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und von der französischen Revolution und von den Schriften Kants bis heute vieles übriggeblieben ist, was sich in der Charta der Vereinten Nationen, in der Erklärung der Menschenrechte und anderem wiederfindet. Wir wissen aber auch, die Geschichte belehrt uns darüber, dass alles das nicht gesichert ist. Im Gegenteil: herausgefordert, gefährdet und manchmal – wie wir in den letzten zwei Jahrhunderten haben bezeugen und erleben müssen – in brutalster Weise missachtet, zu Lasten von Menschen, ihres Lebens und ihrer Würde.
Das ist der Hintergrund für die Herausforderungen, die Präsidentin Osmani angenommen hat. Sie hat mitgewirkt an der Verfassung ihres Landes; sie vertrat ihr Land vor dem Internationalen Gerichtshof, wie eben schon gesehen, und diese Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeit des Kosovo, das sollte nicht einige, sondern alle Staaten in der Europäischen Union (und darüber hinaus) ermuntern, diese Unabhängigkeit auch tatsächlich anzuerkennen.
Wie alle Staaten des Balkans so ist auch der Kosovo Teil Europas – und das meine ich nicht geographisch. Wir alle wissen, dass der Weg in die Europäische Union nicht etwa ein einfacher Willensakt ist, wie durch eine Tür durchzuschreiten und dann ist man drin. Jedes Land in Europa, auch Deutschland, ist letztlich nämlich zu klein, um sich auf dieser Welt zu behaupten – nur gemeinsam haben die europäischen Länder und Staaten die Möglichkeit, Frieden und Freiheit zu bewahren und ihre, lassen sie mich das einmal so sagen, ihre Zivilisation eines guten Lebens zu sichern. Die Auszeichnung von Präsidentin Osmani würdigt ihre Bemühungen, Kosovo in genau diesem Geiste in Europa und auch in der Welt als Leuchtturm für Hoffnung und Fortschritt zu positionieren.
Der politische Weg von Präsidentin Osmani ist ein Beispiel für die Stärke und für den Geist der Menschen im Kosovo selbst. Sie verkörpert Widerstandsfähigkeit eines Volkes, das sich aus der Asche des Krieges erhebt; sie verkörpert, dass Wahrheit und Gerechtigkeit den Weg weisen. Ihr Engagement für Europa, die euro-atlantischen Werte, das ist ein aufrichtiges Versprechen; ein Versprechen an die Bürger, denen sie dient und ein Versprechen darauf, dass ihre Stimmen gehört, ihre Rechte geschützt und ihre Zukunft gesichert werden sollen.
Das ist mehr als ein einfacher politischer Ehrgeiz. Schon gar nicht ist es eine Phrase.
Wer in Mitrovica – und ich denke, einige wissen, was das bedeutet im Kosovo – wer in Mitrovica 1982 geboren wurde, wer also seine Kindheit als Teil einer zunehmend bedrängten, dann gefährdeten, schließlich der Vertreibung ausgesetzten Minderheit erlebte;
wer als junge Frau – sagen wir es mal so – in einer traditionell-männlich geprägten Umgebung Rechtswissenschaften studiert;
wer dabei so erfolgreich ist, in den USA promoviert, dort Recht lehrt und praktiziert und zugleich Politik erst begleitet, dann gestaltet;
wer in seine gebeutelte Heimat zurückkehrt, dabei so engagiert und erfolgreich ist und zugleich ein aufmerksamer und zugewandter Mensch ist und bleibt – dem ist politische Verantwortung „eingebrannt“.
Die Verleihung dieser Auszeichnung unterstreicht dieses Engagement von Präsidentin Osmani für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Unermüdlicher Einsatz für die Integration des Kosovo in die euro-atlantischen Strukturen ist eine Vision, die in der Überzeugung wurzelt, dass jeder Bürger den Schutz von Freiheiten, Rechten und Chancen verdient; dass das Streben nach Reformen, der Kampf gegen die Korruption und die Bemühungen um die Stärkung der demokratischen Institutionen dazugehören. Das alles ist auch Ausdruck von Vertrauen in das Potenzial ihres eigenen Landes und seiner Menschen.
Deshalb steht unter der Führung von Präsidentin Osmani auch der Kampf gegen die Korruption im Mittelpunkt – nicht nur als eine politische Priorität, sondern auch als ein moralisches Gebot. Sie weiß, dass eine Demokratie nur dann wirklich gedeihen kann, wenn sie durch Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität untermauert wird. Und ich fürchte sogar, wir in Deutschland werden uns dieser Überlegung noch neu und unter ganz schwierigen Herausforderungen zuwenden müssen. Denn wenn die Tatsachen nicht mehr Tatsachen, die Wahrheit nicht mehr Wahrheit sein kann, dann steht viel auf dem Spiel – und nicht nur am übernächsten Sonntag in Brandenburg.
In einer Region aber, in der die Narben des Konflikts noch immer sichtbar sind, hat Präsidentin Osmani bewiesen, dass Mut und prinzipientreue Führung größte Herausforderungen überwinden können. Ihre Bemühungen um die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit zeugen von ihrer Überzeugung, dass eine gerechte Gesellschaft eine Gesellschaft ist, in der niemand über dem Gesetz steht und alle vor dem Gesetz gleich sein müssen.
Das gilt auch für einen anderen Teil des Engagements der Präsidentin, nämlich die Stärkung der Rechte – insbesondere von Frauen.
Sie weiß, dass die Stärke einer Nation nicht allein an ihrer militärischen oder wirtschaftlichen Macht gemessen wird, sondern an den Möglichkeiten, die sie allen ihren Bürgern bietet, unabhängig von deren Geschlecht.
Ihr Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter und ihr Eintreten für die Rechte der Frauen und – wenn ich das in diesem Zusammenhang dennoch sagen darf – der Minderheiten, das ist ein konsequenter und beharrlicher Einsatz dafür, dass jungen Frauen und Mädchen im Kosovo – und auf der ganzen Welt – gezeigt werden kann, dass ihre Träume wichtig sind, dass es keine Grenzen gibt für das, was sie erreichen können. Vor allem aber hat Präsidentin Osmani ihr Land in die globalen Bemühungen um die Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit einbezogen und dafür gesorgt, dass Frauen auch in ihrem Land an allen Entscheidungen beteiligt werden.
Frau Präsidentin Osmani ist standfest. Sie hat sich denen widersetzt, die den Fortschritt ihres Landes untergraben wollen. Sie hat uns daran erinnert, dass Freiheit kein Geschenk ist, kein Geschenk, das man als selbstverständlich ansehen dürfte, sondern ein Recht, dem auch eine Verpflichtung gegenübersteht. Die Verpflichtung nämlich, die Freiheit in jeder Hinsicht zu schützen und zu verteidigen. Dazu braucht man Entschlossenheit und den Glauben an Werte, die uns allen am Herzen liegen.
Ein anderer und vorletzter Aspekt ist die Arbeit von Präsidentin Osmani auf der Weltbühne und der Bedeutung dort, die ja auch durch diesen Preis gewürdigt wird. Nicht nur, dass das Kosovo in die euro-atlantische Gemeinschaft integriert werden sollte, nicht nur dass damit Integration, Zusammenarbeit und gegenseitiger Respekt verbunden sind. Nein, es ist auch ein Aufruf, die Beiträge dieser jungen Republik zu würdigen, die trotz schlechter Voraussetzungen, vieler Herausforderungen den Aufbau einer besseren Zukunft mutig anpackt. Dabei ist Präsidentin Osmani zu einer prominenten Stimme in internationalen Foren geworden.
Wenn wir sie also heute ehren, dann ehren wir auch das Volk des Kosovo, seinen Weg zu Demokratie und Selbstbestimmung und die Tatsache, dass das alles andere als einfach war und bleibt. Wir ehren eine Führungspersönlichkeit, die weiß, dass die Stärke auch in den Werten liegt, die ein Volk hochhält. Insoweit ist die Führung von Präsidentin Osmani wahrscheinlich nicht nur für die Menschen im Kosovo eine Quelle der Hoffnung und der Inspiration, hoffentlich auch für uns, die wir an die Kraft der Demokratie glauben, die Fähigkeit Leben und Lebensumstände zu verbessern, Einheit zu fördern und Gesellschaften entsprechend zu entwickeln.
Vor einigen Monaten hat Präsidentin Osmani an dem Friedensgipfel für die Ukraine teilgenommen. Sie sagte dort: „Vor nur 25 Jahren war ich ein Kriegskind unter vielen anderen Kindern im Kosovo, die sich in den Bergen des Kosovo versteckten und hofften, dass Menschen wie Sie kommen und uns retten würden. Ihr habt mir die Möglichkeit gegeben, 25 Jahre später zurückzukehren, und ich danke euch, dass ihr die Augen vor dem Leid der Kinder im Kosovo nicht verschlossen habt.“
Damals, vor 25 Jahren, war ich Verteidigungsminister und auch Präsident der Europäischen Sozialdemokraten. Das war eine Zeit, als die NATO – nach monatelangen, teils verzweifelten, am Ende leider vergeblichen Verhandlungen – die Vertreibung und die Verfolgung, die Kriegsverbrechen im Kosovo und an den Kosovaren militärisch beendete. Ich denke, die Verleihung dieses Preises an Präsidentin Osmani ist nicht nur ein Zeugnis für ihre unermüdliche Arbeit, sondern auch ein Zeugnis für die Werte, die uns damals zusammenhielten und die uns heute zusammenhalten.
Verehrte Frau Präsidentin, das ist eine Anerkennung und eine Ermutigung. Eine Anerkennung von Führungsstärke, von Mut, von Überzeugung, von konsequentem Eintreten für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Ich denke, der Weg ist noch lange nicht zu Ende – weder der Weg des Kosovo, noch Ihr persönlicher. Und deshalb wünsche ich Ihnen, sicher im Namen aller Anwesenden, dass Sie weiterwirken über die Grenzen und Generationen hinweg – mit Weitblick und Integrität.
Wir danken Ihnen, wir wünschen Ihnen alles Gute und ich persönlich gratuliere Ihnen sehr herzlich.