„Ich habe mehr Schrecken gesehen, als ich mir vorstellen konnte“

21 Nachwuchsjournalisten aus 17 europäischen Ländern beim M100YEJ über Fake News und Desinformation

Potsdam, 29. August 2022. „Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine habe ich in Telegram-Chats mehr Schrecken gesehen, als ich mir je hätte vorstellen können“, schreibt die lettische Journalistin Paula Anna Koškina in ihrem Bewerbungsessay. Sie gibt darin Einblicke in ihren Arbeitsalltag bei der Auslandsredaktion des öffentlichen Rundfunksenders Latvian Televison: „Die Pflicht, über die Geschehnisse dort zu berichten, hat sich auch auf mich ausgewirkt. Am Anfang hatte ich nicht viel Zeit, um die hereinkommenden Informationen zu verarbeiten, die Arbeit ging vor. Erst als ich nach Hause ging, konnte ich die Emotionen der täglichen Ereignisse an mich heranlassen. Nachts bin ich ungefähr jede Stunde aufgewacht und habe geschaut, ob der ukrainische Präsident noch lebt.“
Paula Anna ist eine von 21 Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten aus 17 europäischen Ländern, die für den diesjährigen M100 Young European Journalists Workshop (M100YEJ) aus über 70 Bewerbern ausgewählt wurden. Er findet vom 10. bis 15. September 2022 in den Räumen der Friedrich Naumann Stiftung in Berlin sowie in Potsdam-Sanssouci statt.

Unter dem Titel „Journalistische Unabhängigkeit in Zeiten des Kriegs – Der Umgang mit Fake News und Desinformation“ behandelt der M100YEJ auch in diesem Jahr ein aktuelles und enorm wichtiges Thema – nicht nur für Journalisten, sondern für alle Teile der Bevölkerung. Denn Desinformation und Fake News haben Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, unsere Politik, unsere Wirtschaft, auf die Demokratie, die Meinungs- und Pressefreiheit und auf unsere Sicherheit.
Das zeigt nicht zuletzt die Invasion Russlands in die Ukraine am 24. Februar dieses Jahres, die schon lange im Vorfeld von russischer Seite durch gezielte Falschinformationen vorbereitet wurde. Hier wird, parallel zum militärischen Krieg mit all seinem Leid und Schrecken, auch ein verbitterter Informationskrieg geführt, ein Krieg um Bilder, Emotionen, Deutungshoheit und Wahrheit.

Mit Kriegsberichterstattung haben bereits einige der 21 Nachwuchsjournalisten Erfahrung. „Im Jahr 2020 sollte ich als Journalistin in einem Kriegsgebiet in meinem Heimatland arbeiten“, berichtet die armenische Journalistin Nane Manukyan in ihrem Bewerbungstext. „Dort stieß ich auf eine enorme Menge an Falschinformationen und Fake News, wodurch mir bewusst wurde, wie wichtig Faktenüberprüfung und journalistische Objektivität sowie Integrität sind. Vor allem nach dem Krieg wurde mir klar, dass Lügen und ungeprüfte Informationen für den Leser Menschenleben, Beziehungen und den Ruf (sowohl von Journalisten als auch von einem bestimmten Land) kosten können.“

Der niederländische Journalist Tim Kohnen schreibt, wie schwierig es sei, sicherzugehen, dass eine Quelle zu 100 % vertrauenswürdig ist. „Das Aufkommen von Fake News und Desinformationen, zum Beispiel in der EU über den Krieg in der Ukraine oder in den USA über die Abtreibung, setzt Journalisten zusätzlich unter Druck.“

Auch auf die Bedeutung von mentaler Gesundheit im Journalismus wird im Laufe des sechstägigen Workshops eingegangen. Denn mit dem Anstieg bewusst verbreiteter Falschinformationen im Netz wächst auch der Druck auf Redaktionen und Journalisten. Dazu kooperiert M100 mit dem JJS, dem Verband Junger Journalistinnen und Journalisten Schweiz, deren Vorstandsmitglied Karin A. Wenger mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in einem Side-Kick über mentale Gesundheit, ihre eigenen Erfahrungen und Probleme diskutiert.
Als Experten für Fake News und Desinformation konnten zudem gewonnen werden: Caroline Lindekamp, Head of Project “noFake”, CORRECTIV, Eva Wackenreuther, Leiterin Factchecking-Ressort AFP Österreich, Agnieszka Maria Walorska, Unternehmerin und Gründerin Creative Construction, Sophie Eyears, Strategic Partner Manager, News Integrity Europe META, Maximilian Hofmann, Head of News & Current Affairs, Deutsche Welle sowie Christiane Hoffmann, Stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung. Außerdem präsentieren die ukrainischen Journalisten Anastasiia Ivantsova, Roman Melnyk und Anna Romandash, die sich vor allem mit russischen False News und Desinformationen im Zusammenhang mit dem Krieg in ihrem Heimatland beschäftigen und allesamt Alumni von M100 sind, ihre jeweiligen Projekte und sprechen über Herausforderungen und Ziele ihrer Arbeit. Die Journalistin Victoria Graul, ebenfalls M100-Alumna, ist Gründerin des Podcasts „Digga Fake“ und gibt eine Einführung in die Gesamtthematik.

Höhepunkt des Workshops ist die Teilnahme an der internationalen Medienkonferenz M100 Sanssouci Colloquium am 15. September in Potsdam, bei dem die Teilnehmer ihre Ergebnisse vorstellen und ihre Eindrücke und Erfahrungen mit den über 60 hochkarätigen Teilnehmern der Konferenz teilen können.

Im Europäischen Jahr der Jugend will der M100YEJ dazu beitragen, jungen Menschen aus ganz Europa (EU und Länder der Östlichen Partnerschaft) mehr Gehör zu verschaffen, sie in ihrer beruflichen Entwicklung im Bereich Journalismus zu unterstützen, ihnen neue Kenntnisse zu vermitteln, sie mit wichtigen Schlüsselfiguren aus der Branche europaweit zu vernetzen und damit ihre Chancen und ihre berufliche Perspektive zu verbessern.

Biografien der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie der Workshopleiter finden Sie hier.
Eine Übersicht über das Programm finden Sie hier.

Der M100 Young European Journalists Workshop wird unterstützt von der Friedrich Naumann Stiftung und dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung.