Hauptrede von Christopher Walker

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrter Herr Westergaard,
sehr geehrter Herr Gauck,
lieber Lord Weidenfeld,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

zunächst möchte ich mich bei den Organisatoren dieser Veranstaltung dafür bedanken, dass sie die Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Thema gelenkt haben.
Freedom House hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Presse- und Meinungsfreiheit hervorzuheben, weil wir davon überzeugt sind, dass sich andere grundlegende Werte wie z.B. politische und wirtschaftliche Freiheiten darauf aufbauen. Wir sind der festen Überzeugung, dass eine freie und dynamische Medienlandschaft unverzichtbar für das Gedeihen demokratischer Strukturen ist. Aus diesem Grund möchte ich nun versuchen zu erörtern, warum die größeren Hürden für die Pressefreiheit, die Freedom House über die letzten Jahre identifiziert hat, wesentlich weitläufigere Auswirkungen haben.

Ich sollte zur Einführung erwähnen, dass die Überschrift meiner Rede, „Herausforderungen für die Pressefreiheit im 21. Jahrhundert“, etwas irreführend ist. Nicht alle dieser Herausforderungen sind modern oder neu. Die beschleunigte Entwicklung von Kommunikationstechnologien hat neue Herausforderungen für die Pressefreiheit geschaffen, die auf der einen Seite komplexe, fortschrittliche und moderne Eigenschaften besitzen, wobei auf der anderen Seite unzählige, sehr ernsthafte, traditionelle Hindernisse für Pressefreiheit bestehen bleiben.
Diese traditionellen Hindernisse treten besonders häufig in den östlichen Nachbarstaaten der Europäischen Union auf, die sich selbst 20 Jahre nach dem Mauerfall schweren – und in vielerlei Hinsicht wachsenden – Bedrohungen der Pressefreiheit ausgesetzt sehen. Daher stehen wir einer brisanten Mischung von neuen und alten Bedrohungen gegenüber.
Die kurze Zeit, die mir zur Verfügung steht, möchte ich dazu nutzen, die wichtigsten Aspekte derzeitiger Einschränkungen der freien Meinungsäußerung anzusprechen. Ich werde damit beginnen, was ich im weitesten Sinne als „neue Herausforderungen“ kategorisieren würde.

Neue Herausforderungen
Globalisierung und die damit einhergehenden neuen Technologien haben beispiellose Möglichkeiten für den Austausch und die Verbreitung von Informationen geschaffen.
Natürlich ist das in vielen Punkten eine positive Entwicklung.
Als die Globalisierung, wie wir sie heute kennen, im Laufe der letzten Generation in Schwung kam, schufen fortschrittliche Kommunikationstechnologien mehr Nischen für einen freien Austausch.
Das Internet ist dabei natürlich das Paradebeispiel, aber auch Mobiltelefone und SMS sowie verschiedene internetbasierte Tools and Anwendungen ermöglichten einen zuvor unvorstellbaren Umfang und Grad von Kommunikation.
Menschen haben heute die nötigen Mittel, nicht nur Medienkonsumenten zu sein, sondern mit Hilfe von Web 2.0-Anwendungen ihre eigenen Inhalte zu produzieren. Entwicklungen wie „Citizen Journalism“ ermöglichen es, sowohl mit Einzelnen als auch mit Gruppen in Kontakt zu treten, Ideen auszutauschen und Meinungen schnell und weit zu verbreiten. Diese neuen Technologien haben neue Wege für Reformer geöffnet, um sich auf neuen Wegen demokratisch oder undemokratisch zu organisieren.

Ein Paradox
Was die Nachrichtenproduktion betrifft, sind wir heutzutage mit einem Paradox konfrontiert. Wie sich die Medienschaffenden in diesem Raum bewusst sein dürften, stellen die technologischen Durchbrüche eine enorme Belastung für das klassische Model der Nachrichtenproduktion dar. Der Zuwachs an Internetjournalismus hat, zumindest bis jetzt, die genaue und systematische Überprüfung, die ein geschätztes Merkmal der Zeitungsindustrie ist, nicht mit sich gebracht.
Da das Redaktionspersonal von Zeitungen in diesem neuen ökonomischen Umfeld teilweise dramatisch verringert wurde, sind die Möglichkeiten, politisch schwerwiegende Informationen zu sammeln und zusammenzufassen, einer harten Probe unterstellt. Das ist ein ernstzunehmendes Problem in den USA, vor allem für Zeitungen auf kommunaler oder Bundesstaatsebene. Auch die Auslandsberichterstattung wurde stark reduziert.

Selbst die überall in Europa zu findende, vielfältige und liberale Medienindustrie sind vor diesen Herausforderungen nicht gefeit, vor allem Zeitungsherausgeber. Ein Teil der neuen Informationslandschaft ist die Ausbreitung von „unreglementierten“ Medien. Diese Medien haben zwar die Menge an verfügbaren Informationen erhöht, aber nicht unbedingt das Vertrauen gestärkt, das das Wissen um fehlerfreie Nachrichten und Informationen generiert.
Also befinden wir uns an einem Scheideweg. Zeit und Innovation könnten ein neues Modell hervorbringen, das professionell produzierte Nachrichten ermöglicht und die damit verbundene redaktionelle Sorgfältigkeit wieder aufleben lässt. Heute Vormittag beschrieb auch Mathias Döpfner wortgewandt dieses Problem. Doch bis sich ein finanziell tragbares und redaktionell konsequentes Modell herauskristallisiert, wird es für Demokratien schwierig sein, die Qualität ihrer demokratischen Systeme aufrechtzuerhalten.

Die Bedrohung durch „schleichenden Illiberalismus“
Zusätzlich zu den Herausforderungen, die sich aus Technik und Wirtschaft ergeben, gibt es eine weitere Bedrohung von politischer Natur. Man könnte sie „einschleichenden Illiberalismus“ nennen. Ein neuer Kampf nimmt Gestalt an zwischen den Verfechtern der freien Meinungsäußerung und denen, die versuchen, neue Formen der Zensur und Kontrolle zu entwickeln und zu rechtfertigen. Bemühungen werden von verschiedenen Seiten angestrengt – von Autokraten über Oligarchen bis hin zu religiösen Organisationen –, um Journalisten, Herausgeber, Gelehrte, NGO’s, sogar politische Satiriker davon abzuhalten, Material über sensible Themen anzusprechen oder zu veröffentlichen. Dieser Illiberalismus ist vielerorts an der Tagesordnung.

Die Vereinten Nationen
Dazu zählen auch Einheiten der UNO und der Rechtssysteme der etablierten Demokratien, in denen die Tradition der Meinungsfreiheit eigentlich lange als unantastbar galt. Zum Bespiel verabschieden zwei Einheiten des UNO-Systems – die Generalversammlung und der Menschenrechtsrat – jährlich Resolutionen, die dazu aufrufen, die Meinungsäußerungen über Religionen, vor allem den Islam, zu beschränken. Das Hauptziel dieser Resolutionen sind eindeutig die europäischen Demokratien, anstelle von Autokratien, in denen Rede- und Religionsfreiheit beide stark eingeschränkt sind.

China
Ein weiteres Bespiel für diesen Illiberalismus kann man in China finden, einem Vorreiter, wenn es um innovative und raffinierte Methoden geht, den Zugang zu Informationen seiner eigenen Bürger zu kontrollieren. Weniger bekannt sind Chinas Bemühungen, die Zensur außerhalb der Landesgrenzen auszuweiten. Die Kontroverse bei der letztjährigen Frankfurter Buchmesse ist ein gutes Bespiel dafür. Ähnliche Anstrengungen seitens der chinesischen Behörden, die Meinungsfreiheit in Demokratien zu unterdrücken – und ich möchte noch einmal betonen, dass es sich hierbei um Demokratien handelt –, kamen in jüngster Zeit an verschiedensten Schauplätzen wie Australien, Taiwan und den USA vor. Während es verlockend sein mag, in Anbetracht der Herausforderungen durch Illiberalismus den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, ist es unerlässlich, dass Demokratien im Schutz der Medien- und Meinungsfreiheit wachsam bleiben.
(…)

Zusammenfassung
Meine Ausführungen über die Herausforderungen, die der Pressefreiheit an verschiedenen Fronten gegenüberstehen, haben ein relativ düsteres Bild gezeichnet. Es gibt natürlich vielversprechende Komponenten der neuen Informationsgesellschaft, u. a. wie vorhin von Paul Steiger beschrieben. Herausragende Berichterstattung wird weiterhin von einem breiten Spektrum an Nachrichtenorganisationen produziert. Allerdings kann man sagen, dass sich die Bewegungsspielraum der Pressefreiheit in ernsthafter Gefahr befindet.

Die Panels der heutigen Konferenz beleuchteten die verschiedenen Sphären, in denen die Pressefreiheit auf die gravierendsten Hindernisse trifft. Die Herausforderungen, man könnte sie als Post-Modern beschreiben, vor denen die wirtschaftlich fortgeschrittenen europäischen Länder stehen, beziehen sich auf die Unversehrtheit von Informations-, Privat- und Eigentumsfragen und den Umgang demokratischer Gesellschaften mit sensiblen Themen wie z. B. Minderheiten und Religion.
Zur gleichen Zeit sind die Nachbarländer der EU, die noch immer damit kämpfen, demokratische Strukturen aufzubauen, enormen Hindernissen ausgesetzt, die sich auf Rechtsstaatlichkeit, physische Gewalt, Einschüchterung und Entmonopolisierung der Macht beziehen. Ob diese Probleme in der nahen Zukunft gelöst werden können, birgt folgenschwere Auswirkungen für die EU.
Die Herausforderungen für Pressefreiheit im 21. Jahrhundert sind von daher keineswegs alle neu. Was sich stattdessen aufzeigt, ist eine komplexe Kombination alter und neuer Bedrohungen, die die Fundamente des Journalismus ins Wanken bringen können. Um die Freiheit und Integrität der Nachrichten zu gewährleisten, bedarf es gut überlegter Reaktionen von politischen Entscheidungsträgern, der Nachrichtenindustrie und von Freiheitsaktivisten.

Abschließend möchte ich hervorheben, dass die Lage der Pressefreiheit und ihre Bedrohungen nicht isoliert betrachtet werden können. Meinungsfreiheit wird nicht zu unrecht als Grundfreiheit angesehen. Ohne eine freie und dynamische Presse werden sowohl die Qualität der bewährten Demokratien, als auch die Aussichten der aufstrebenden Demokratien in Gefahr sein.