Hauptrede Dr. Wolfgang Schäuble

Freiheit und Verantwortung der Medien im Prozess von Migration und Integration

 

In dem Prozess zunehmender weltumspannender Kommunikation kommt den Medien besondere Bedeutung zu – auch wenn man zur Kenntnis nehmen muss, dass dezentrale Informationsvermittlung auf Kosten der klassischen Massenmedien Presse, Rundfunk und Fernsehen zunehmend an Bedeutung gewinnen und zu einer immer stärkeren Auflösung von Massen- und Individualkommunikation führen. Oder bildhafter gesprochen: YouTube und myspace sind zur veritablen Konkurrenz von ARD und BBC geworden.

 

Die Bedeutung und Wirkung der Medien betrifft auch die Herausforderung unserer Gesellschaften durch Migration. Die Entwicklung der Migrationsströme und das Gelingen von Integration werden in nicht unerheblichem Maß von Medien beeinflusst. Medien verstärken den Zustand der Gleichzeitigkeit völlig unterschiedlicher Entwicklungsstände – wirtschaftlich, kulturell, politisch, sozial –, indem sie Informationen in jedem Winkel der Erde verfügbar machen. So tragen sie zu den großen Migrationsströmen bei.

 

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Die Medien tragen außerdem natürlich vielfältig zu den Lebensumständen bei, unter denen Migranten in den Zielländern leben. Sie tragen dazu bei, ob Integration gelingt oder nicht, ob Aufnahmebereitschaft und Toleranz der Bevölkerung wachsen oder abnehmen.

 

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Die Aufgabe der Presse in der freiheitlichen Demokratie und das daraus resultierende Grundrecht der Pressefreiheit bringen aber Verantwortung mit sich. Freiheit gelingt eben nur, wenn möglichst viele ihrer jeweiligen Verantwortung gerecht werden. Und die Presse erfüllt ihre öffentliche Funktion auf Dauer nur, wenn sie ihren Beitrag leistet, ein zutreffendes Bild der Wirklichkeit zu vermitteln, also eine sorgfältige, differenzierte und in der Gesamtheit ausgewogene Berichterstattung gewährleistet.

 

Nun ist der Wettbewerb um das knappe Gut Aufmerksamkeit bei zunehmenden Informationen und wachsender Konkurrenz mit anderen Informations- und Kommunikationsquellen wie dem Internet immer härter geworden. Und in dem härter werdenden Wettbewerb nimmt die Konformität, Banalität und Skandalträchtigkeit der Informationen, die sich in einer bestimmten Zeiteinheit durchsetzen können, zu. Früher war eine stärkere Differenzierung bei der Themenstellung der Medien zu beobachten, als es heute der Fall ist.

 

Ein Rest an Gelassenheit in der Bevölkerung ist aber wichtig, um das Sicherheitsempfinden zu wahren, um Vorurteile zu bekämpfen, um Solidarität und Toleranz zu erhalten – und dieses und anderes nicht durch zu viel Aufregung und Alarmismus zu beschädigen. Da sehe ich dann auch eine Verantwortung der Medien. Dass eine übersteigerte, der Realität nicht entsprechende Bedrohungswahrnehmung der Integration eher hinderlich ist, brauche ich nicht lange zu erläutern. Also kommt es auf Objektivität und Verhältnismäßigkeit auch in der Berichterstattung insgesamt ganz entscheidend an.

 

Das heißt jedoch nicht, dass wir eine beschönigende Berichterstattung brauchen. Die wäre ebenso schädlich. Medien haben keinen vormundschaftlich-erzieherischen Auftrag, sondern dienen der Meinungsbildung des Souveräns. Journalisten müssen Vertrauen in die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger haben und ihnen die ungeschminkte Wahrheit zumuten. Unbeschränkte gesellschaftliche Kommunikation gehört eben zu den Funktionsbedingungen freiheitlich verfasster Gesellschaften. Im Übrigen bin ich überzeugt, dass man eine problematische Wirklichkeit am ehesten ändert, indem man die Probleme klar benennt.

 

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Der demokratische Staat ist zu Recht zurückhaltend, wenn es um die Regulierung Kontrolle der Medien geht. In einer Zeit, in der die klassischen Medien immer stärker im Wettbewerb mit anderen Formen der Informationsvermittlung stehen, gewinnt diese Zurückhaltung zusätzlich an Bedeutung.

 

Eine sachlichere, differenziertere, ausgewogenere oder sensiblere Berichterstattung vorschreiben, das kann der Staat nicht – selbst wenn er einmal der Auffassung ist, dass dies im Sinne des Gemeinwohls wünschenswert wäre. Denn der Staat ist nicht omnipotent. Er soll es nicht sein um der Freiheit willen. Deswegen muss man sich bei der Behandlung dieses Themas immer klar machen, dass der freiheitliche Staat nicht alles leisten kann, was man gern in dieser oder jener Richtung hätte, dass er es leisten soll. Und deswegen kann er auch nicht alles erzwingen, was man sich gerne wünschen würde. Die Unvollkommenheit ist eine Voraussetzung dafür, dass Freiheitsräume eröffnet bleiben, die dann die Menschen so oder so füllen können, das heißt auf Deutsch: mit mehr oder mit weniger Verantwortung.

 

In einer sich weitestgehend selbst regulierenden Medienlandschaft kann der Staat vor allem und immerhin eines tun: die Selbstreflexion der Medien fördern und für verantwortliche Berichterstattung werben. Dies ist auch eines der Ziele der Deutschen Islam Konferenz. Die Arbeitsgruppe 3 „Wirtschaft und Medien“ der Konferenz setzt sich mit dem Medienbild des Islam in Deutschland auseinander – und soll sich umgekehrt auch mit der Berichterstattung von Medien aus muslimisch geprägten Staaten über „den Westen“, Deutschland und die deutsche Gesellschaft beschäftigen, wobei dieser zweite Teil bisher noch aussteht.

 

Übereinstimmung gab es bei der Frage, dass ein breiteres Bild der Öffentlichkeit über den Alltag von Muslimen in Deutschland erstrebenswert ist. Ehrenmorde sind auch in der muslimischen Gesellschaft ein absoluter Ausreißer. Gerade deshalb haben sie natürlich Nachrichtenwert. Aber es ist dann vielleicht genauso interessant, dass der Alltag der allermeisten Muslime in unserem Land – und das sind inzwischen über 3 Millionen – weit weniger spektakulär ist, als manche glauben – weil er normal in dem Sinne ist, dass das Zusammenleben aller Menschen in Deutschland nicht primär von kulturell-ethnischen oder religiösen Differenzen bestimmt ist. Und das ist sehr begrüßenswert.

 

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Letztlich hängt natürlich die Art und Weise der Medienberichterstattung von den Medienschaffenden selbst ab. Die Freiheit der Meinungsäußerung und der Presse bringt Verantwortung der an Medienproduktionen Beteiligten mit sich. Sie sind gefordert – und Sie tun es ja heute auch – als eigenverantwortlich handelnde Eliten kritisch über die Entstehung, Wirkung und Konsequenzen von Veröffentlichungen zu reflektieren.

 

Die Wahrnehmung von Verantwortung ist immer auch mit der Fähigkeit zur Selbstkritik verbunden. Die Bereitschaft hierzu müssen alle Inhaber von Einfluss, Macht oder auch öffentlicher Gewalt aufbringen. Ein Schritt auf diesem Weg sind Veranstaltungen wie heute. Ich hoffe, dass Sie vielfältige Anregungen und neue Erkenntnisse für ihr Wirken mit nach Hause nehmen, und wünsche Ihnen und uns allen, dass wir – jeder für sich und jeder in seiner Aufgabe – unsere Verantwortung für das friedliche und freiheitliche Zusammenleben wahrnehmen.