Hauptrede Christian Lindner

Herr Yücel, Herr Oberbürgermeister Jakobs, Frau Pohl, verehrte Anwesende, meine Damen und Herren.

Im 18. Jahrhundert haben Bürgerinnen und Bürger ihre Unabhängigkeit erkämpft in den Vereinigten Staaten. Sie haben sich eine geschriebene Verfassung gegeben und in diese Verfassung haben sie das unverbrüchliche Recht auf die Äußerung einer eigenen Meinung geschrieben. Weil niemand in Würde leben kann unter dem Diktat eines anderen. Im ersten Verfassungszusatz haben die Gründerväter der Vereinigten Staaten dann die Pressefreiheit als institutionalisierte Form der Meinungsfreiheit verankert. Die Freiheit der Presse leitet sich aus der Meinungsfreiheit ab und sie ist damit ein Menschenrecht. Anders gesagt: Die Liberalität einer Gesellschaft misst sich an der Freiheit von Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit zu tun. Wenn sie eingeschränkt, beschimpft oder inhaftiert werden, dann sind am Ende alle Mitglieder der Gesellschaft, auch wir, in unseren Rechten und in unserer Freiheit beschnitten.

In offenen Gesellschaften, in jeder Gesellschaft, gibt es Konflikte. Das gehört zum Wesen des menschlichen Lebens. Konflikte aber zu dokumentieren, sie auszusprechen, sie zu debattieren ist bereits der erste Schritt auch zur Versöhnung der Gesellschaft mit sich selbst. Wenn also in Gesellschaften Debatte und kritische Berichterstattung über Tatsachen unterdrückt wird, dann fehlt eben genau diese Möglichkeit der Versöhnung und des gemeinsamen Fortschritts. Dann verroht eine Gesellschaft und dann bestimmt Rivalität das Miteinander. Journalistinnen und Journalisten leisten diese Arbeit für uns alle stellvertretend. Sie kontrollieren die Mächtigen und ich sage es als Vertreter der FDP. Ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist: Auch über uns wird gelegentlich kritisch geschrieben und ich muss bekennen, nicht alles gefällt mir, es stimmt auch gar nicht alles. Aber trotzdem würde ich immer die Freiheit von Journalisten und Journalisten verteidigen auch im Zweifel etwas Krummes und Schiefes zu schreiben.

Denn im System einer offenen Gesellschaft und freier Medien korrigiert sich das am Ende schon selbst. 1962 titelte DER SPIEGEL „Bedingt abwehrbereit“. Es war der Beginn der SPIEGEL-Affäre. Indiskretionen aus dem Inneren der Streitkräfte über die Herbstübung der Nato haben bestätigt, dass die Bundeswehr damals nicht ihren Beitrag im westlichen Bündnis leisten konnte. Die Reaktion der Regierung war darauf, die Redaktionsräume des SPIEGEL zu durchsuchen, Journalisten in Haft zu nehmen, sogar aus dem europäischen Ausland nach Deutschland wieder einzufliegen. Und ich behaupte, dies war ein kritischer Moment in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben seit 1949 ein liberales Grundgesetz gehabt, das Wirtschaftswunder war auf seinem Höhepunkt und entwickelte sich. Aber diese SPIEGEL-Affäre war der kritische Moment der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Denn, wenn es nicht aus der Mitte der Gesellschaft und dem Parlament und der Regierungskoalition selbst einen Widerstand gegeben hätte, gegen den Versuch der Einschüchterung und der Einschränkung der Pressefreiheit, dann wäre die Weiterentwicklung der Bundesrepublik Deutschland möglicherweise anders verlaufen. Es reicht eben nicht nur eine geschriebene liberale Verfassung zu haben. Die hatte die Weimarer Republik auch. Es braucht neben der geschriebenen liberalen Verfassung auch Menschen, Persönlichkeiten, die bereit sind ins Risiko zu gehen, um den Geist der Verfassung und ihre Liberalität zu leben. Hätte es damals im Deutschen Bundestag solche Auseinandersetzungen nicht gegeben, auch eine Regierungskrise nicht gegeben, wäre der weitere Weg Deutschlands möglicherweise nicht der einer liberalen, sondern einer autoritären Demokratie geworden.

Diese Entwicklungslinien und Weichenstellungen, die wir vornehmen, zeigen vielleicht eins: Niemals ist die Liberalität einer Gesellschaft und niemals ist die Freiheit von Meinung und Presse für alle Zeit gewonnen. Wir schauen in Europa nach Polen und Ungarn, wo in den geschriebenen Verfassungen die Presse- und Meinungsfreiheit unverändert garantiert ist. Wo Regierungen aber in offene Opposition gegenüber freier Presse treten, sie zum Feindbild erklären und damit schon die Meinungsvielfalt und die Ausübung der Presse einschränken. Wir schauen in die Türkei, aus Anlass des heutigen Preisträgers, wo Journalisten angeklagt und inhaftiert werden.

Herr Yücel, wie sehr haben wir Ihr Schicksal verfolgt und haben mitgefiebert. Wir haben in der WELT seinerzeit gesehen, wie Sie leben mussten, in welcher Zelle und unter welchen Bedingungen. Und wie sehr freuen wir uns und sind erleichtert, dass sie hier heute unter uns sein können. Sie sind zugleich auch eine Mahnung und ein Appell, wachsam zu sein in unserer Gesellschaft. Wenn in Dresden oder Chemnitz oder an anderen Stellen Journalisten in ihrer Arbeit eingeschränkt werden, Opfer werden von Übergriffen oder wenn bei uns am Stammtisch schlecht über die Medien gesprochen wird.

Vor allen Dingen sind Sie eine Erinnerung, lieber Herr Yücel, dass es in der Türkei hinsichtlich der Menschen- und Bürgerrechtssituation eben alles andere als gut steht. Wir sind ein Land, das internationale Verantwortung trägt. Die Bundesrepublik Deutschland hat auch ein geostrategisches Interesse an der Entwicklung der Türkei und an intakten Beziehungen zur Türkei. Wir sind und müssen Realisten – aber eben wertgebundene Realisten – sein. In der Türkei hat es ein Referendum gegeben, weil die Entwicklung des Landes hin zu einer islamistischen Präsidialdiktatur geht und viele hunderte Journalistinnen und Journalisten werden in ihre Arbeit eingeschränkt. Zumal Diplomatie auch etwas mit dem richtigen Timing zu tun hat. Ich halte das Timing, um es ganz offen zu sagen, für schlecht, ausgerechnet jetzt den türkischen Staatspräsidenten in Deutschland zu einem Staatsbesuch einzuladen, mit militärischen Ehren und einem Staatsbankett zu ehren. Ein Arbeitsbesuch, ja. Aber diese nachträgliche Legitimation des Regimes in der Türkei wird ihn nicht ermuntern, die Menschenrechtslage in der Türkei zu überdenken und zu verbessern, sondern er wird es nach meiner Erwartung eher für Propagandazwecke nutzen.

Auch in den Vereinigten Staaten, meine Damen und Herren, steht es schlecht um die Entwicklung der Pressefreiheit. In den vergangenen Jahren sind die USA im weltweiten Ranking der Pressefreiheit auf den Platz 45 von 180 zurückgefallen. Sie, Herr Jakobs, haben gerade auf die aktuellen Tweets des Präsidenten verwiesen, der pauschal die Medien der Lüge bezichtigt, von Fake News spricht, der sich weigert von bestimmten Journalistinnen und Journalisten Fragen entgegen zu nehmen. Und das sagt etwas aus über das innere Klima einer Gesellschaft. Wenn Mächtige so über und mit Journalisten sprechen, tragen sie dazu bei, dass eine Gesellschaft insgesamt verroht. Auf die eigene Sprache zu achten, auch im Umgang mit den kritischen Fragen von Journalistinnen und Journalisten, ist geradezu ein Gebot der Staatsklugheit, wenn man die Vergiftung der Gesellschaft insgesamt verhindern will.

Meine Damen und Herren, wenn ich über die äußere Pressefreiheit gesprochen habe, dann will ich schließen mit der inneren Pressefreiheit. Denn auch sie kann bedroht sein. Äußere Pressefreiheit ist all das, was das Verhältnis von Öffentlichkeit zu Journalistinnen und Journalisten, von Staat zu Medien betrifft. Die innere Pressefreiheit bezeichnet das, was in Redaktionen passiert und im Journalismus selbst. Innere Pressefreiheit kann bedroht werden durch Monopole oder die Übergriffigkeit eines Verlegers oder Chefredakteurs, der einzelnen Autorinnen und Autoren eine Meinung oktroyieren will. Innere Pressefreiheit kann aber auch in anderer Weise bedroht sein.

In diesem Sommer war ich in Washington und sprach mit Charles Lane, dem Chef-Leitartikler der „Washington Post“. Und er berichtete davon, dass es in den Vereinigten Staaten nun eine Frontstellung gibt gegen den Präsidenten und seine Politik. Und wie der Präsident sich nicht mäßigt in seinen Äußerungen und Beschimpfungen, so steigere sich auch der Furor der Journalistinnen und Journalisten gegen diesen Prãsidenten. So wächst eine Rivalität, so verroht eine Gesellschaft. Hans-Joachim Friederichs hat einmal gesagt, dass ein guter Journalist sich mit keiner Sache gemein machen dürfe, noch nicht einmal mit einer guten. Ich finde Haltung im Journalismus einen Vorteil. Auch Journalistinnen und Journalisten sind Menschen, die nicht aseptisch über Tatsachen berichten, es schimmert immer eine Haltung durch. Die Frage aber ist, und daran dachte ich bei dem Gespräch mit Lane in Washington, ob es eine Haltung ist oder ob es viele Haltungen sein müssen. Also die Frage der Pluralität der Meinungen im Journalismus ist aufgerufen. Wenn der Eindruck entsteht, es gibt nur eine Haltung des Journalismus gegenüber Tatsachen oder gegenüber Politik, dann delegitimiert sich die freie Presse selbst.

Deshalb will ich gerne schließen mit einem Appell an die Journalistinnen und Journalisten, die in Deutschland ihre Arbeit tun, sich selbst Mut zur abweichenden Meinung zuzugestehen. Das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern zu suchen, in dem es nicht eine festgelegte journalistische Linie gibt, sondern, dass es mehr Vielfalt, Wettbewerb und Kontroverse im Journalismus gibt. Weil das die beste Voraussetzung ist, innere Pressefreiheit zu leben und eine vielfältige Gesellschaft zu wahren. Heute ehren wir einen Journalisten mit genau dieser Haltung und mit genau diesem Mut. Ich wünsche mir, dass viele sich ein Beispiel an ihnen nehmen, sich nicht einschüchtern zu lassen von einem Staat. Aber eben auch nicht einschüchtern zu lassen von den Erwartungshaltungen anderer, was sie für eine Meinung vertreten sollten. Ich glaube wir profitieren alle davon, wenn wir unsere Freiheit, die in der Verfassung geschrieben steht, auch im täglichen Leben verwirklichen. Egal ob wir schreiben und senden oder ob wir lesen und zuschauen. Ich danke Ihnen.