Sehr geehrter Herr Minister, Herr Oberbürgermeister, liebe Freunde,
ich fühle mich sehr geehrt, heute Abend bei Ihnen zu sein. Es ist meine erste Teilnahme an dieser Potsdamer Konferenz, und ich fühle mich sehr geehrt, weil wir in diesem speziellen Zusammenhang den ehemaligen Vizekanzler und Außenminister Genscher ehren, den ich mit einer Generation unermüdlicher Bemühungen identifiziere, einer Generation von Führungspersönlichkeiten, die sich jahrelang der Reintegration Europas verschrieben haben sowie der Renaissance und dem Wiederaufbau der Kultur des Respekts. (…)
Ich bin ebenfalls sehr dankbar gegenüber Ihrer Einstellung, Lord Weidenfeld, derartige Anstrengungen zu unternehmen, um den Graben zwischen der westlichen Welt und dem Islam zu überwinden. Was ich in der vorausgegangenen Session zur Rolle und Bedeutung der Medien bei dieser Herausforderung gehört habe, war sehr bedeutsam und hilfreich.
Ich bin nur ein wenig enttäuscht über das, was ich gehört habe über Anthropologie, Ethik, Bildung, über all das, was wir gemeinsam haben, dass die Welt der Verantwortung, die uns alle angeht, anscheinend nur manchmal auch auf die Medien zutrifft. Ich sage das mit allem Respekt für die Welt der Meinungsmacher, Kommentatoren und Analysten. (…)
Ich bin Präsident der Euro-Mediterranen Anna-Lindh-Stiftung. Anna Lindh war eine schwedische Außenministerin, die vor Jahren ermordet wurde. Die Anna-Lindh- Stiftung widmet sich der Union der Mittelmeerländer, einer neuen Dimension, einer neuen Vision, die von Frankreich in Gang gesetzt wurde und die nun die Vision und das Projekt von 43 Ländern ist: den 27 Länder der EU und den 16 Ländern an der Südseite des Mittelmeers. Und der Plan ist, die Ideologie, die Legitimation und die politische und humane Dimension dieser zukünftigen Gemeinschaft zu formen.
Die Überraschung war, dass ich in diese Position dieser europäischen und euromediterranen Institution gewählt wurde, die die dynamischste ist in der Landschaft der euro-mediterranen Partnerschaft und euro-mediterranen Region. Ich wurde gewählt als der Kandidat der Arabischen Liga. Ich erwähne das nur, weil ich weiß, dass zum ersten Mal in der Geschichte ein Jude, wie ich es bin, der Kandidat der Arabischen Liga war. Es war nicht leicht, ich meine, die europäischen Länder begrüßten das, aber ich habe kein Problem, Ihnen die Tatsache zu verraten, dass, als meine Kandidatur einige arabische Länder erreichte, sie sagten: „Was machen wir hier? Zum ersten Mal wird an uns die Führung und der Vorsitz einer internationalen Organisation herangetragen, und wir finden keinen anderen Kandidaten als einen Juden!“ Aber dank des marokkanischen Einsatzes wurde ich letztendlich gewählt, das hat nichts mit meiner Person zu tun, aber ich wurde mit 43 Stimmen von 43 Ländern gewählt. Was auch ein Signal ist, ein Signal, dass sich Dinge ändern, und ich möchte diese mediterrane Union loben, weil es möglich gemacht wurde, und es ist auch bereits eine große Wende für Europa und für die Länder an der Südseite des Mare Nostrum. Eine Wende, weil, wie Sie wissen, wir Marokkaner zum Beispiel eine lange und sehr, sehr erfolgreiche Partnerschaft mit Europa haben. (…)
Wir müssen eine Formel finden, mit der sich im angrenzenden Raum um die Europäische Union herum eine weitere Union bilden kann mit politischer Bedeutung und ideologischem Zusammenhalt. Das war die Idee der Union der mediterranen Länder. Heute wissen wir, dass unsere Kinder das Privileg haben werden, eine gemeinsame Bestimmung mit den Europäern zu haben. Und das ist von Vorteil, denn wie Sie wissen – und ich glaube, es wurde auch während der Konferenz diskutiert – gibt es mittlerweile Millionen von muslimischen Europäern, die aus unseren Ländern kommen und die tatsächlichen Gegebenheiten in Europa bereits verändern.
Wir (Marokkaner) sind ebenfalls Europäer, wir sind Afrikaner, wir sind Araber, aber wir sind auch Europäer. In allen Bereichen unserer Region ist Europa kulturell, historisch und geografisch die Nummer Eins. Deshalb müssen wir eine politische Definition, politische Regeln geben – Regeln für das zukünftige Zusammenspiel zwischen uns. Diese Union ist aus meiner Sicht die perfekte Antwort. Das erste Jahr der Union war ein trauriges Jahr, wegen Gaza, wegen dieser tragischen Periode, es war nicht leicht, aber so was braucht Zeit. Was wichtig ist – und damit möchte ich dieses Thema abschließen – ist nicht zu vergessen, dass das eine langfristige Perspektive ist. Es kann 50 oder 100 Jahre dauern, das macht nichts, was wichtig ist, ist die Perspektive zu behalten, den Sinn und den nachfolgenden Generationen, die diese Perspektive für die Zukunft weiterentwickeln, zu vermitteln, dass wir eine Schicksalsgemeinschaft werden könnten. (…)
Wer könnte vergessen, dass es in dieser Region war, aus der die Menschlichkeit, die Moderne hervorgegangen ist und in den Rest der Welt verbreitet wurde, und dass ebenfalls in dieser Region, der mediterranen, unglücklicherweise auch meist ihr Rückzug beobachtet werden musste. Jeder Rückgang wird wieder ausgeglichen, da bin ich mir sicher. Ich kann nicht hellsehen und Ihnen erzählen, dass der letzte Rückgang reversibel ist oder dass morgen früh alles anders sein wird, aber da ist eine Dynamik, die wir fördern müssen, die wir stärken müssen, wir müssen darüber sprechen, wie es auf dieser Konferenz geschehen ist, und wir müssen es sehr laut tun. (…)
Ich möchte enden, indem ich über eines der tragischsten Blutvergießen dieser Zeit berichten möchte, ich meine die verpasste Möglichkeit, diese lange Reihe der verpassten Möglichkeiten, um Frieden zu machen zwischen Israel und Palästina. Ich bestehe darauf, nicht, weil ich ein arabischer Jude bin. Es ist ein zentrales Thema, dass alle anderen beeinflusst oder bestimmt. Ich sehe zum Beispiel keine Union für die mediterranen Länder, wenn es keinen palästinensischen Staat gibt oder einen palästinensischen Staat, in dem die Auffassung von Würde, Respekt, Justiz oder Freiheit nicht auf die gleiche Art verstanden und angewendet wird wie für Israel. Die Zeit für Doppelmoral und falsches Verständnis für die Situation in dieser Region ist nunmehr vorüber. Ich fordere weniger Philosophie in Europa. Ich denke, dass eine langfristige Lösung eine zentrale Aufgabe und somit eine positive Verantwortlichkeit für die Europäer ist. Sie sagen nicht nur – ich habe es oft gehört –: „Nun gut, wenn die Amerikaner damit einverstanden sind, geht es vorwärts, wenn nicht, ist nichts möglich.“ Das ist natürlich nicht wahr, und selbst wenn es wahr wäre, haben wir jetzt die Chance, dieselbe Vision mit Washington zu teilen und wir haben exakt die selbe Vorstellung von der Zukunft. Unsere Verantwortung ist, diesem Moment eine Chance zu geben, denn wie alle Dynamiken kann sie aus vielen Gründen morgen früh oder in den nächsten Wochen verfliegen, wenn wir nicht wirklich sofort nachfassen und weitere Schritte unternehmen, und ich denke, es ist Zeit, nachzufassen – aufzuwachen. Ich danke Ihnen.