Dieser Krieg betrifft uns alle

Von Baroness Kennedy of the Shaws KC

Die russische Invasion der Ukraine im Jahr 2022 war und ist ein völkerrechtswidriger Akt. Trotz der Behauptungen Russlands, das ukrainische Territorium sei ein historischer und integraler Bestandteil Russlands, bleibt die Ukraine ein souveräner Staat und die russische Invasion stellt ein aggressives Verbrechen dar.

Seit Beginn der Invasion hat der russische Staat zahlreiche Kriegsverbrechen und Gräueltaten begangen. Das russische Militär hat in einer anhaltenden Kampagne Zivilisten und andere nichtmilitärische Ziele angegriffen, von Schulen und Krankenhäusern bis hin zu lebenswichtiger Infrastruktur. Besonders erwähnenswert ist der Angriff auf den Kachowka-Staudamm, der am 6. Juni 2023 zerstört wurde und eine Überschwemmung auslöste, die zur völligen Verwüstung des betroffenen Gebiets führte. Darüber hinaus hätte der Beschuss des Kernkraftwerks Saporischschja und die daraus resultierende Störung des Betriebs zu einer nuklearen Katastrophe führen können, wenn er nicht unter Kontrolle gebracht worden wäre. Russland hat auch wiederholt und kontinuierlich chemische Waffen gegen die Ukraine eingesetzt und damit eindeutig gegen die Genfer Konvention verstoßen.
Diese Kriegsverbrechen und Gräueltaten sind jedoch nicht auf die Bürger der Ukraine beschränkt. Die Putin-Regierung hat in diesem Zusammenhang auch eine Vielzahl von Verbrechen gegen die eigenen Bürger begangen. Der Tod von Alexej Nawalny ist ein Beweis für Putins Tyrannei. Nawalny starb, weil Putin wusste, dass er eine Bedrohung darstellte, weil er für Freiheit und Unabhängigkeit eintrat. Dazu gehören auch die Zwangsrekrutierung und Inhaftierung russischer Staatsbürger, die wegen Kritik an der Invasion in der Ukraine bestraft werden. Zu den Opfern dieser staatlichen Repression gehören Journalisten, Rechtsanwälte und politische Gegner. Im April 2023 wurde der Oppositionsaktivist Vladimir Kara-Murza in Russland wegen Hochverrats, Verbreitung „falscher“ Informationen über die russische Armee und Mitgliedschaft in einer „unerwünschten Organisation“ zu 25 Jahren Haft verurteilt. Das harte Urteil zeigt, dass die russischen Behörden entschlossen sind, Kritiker zum Schweigen zu bringen und jeden zu neutralisieren, den sie als Bedrohung für das politische System ansehen. Bemerkenswert ist, dass nur wenige Journalisten der russischen Staatsmedien Zugang zum Gerichtssaal hatten, was das Recht auf eine faire und öffentliche Anhörung einschränkte.

Vor und seit der ersten Invasion hat Russland wiederholt versucht, die territoriale, nationale und kulturelle Integrität der Ukraine zu delegitimieren. Die Verleugnung der ukrainischen Identität zeigte sich am deutlichsten in den Angriffen des russischen Militärs auf das ukrainische Kulturerbe. Museen, Kunstgalerien und historische Gotteshäuser wurden zerstört und antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Artefakte aus der Ukraine geplündert. Die UNESCO hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine solche Zerstörung des kulturellen Erbes durch Russland ein Kriegsverbrechen darstellt und einem kulturellen Genozid im Sinne des Völkerrechts gleichkommt. Putins Behauptung in einem Interview mit dem amerikanischen Politkommentator Tucker Carlson, die Ukraine sei ein künstliches sowjetisches Konstrukt, das unter Stalin erdacht wurde, verstärkt die in ganz Russland verbreitete Rhetorik. Indem Russland dem ukrainischen Volk sein Land verweigert und sein kulturelles Erbe zerstört, vernichtet es systematisch die einzigartige kulturelle Identität und Souveränität der Ukraine.

Es ist wichtig, dass die europäischen Länder angesichts der anhaltenden russischen Aggression in der Ukraine zusammenstehen. Zu diesem Zweck ist die Fortsetzung der militärischen, wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Unterstützung für die Ukraine unerlässlich und darf in keiner Weise eingeschränkt werden. Das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankerte Prinzip der Universalität ist der Eckpfeiler des internationalen Menschenrechts. Alle Menschen haben den gleichen Anspruch auf Menschenrechte. Die Ukraine darf nicht auf die Rolle eines europäischen „Pufferstaates“ zur Abwehr der russischen Aggression reduziert werden, wie es der ungarische Präsident Viktor Orbán vorgeschlagen hat.

Die bevorstehenden Wahlen in den USA im November werden einen erheblichen Einfluss auf den Krieg in der Ukraine haben. Präsident Joe Biden hat seine Zusage bekräftigt, die Ukraine in diesem Konflikt zu unterstützen, falls er wiedergewählt wird. Donald Trump hingegen, der eine zweite Amtszeit anstrebt, hat versprochen, dass er versuchen werde, den Krieg zu beenden und Frieden zu schaffen. Am 11. Februar 2024 erklärte Trump jedoch, er werde Russland ermutigen, NATO-Mitglieder anzugreifen, die seiner Meinung nach ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Das Weiße Haus bezeichnete diese Äußerungen Trumps als „entsetzlich“ und „unangemessen“, und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wies sie entschieden zurück. Auch wenn noch unklar ist, wer im November gewählt wird, steht außer Frage, dass der Ausgang der US-Wahlen den Verlauf des Krieges in der Ukraine maßgeblich beeinflussen wird.

Die russische Invasion der Ukraine hat eine der größten und schwersten humanitären Krisen der letzten Jahre ausgelöst. Er hat Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine vertrieben und einen Großteil der Bevölkerung ohne Zugang zu Nahrung, medizinischer Versorgung und Unterkünften zurückgelassen. Eine der am stärksten vom Krieg betroffenen Gruppen sind die Kinder in der Ukraine. Russland hat Kinder aus Waisenhäusern, Heimen und Schulen entführt und damit familiäre und soziale Zerstörungen verursacht. 2023 wurde ich vom Büro des ukrainischen Präsidenten zur Ko-Vorsitzenden der Bring Kids Back UA International Taskforce ernannt – einer hochrangigen Expertengruppe, die sich mit der Rückführung zwangsdeportierter Kinder in die Ukraine befasst. Im Mittelpunkt dieser Mission steht die sichere Rückkehr der entführten ukrainischen Kinder in ihre Heimat.

Nur Menschlichkeit kann Unmenschlichkeit besiegen, und in Zeiten wie diesen müssen Recht und Gerechtigkeit die Leitprinzipien der internationalen Gemeinschaft sein. Der Verzicht auf ein ordentliches Verfahren und die Missachtung internationaler Konventionen und des humanitären Rechts können die Krise nur verschärfen und Gerechtigkeit weiter verhindern. Es ist die Pflicht der gesamten internationalen Gemeinschaft, dafür zu sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan und das Recht geachtet wird. Gerechtigkeit für die Ukraine wird es nur geben, wenn die internationale Rechtsgemeinschaft die Verantwortlichen für die russischen Kriegsverbrechen angemessen zur Rechenschaft ziehen kann.

Dieser Krieg betrifft uns alle. Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft waren enorm. Der Lebensstandard ist weltweit gesunken. Der Krieg und die damit verbundenen Verbrechen sind eine eklatante Missachtung der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen „regelbasierten Ordnung“. Er untergräbt die Rechtsstaatlichkeit in der ganzen Welt und ermutigt autoritäre Kräfte, die das Verhalten Russlands bei der Missachtung der Menschenrechte nachahmen. Es handelt sich um eine Politik der Störung, die darauf abzielt, die liberalen Demokratien, den europäischen Block und die Vereinigten Staaten zu zerstören. Wir ignorieren diese weitreichenden Konsequenzen auf eigene Gefahr.

Baroness Helena Kennedy of the Shaws KC ist Anwältin, King’s Counsel, Mitglied des House of Lords, Direktorin des International Bar Association’s Human Rights Institute (IBAHRI), Co-Vorsitzende von Bring Kids Back UA und Mitglied des M100-Beirats.

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