Der Mann hinter dem „Agentengesetz“ in Georgien

17. Mai 2024. Seit Wochen gehen Hunderttausende in Georgien auf die Straße, um gegen das sogenannte „Gesetz über Transparenz ausländischen Einflusses“ der Regierungspartei „Georgischer Traum“ zu demonstrieren. Das Gesetz lehnt sich eng an das russische „Agentengesetz“ an, mit dem der Kreml seit Jahren Oppositionelle, Medien, Journalisten und NGOs unterdrückt. Es verpflichtet Organisationen, die zu mehr als 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, sich als „Agenten ausländischen Einflusses“ zu registrieren. Durch dieses Gesetz ist es Russland gelungen, jede Art von Opposition auszuschalten, NGOs und sämtliche unabhängigen Medien zu schließen. Das gleiche Szenario droht nun auch in Georgien. Doch trotz der massiven Proteste hat das Georgische Parlament das Gesetz am 14. Mai durchgewinkt. Die Folge: Das Land im Kaukasus, seit Dezember 2023 offizieller EU-Beitrittskandidat droht, wieder als eine Art Satellitenstaat in die russische Umlaufbahn zurückkapituliert zu werden. Damit rückt eine EU-Mitgliedschaft in äußerst weite Ferne.

Was steckt dahinter?
Die Partei „Georgischer Traum“ wurde 2012 von dem georgischen Milliardär Bidsina Iwanischwili initiiert, die im Oktober mit 54,9 Prozent stärkste Partei wurde. Iwanischwili stammt aus ärmlichsten Verhältnissen und ist nach dem Zerfall der Sowjetunion durch den Handel mit Computern, Videorekordern und Telefonen schnell zu Geld gekommen. Mit den ersten Hunderttausend gründete er gemeinsam mit einem Partner eine Bank. Im Rahmen der Privatisierung des russischen Staatsvermögens kaufte er eine weitere Bank, stieg ins Rohstoffgeschäft ein und wurde mehrfacher Milliardär.
Iwanishwili ist an mehreren Offshore- und Briefkastenfirmen beteiligt. Folgerichtig hat „Georgischer Traum“ nicht nur das „Agentengesetz“ auf den Weg gebracht, um Kontrollinstanzen der Regierung mundtot zu machen, sondern auch ein Offshore-Gesetz verabschiedet, um Geldwäsche und das Verstecken illegaler Vermögenswerte zu erleichtern.
Bei den Auseinandersetzungen zwischen pro-russischer Regierung und pro-europäischer Bevölkerung geht es also offenbar nicht nur um Politik, sondern auch um die Möglichkeiten einer einzelnen Person (und seines engsten Kreises), sich ungehindert weiter bereichern zu können.

Das Land, das in 67 Sekunden verkauft wurde, war der Hauptslogan dieser Woche, der genau beschreibt, wie 84 Abgeordnete nur 67 Sekunden brauchten, um über die Zukunft Georgiens zu entscheiden und für die Verabschiedung des ‚russischen Gesetzes‘ zu stimmen, trotz wochenlanger Proteste von Hunderttausenden von georgischen Bürgern“, schreibt eine M100-Alumna aus Georgien, die anonym bleiben möchte. „Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wurden nicht nur die Stimmen der georgischen Bevölkerung missachtet, sondern auch ein Rückschritt auf dem euro-atlantischen Weg des Landes eingeleitet. Die Rhetorik und die Verschwörungstheorien, die sich um die Gründe für die Verabschiedung dieses Gesetzes ranken, wurden vom ehemaligen Premierminister und Oligarchen Iwanischwili selbst bestätigt, der am 29. April 2024 auf einer von ‚Georgian Dream‘ organisierten Kundgebung zur Unterstützung des ‚russischen Gesetzes‘ andeutete, dass die westlichen Länder von einer geheimen globalen Verschwörung kontrolliert würden, der sich die georgische Regierung erfolgreich widersetze. Er prangerte die ‚globale Kriegspartei‘ an, die seiner Meinung nach für den Augustkrieg 2008 und den Einmarsch Russlands in die Ukraine verantwortlich sei, und behauptete, eine ‚ausländische Agentur‘ habe die georgischen Machthaber zwischen 2004 und 2012 ernannt.“

Die Realität und das, was Iwanischwili in seiner Rede sagte, seien zwei gegensätzliche Szenarien, erklärt die junge Georgierin. Sie verweist auf Iwanischwilis laufenden Rechtsstreit mit der Credit Suisse, die im vergangenen Jahr von einem Gericht in Singapur zur Zahlung von 926 Millionen Dollar an Iwanischwili verurteilt worden ist: „Iwanischwili hatte der Credit Suisse Trust im Jahr 2005 1,1 Milliarden Dollar anvertraut, die von einem CS-Berater zum einem großen Teil veruntreut wurden. Die Credit Suisse hat angekündigt, dass sie die Entscheidung des Gerichts anfechten wird.“ Deshalb habe Iwanishwili beschlossen, „die Freiheit Georgiens und seines Volkes als Ultimatum aufs Spiel zu setzen“: „Iwanischwili setzt die Freiheit des georgischen Volkes als Druckmittel in seinen Bankstreitigkeiten ein. Die Verabschiedung dieses Gesetzes markiert den Beginn der repressiven Maßnahmen, die Iwanischwili umsetzen will. Es liegt auf der Hand, dass die Lösung des Bankenstreits ein komplexer und langwieriger Prozess ist und Iwanischwili die Freiheit des georgischen Volkes nicht als Ultimatum für eine schnelle Lösung missbrauchen kann. Das georgische Volk hat seine Entscheidung deutlich gemacht: Der einzig gangbare Weg ist die europäische Zukunft Georgiens.“

Der „Georgische Traum“ ist zum Alptraum der Mehrheit der Georgischen Bevölkerung geworden. Das wehrt sich mit aller Macht gegen den Versuch Russlands und der pro-russischen Regierung in Tiflis, mit Hilfe weniger georgischer Oligarchen Putins Traum von der Auferstehung der alten Sowjetunion wieder ein Stück näherzukommen.

„Wir befinden uns in einem klassischen Krisenmoment, in dem alles auf dem Spiel steht, und wie sich Georgien in den nächsten 20 Jahren entwickeln wird, hängt stark davon ab, was in den nächsten 20 Monaten passiert“, sagte der in Georgien lebende Politikwissenschaftler Hans Gutbrod kürzlich in einem Interview mit Vazha Tavberidze für Radio Free Europe/Radio Liberty. „Auf dem Spiel steht die Außenpolitik des Landes. Ist es ein Land, das den Launen einer einzelnen Person unterworfen ist, oder ist es ein echter Staat?“ Es könne nicht sein, „dass eine Person plötzlich entscheidet, dass ihre persönlichen Kämpfe mit der Credit Suisse oder mit irgendeiner anderen Verschwörung, mit der sie sich herumschlägt, alles im Land bestimmen.“
„Ich glaube, der Schlüssel zum Erfolg für diejenigen, die eine bessere Vision für Georgien wollen, liegt darin, nicht auf Spaltungen hereinzufallen, sondern den Bürgern klarzumachen, vor welchen grundlegenden Entscheidungen das Land steht“, resümiert Hans Gudbrod. Die grundlegende Frage sei: „Soll Georgien ein Staat sein, der seine Bürger respektiert? Diese Frage muss gestellt werden, und zwar so, dass deutlich wird, dass der ‚Georgische Traum‘ wenig Positives zu bieten hat und dass Bidsina Iwanischwili trotz seiner vielen Ressourcen und unglaublichen Talente, die ihn sehr reich gemacht haben, sehr müde geworden ist. Ihm gehen die Ideen aus und ihm gehen die guten Leute aus, die diese Ideen umsetzen könnten. Wenn man dieses Argument nüchtern und ehrlich vorbringt, dann, glaube ich, werden auch neutrale Wähler verstehen, dass für ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder viel auf dem Spiel steht.“
Am 26. Oktober stehen in Georgien Parlamentswahlen an, dann können die Bürger Georgiens entscheiden, wie es mit ihrem Land weitergeht.

Text: Sabine Sasse
Foto: Giorgi ARJEVANIDZE / AFP