Haben Sie sich je die Frage gestellt, woher die lateinische Redewendung „Pecunia non olet“, „Geld stinkt nicht“, kommt? [Der römische Schriftsteller] Sueton berichtet in seinem Werk „De vita Caesarum“ als Erster folgende Anekdote: Titus, Sohn des Vespasian, beschwert sich bei seinem Vater, dass dieser den in den öffentlichen Latrinen gesammelten Urin mit einer Steuer belegt habe, weshalb die Latrinen nun „Vespasiani“ genannt werden. Titus schämt sich, weil das Volk den Namen seines Vaters benutzt, um damit die öffentlichen Bedürfnisanstalten zu bezeichnen. Provozierend wirft er seinem Vater geringschätzig, als wären sie ein Almosen, zwei Münzen vor die Füße, auf die er jedoch zuvor uriniert hatte. Es wird berichtet, dass Vespasian die Münzen aufhob, um sie sich erst an die eigene, dann an die Nase seines Sohnes zu halten. Anschließend fragte er seinen Sohn, wonach sie riechen würden. Damit wollte Vespasian Titus demonstrieren, dass Geld keinen Geruch hat, unabhängig davon, woher es kommt, auf welche Weise es verdient wird und zu welchem Zwecke man es verwendet.Aber Geld hat einen Geruch. Man muss ihn nur erkennen. Oft stinkt es nach Blut und Geldwäsche, nach Drogen, Waffen und Erdöl. Und Europa nimmt diesen Geldstrom, dessen Geruch wir erkennen lernen sollten, beständig durch die sogenannten Steuerparadiese auf. Jeder Staat hat sein schwarzes Loch: Frankreich hat Luxemburg, Deutschland Liechtenstein, Spanien hat Andorra und Italien San Marino. Und die gesamte Welt hat die Schweiz und London. Ein Europa, das den Geruch des Geldes zu erkennen weiß, könnte auch von Deutschland seinen Ausgang nehmen, einem Land, das weiß, was der Verlust der Menschenrechte bedeutet. Ein Land, dem bis zum heutigen Tage wirkungsvolle Geldwäschegesetze sowie der Straftatbestand der mafiösen Vereinigung fehlen, das jedoch die Kapazität hat, diese hochsensiblen Themen im Sinne von Menschenwürde und Grundrechten anzugehen. Denn der Preis, den es im 20. Jahrhundert für deren Verlust zahlen musste, war unermesslich hoch.Von Deutschland könnte ein Europa der Grund- und Menschenrechte seinen Ausgang nehmen, ein Europa, das heute noch dem Kapital, das aus der Geldwäsche mexikanischer Drogenkartelle stammt, oder mit dem sich terroristische Zellen über Schmuggel von Erdöl, Drogen und Kunstwerken finanzieren, die Türen weit öffnet. Dieselben Türen, die es Menschen vor der Nase zuschlägt. Geld rein, Menschen raus: dieser zynische Mechanismus fasst zusammen, was das heutige Europa ist oder besser, wohin es sich entwickeln könnte. Die Strategie des Daesch, des sogenannten Islamischen Staates, zielt auf Folgendes ab: Angst hervorzurufen, damit die internationale Gemeinschaft das Handtuch wirft und kein Interesse mehr dafür aufbringt, was im Irak, in Syrien und Kurdistan passiert.
Was genau aber geschieht da unten, abgesehen von den ständigen Massakern, die Teile der Bevölkerung zwingen, Zuflucht in Europa zu suchen? Nun, der angebliche Islamische Staat ist im Wesentlichen darauf aus, die Vorherrschaft über die Erdölvorkommen und den Drogenhandel auszuüben, und zwar mit der Absicht, hier keinerlei ausländische Interessen mitmischen zu lassen. Wenn wir also die Grenzen schließen, ändert das irgendetwas? Im Kern der Sache nichts, vielmehr wird sich die Situation nur verschlechtern können, denn der Krieg, der im Moment nur in Ausnahmefällen auch unser Krieg ist (denn bei uns sind Attentate Ausnahmefälle, woanders gehören sie zum Alltag), wird zu einem Bürgerkrieg zwischen den seit Jahrzehnten in Europa lebenden Immigrantengenerationen und denjenigen werden, die sich als echte Europäer empfinden. Offen gesagt, erschreckt mich dies alles zutiefst.Wenn mir der Preis wegen meiner Lebensumstände verliehen wird, um zu zeigen, dass das, worüber ich schreibe und was ich anklage, Gehör findet, dann haben wiederum die europäischen Medien in dieser äußerst heiklen Phase, die Europa gerade durchläuft, die Pflicht, sich auf die Komplexität der Situation einzulassen und ohne Vereinfachungen zu erklären, worin die wirklichen Gefahren eines nationalistischen Abdriftens bestehen, das viele Staaten zur Zeit erleben. Noch stärker allerdings schmerzt in dieser Zeit das Scheitern der Europäischen Union, nicht nur als internationaler politischer Akteur, nicht nur als glaubwürdige und starke politische Kraft, sondern auch – beziehungsweise ganz besonders – in ihrer Fähigkeit, all die vielen verschiedenen Menschen zusammenzuführen, aus denen sie sich doch zusammensetzt.
Europa, wie es sich [1941 das Manifest von] Ventotene und zuvor bereits Giuseppe Mazzini erträumt hatten, sollte nicht nur ein Wirtschaftseuropa sein, ein Markt oder noch schlimmer, eine Struktur, die anscheinend zwischen Finanzwelt und den Regierungen vermittelt. Europa zahlt jetzt für seine starre Haltung in seiner Innenpolitik – eine rigide Haltung, die in der Wirtschaftspolitik das richtige Rezept schien, jetzt aber eine gesalzene Rechnung präsentiert.
In der Außenpolitik äußerte sich diese starre Haltung in einer fehlenden gemeinschaftlichen Vision. Wie anders wären heute die Schicksale Syriens, Kurdistans und der Türkei, würde die Türkei der Europäischen Gemeinschaft angehören. Man hätte damit begonnen, unsere Grenzen zu stabilisieren, ohne in die humanitäre Tragödie zu geraten, die wir gerade erleben. Mehr noch: Nach dem gescheiterten Putsch könnten sich die türkischen Staatsbürger – wären sie heute europäische Staatsbürger – an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden, dessen Entscheidungen in der Türkei Gültigkeit und Gewicht besäßen. Und auch wenn diese nicht befolgt würden, so wäre dies von vitaler Bedeutung für uns und wir würden vielfach darüber diskutieren.
Aus diesem Grund möchte ich hier im zweiten Heimatland der Türken, in Deutschland, den M100 Media Award zwei türkischen Intellektuellen widmen, Ahmet Altan (Journalist und Schriftsteller) und seinem Bruder Mehmet Altan (Wirtschaftsprofessor), die beide am 10. September verhaftet wurden. Ahmet Altan und Mehmet Altan sind angeklagt, während einer Fernsehsendung, die am Tag vor dem Putsch ausgestrahlt wurde, unterschwellig Nachrichten ausgesandt zu haben, um so die Unterstützer eines Staatsstreiches zusammenzurufen. Die von Ahmet herausgegebene Zeitung „Taraf“ hat sich immer für das Recht der türkischen Staatsbürger auf Information eingesetzt, damit die Regierung Rechenschaft über ihre Handlungen ablegt. Als Gegner Erdogans wurde Ahmet mehrmals vor Gericht gestellt und verurteilt. Sein Bruder Mehmet trat dafür ein, die Identität der Türkei auf der Achtung der Menschenrechte, statt auf Rasse oder Religion aufzubauen. Das mag selbstverständlich erscheinen, aber es ist eine revolutionäre Botschaft. Wäre die Türkei also Teil der Europäischen Union, würden uns Ahmets und Mehmets Schicksale nahe gehen, so nahe, dass wir ihr Schicksal nicht schweigend übergehen könnten.
Ich will mit einem Zitat von Ernesto Rossi schließen, demjenigen der Gründungsväter der Europäischen Union, dem ich mich am meisten verbunden fühle, auch aus geografischen Gründen, denn ich habe lange in seiner Geburtsstadt Caserta gelebt. Aus der Provinz Caserta stammt auch der Casalesi-Clan, den ich in [meinem Buch] „Gomorrha“ öffentlich angeprangert habe und der mich deshalb bedroht, sodass ich die letzten zehn Jahre meines Lebens mit ständigem Personenschutz leben musste. In „Pensieri e parole“ [„Gedanken und Worte“ noch nicht ins Deutsche übersetzt, AdÜ] schreibt Ernesto Rossi: „Mag die aktuelle Situation noch so schmerzhaft, der Prozess der konfessionellen Rückentwicklung unserer Republik noch so fortgeschritten sein, so werden wir trotzdem nicht die Hoffnung verlieren. Der Vorhang fällt, aber die Geschichte der Menschheit endet nie, denn wir sind die Schauspieler in diesem Theater: wir, mit unserem Willen und unseren Idealen.“
Was in Europa noch nicht war, kann noch werden. Europa kann noch immer der Ort sein, wo sich Grundrechte, Zusammenleben und soziale Gerechtigkeit verbinden. Es kann noch immer der Ort sein, wo Nationalismen und Populismus niedergerungen werden, bevor sie weiteren Schaden anrichten. Mit unserem Willen und unseren Idealen schaffen wir das.