Verehrte Gäste,
meine Damen und Herren,
im Namen von Seiner Exzellenz Herrn Donald Tusk, dem Ministerpräsidenten der Republik Polen, möchte ich unseren tiefsten Dank für die Verleihung dieser geschätzten und renommierten Auszeichnung zum Ausdruck bringen. Der Ministerpräsident betrachtet diese Ehre angesichts der angesehenen Personen, die zuvor ausgezeichnet wurden, als besonders bedeutsam. Leider kann Ministerpräsident Tusk heute aufgrund dringender Verpflichtungen im Inland nicht bei uns sein. Dennoch stehe ich heute hier vor Ihnen, um ihn zu vertreten und die Überlegungen, die wir gemeinsam vorbereitet haben, so getreu wie möglich zu übermitteln.
Der heutige Tag markiert einen besonderen Moment in der Geschichte Polens. Genau an diesem Tag vor 35 Jahren hielt Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki seine Antrittsrede vor dem Parlament, nach den ersten freien Wahlen in einem Land, das durch den Eisernen Vorhang von der Welt abgeschnitten war. Polen löste eine Revolution in ganz Mittel- und Osteuropa aus, und bald darauf begann die Flucht der Menschen aus Ostdeutschland in den Westen. Nur wenige Wochen später fiel die Berliner Mauer, und am 12. September 1990 wurde Deutschland wiedervereinigt. Fünfzehn Jahre später traten Polen und andere mittel- und osteuropäische Staaten der Europäischen Union bei und läuteten damit eine neue Ära ein, in der die Grenzen, die uns einst trennten, aufgehoben wurden.
Ich erinnere mich lebhaft an diese Zeiten des Wandels. Ich war gerade einmal 11 Jahre alt, als ich 1988 meine erste Reise über die Grenzen Polens hinaus antrat und nach Ostdeutschland reiste. Die Grenzen waren streng abgeriegelt, und für Teenager wie mich waren nur Besuche in Städten wie Wismar, Schwerin und Rostock relativ uneingeschränkt möglich. Nach der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurde der Verkehr zwischen unseren Ländern jedoch allmählich einfacher. Der Handel florierte. Die Viadrina-Universität wurde gegründet und Polen machte sich auf den Weg, ein vollständig demokratischer Staat zu werden, was in unserem Beitritt zur Europäischen Union gipfelte – einer Union, die sich durch Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit auszeichnet. Seit 2004 sind die Brücken zwischen Städten wie Słubice und Frankfurt an der Oder oder Zgorzelec und Görlitz nicht mehr nur bloße Grenzübergänge, sondern Symbole unseres gemeinsamen Schicksals innerhalb der EU.
Der Beitritt Polens zur Europäischen Union markierte den Beginn einer der wohlhabendsten Perioden in der modernen Geschichte unseres Landes. Wir wurden zu einem zuverlässigen wirtschaftlichen und demokratischen Partner innerhalb der Union. Unter der Führung von Ministerpräsident Donald Tusk von 2007 bis 2014 stärkte Polen seine demokratischen Institutionen, setzte sich für die europäische Integration ein und spielte eine entscheidende Rolle dabei, die Aufmerksamkeit auf die Notlage der Ukraine zu lenken, insbesondere während der Orangenen Revolution. Wichtig ist, dass die polnische Regierung in dieser Zeit das wesentliche Prinzip der Unabhängigkeit der Justiz aufrechterhalten hat. Premierminister Tusk bemerkte kürzlich, dass sie sich während der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichts, Andrzej Rzepliński, nur einmal getroffen hätten. Dies war eine tiefgreifende und symbolische Bestätigung dafür, dass die verschiedenen Regierungszweige in Zusammenarbeit und gegenseitigem Respekt nebeneinander bestehen können und sollten, jedoch ohne unangemessene Einmischung. Polen hat in dieser Zeit eine wertvolle Lektion über die Förderung von Justizbehörden gelernt, die sich an die grundlegenden rechtsstaatlichen Standards halten.
Wie Sie sicherlich wissen, kam es jedoch in den Jahren zwischen 2015 und 2023 zu einer tiefgreifenden Aushöhlung dieser grundlegenden Garantien der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der Justiz. Es ist eine lange und komplexe Geschichte, aber kurz gesagt orientierte sich die damalige Regierungspartei stark an Viktor Orbáns illiberalem Modell und verwandelte den Staat allmählich in ein System, in dem der Schmittsche „politische Wille“ über dem Gesetz stand. Und nur dank des unermüdlichen Einsatzes der polnischen Bürger, des unerschütterlichen Engagements der Zivilgesellschaft, der mutigen Haltung unserer Richter und Staatsanwälte und schließlich der loyalen Zusammenarbeit der Oppositionsparteien konnte Polen seine Demokratie zurückgewinnen. Das Datum des 15. Oktober 2023 ist nun in die Annalen unserer politischen Geschichte eingegangen, zusammen mit dem entscheidenden Datum des 4. Juni 1989. Die beispiellose Wahlbeteiligung von 75 % war ein eindrucksvoller Beweis für das anhaltende Vertrauen der polnischen Bürger in den demokratischen Prozess.
Gegenwärtig befinden wir uns in einem heiklen und schwierigen Prozess der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit. Unsere Bemühungen zielen vor allem darauf ab, den Schaden der Vergangenheit zu beheben und ein Modell der Freiheit zu schaffen, insbesondere in den Bereichen Medien und demokratische Mechanismen, mit besonderem Schwerpunkt auf der Justiz.
Dies ist zweifellos ein sensibles und schmerzhaftes Unterfangen. Wir sind uns voll und ganz bewusst, dass man die Rechtsstaatlichkeit nicht wiederherstellen kann, indem man ihre Grundprinzipien verletzt. Wir müssen jedoch auch anerkennen, dass wir uns nicht von den vielen institutionellen Fallen und Hürden, die die vorherige Regierung hinterlassen hat, gefangen nehmen lassen dürfen. Kreativität, Entschlossenheit und Geduld sind unerlässlich, wenn wir dieses rechtliche und politische Minenfeld befahren. Gleichzeitig muss der Prozess, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die in der Vergangenheit Missbrauch begangen haben, fortgesetzt werden, da die Menschen zu Recht Gerechtigkeit erwarten. Sie müssen sehen, dass diejenigen, die versucht haben, die Demokratie zu untergraben, nicht ungestraft davonkommen. Dieser Prozess verschärft jedoch unweigerlich die gesellschaftliche Polarisierung – eine Herausforderung, mit der wir täglich zu kämpfen haben. Vor diesem Hintergrund haben wir dennoch positive Nachrichten für Europa und wertvolle Erkenntnisse zu teilen.
Zunächst einmal verstehen wir nach diesen acht schmerzhaften Jahren mehr denn je, dass die Demokratie zerbrechlich ist. Sie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie erfordert ständige Wachsamkeit und Verteidigung. Demokratische Institutionen müssen geschützt werden, und die Öffentlichkeit muss immer wieder an ihre entscheidende Bedeutung erinnert werden. Eine unabhängige Zivilgesellschaft ist unerlässlich, nicht nur als Kontrollinstanz, sondern auch als Mittel zur Aufklärung der Bürger über grundlegende demokratische Werte.
Zweitens hängt der Schutz der Demokratie stark von der Existenz freier und starker Medien ab. Der Widerstand einzelner Redakteure, Zeitschriften, Radiosender, Fernsehsender und Online-Portale war enorm. Und obwohl die Partei Recht und Gerechtigkeit versuchte, sowohl die öffentlichen als auch die privaten Medien zu kontrollieren, blühte der investigative Journalismus in dieser Zeit paradoxerweise auf. Man kann diejenigen, die sich für Wahrheit und Integrität einsetzen, nicht zum Schweigen bringen.
Schließlich mussten der Premierminister und die demokratische Koalition, um den Wahlsieg zu sichern und die Stabilität in Polen wiederherzustellen, den Bürgern vermitteln, dass unser vorrangiges Ziel darin bestand, die Erfüllung grundlegender staatlicher Aufgaben sicherzustellen. Wie in Artikel 5 der polnischen Verfassung dargelegt: „Die Republik Polen schützt die Unabhängigkeit und Integrität ihres Territoriums und gewährleistet die Freiheiten und Rechte von Personen und Bürgern, die Sicherheit der Bürger, schützt das nationale Erbe und gewährleistet den Schutz der natürlichen Umwelt gemäß den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung.“
Es ist wichtig zu betonen, dass die Verfassung den Schutz der nationalen Unabhängigkeit und territorialen Integrität noch vor den Schutz der Menschenrechte oder die persönliche Sicherheit stellt. Diese Priorität spüren wir heute in Europa nur allzu deutlich, wo aufgrund der russischen Aggression in der Ukraine ein neuer Eiserner Vorhang droht. Polen und viele andere EU-Staaten sind nun mit den Folgen dieses Krieges konfrontiert – von hybriden Bedrohungen und Provokationen bis hin zu Desinformationskampagnen. Gleichzeitig ist unsere Grenze zu Belarus einer ständigen Destabilisierung ausgesetzt.
Für Premierminister Tusk war klar, dass die polnische Bevölkerung diese Botschaft vor den Wahlen hören musste. Die wichtigste Aufgabe einer Regierung besteht darin, die Unabhängigkeit, territoriale Integrität und sichere Grenzen der Nation zu schützen. Nur wenn diese Grundlage fest verankert ist, kann die uneingeschränkte Wahrnehmung von Rechten und Freiheiten garantiert werden. Es ist unerlässlich, Führungspersönlichkeiten zu wählen, die fähig, vertrauenswürdig und kompetent in der Zusammenarbeit mit anderen EU-Mitgliedstaaten und internationalen Organisationen sind, um diese wichtige Aufgabe zu erfüllen. Nur wenn Sie dieses grundlegende Vertrauen schaffen, können Sie sich um die Umsetzung der öffentlichen Politik kümmern, die in das Programm dieser oder einer anderen politischen Partei aufgenommen wurde.
In diesem Zusammenhang bleibt Polen seinem Engagement für eine starke Europäische Union treu, die in der Lage ist, sich sowohl gegen interne als auch gegen externe Bedrohungen zu verteidigen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine europäische Politik erforderlich, die auf Solidarität und gemeinsamen Werten beruht. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir einander zuhören und unnötige Spaltungen vermeiden. Wir müssen jedoch auch gegenüber echten Gefahren wachsam bleiben. Sie zu ignorieren oder abzutun, ist ein schwerwiegender Fehler. Wir müssen diese Herausforderungen mit allen uns zur Verfügung stehenden politischen Mitteln direkt angehen. Nehmen wir zum Beispiel die Rechtsstaatlichkeit – wenn die Bürger nicht darüber aufgeklärt werden, wenn sie noch nie einen Fuß in einen Gerichtssaal gesetzt haben, wie können sie dann die Unabhängigkeit der Justiz verteidigen, wenn diese angegriffen wird?
Den Bürgern zuzuhören, ist der Grundpfeiler jeder Demokratie. Wir müssen uns ständig auf die Emotionen und Erwartungen der Menschen einstellen. In einer Demokratie gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Bürger einzubinden und ihre Beteiligung zu fördern. Moderne Innovationen in einer beratenden Demokratie sind zwar wertvoll, aber im Mittelpunkt steht die grundlegende Aufgabe, zuzuhören und den Wählern sinnvolle Ergebnisse zu liefern. Wir müssen dafür sorgen, dass sie sich als Teil des demokratischen Prozesses fühlen und dass ihre Grundbedürfnisse – ihre Sicherheit, Stabilität und ihr Wohlergehen – erfüllt werden. Wie es in einem alten Gebet heißt: „Errette uns vor Hunger, Feuer und Krieg, Herr.“
Dies ist die heilige Pflicht jeder Regierung, sei es auf lokaler, regionaler, nationaler oder supranationaler Ebene. Nur wenn Regierungen dieser Pflicht nachkommen, können sie ihre Aufmerksamkeit auf umfassendere politische Ziele richten und erfolgreich mit verschiedenen Optionen der öffentlichen Politik konkurrieren. Dies gilt gleichermaßen für die Europäische Union, die stark, widerstandsfähig und effektiv sein muss, um den aktuellen Bedrohungen entgegenzuwirken.
In den letzten acht Jahren haben wir eine außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit bewiesen. Jetzt stehen wir vor der enormen Herausforderung, die polnische Demokratie wiederherzustellen. Wir rufen unsere europäischen Partner auf, uns zur Seite zu stehen – nicht nur zu unserem Vorteil, sondern im Interesse des gesamten europäischen Projekts, das auf gemeinsamen demokratischen Werten beruht. Wir rufen in Erinnerung, dass die offenen Grenzen zu Symbolen der europäischen Integration geworden sind und nicht einfach durch eine einseitige politische Entscheidung eines Mitgliedstaats aufgehoben werden können.
Vor kurzem haben wir in Danzig die Enthüllung eines Denkmals zu Ehren von Lech Bądkowski gefeiert, einem Kämpfer für Demokratie und Verfechter der kaschubischen Regionalidentität. Donald Tusk, der sich als Anhänger von Bądkowski betrachtet, erinnerte uns an dessen Leitprinzip: „Denkt daran, den gesunden Menschenverstand immer vor die Ideologie zu stellen. Denkt daran, zwischen Mut und Draufgängertum zu unterscheiden.“ Dieses Prinzip hat Donald Tusk und die polnische Zivilgesellschaft in den letzten Jahren in ihrem Kampf für die Freiheit geleitet. Es ist nun unser Leitprinzip, wenn wir uns auf den Weg der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit begeben. Es muss uns auch als Kompass bei der Bewältigung der umfassenderen Herausforderungen dienen, mit denen Europa konfrontiert ist.
Wir müssen uns an den gesunden Menschenverstand halten und den Mut aufbringen. Lasst euch nicht von falschen Ideologien leiten. Geht Probleme auf vornehme Weise an, sucht furchtlos nach Lösungen und zerstört nicht die Errungenschaften dieses großartigen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem wir heute leben.