Dankesrede Michael Anti

Ein wahrer Journalist muss auch wahr recherchieren, als Auslandskorrespondent [in China] brauchen Sie dafür die Hilfe eines chinesischen Assistenten. Das Risiko, das Sie eingehen, liegt damit nicht nur in Ihren Händen, sondern auch in denen des chinesischen Assistenten. Ich habe vier Jahre lang für die New York Times als Senior Assistent und Berater für den Chef des Büros, Joseph Kahn, gearbeitet. Und ich bin sehr glücklich, dass Jo Kahn Auslandsredakteur der New York Times geworden ist. Das ist auch eine gute Nachricht für mich.

Als Reporter in China teilen wir diese Art von Risiko. Wenn mich jemand fragt: „Warum berichtest du über China für ausländische Nachrichten? Warum berichtest du schmutzige Dinge? Warum erzählst du der Welt nicht einfach nur die Erfolgsgeschichten? “ Dann antworte ich: „Weil ich kein Problem damit habe.“

Bevor ich Journalist für die New York Times war und auf Englisch berichtete, was in der chinesischen Zivilgesellschaft passiert, war ich ein chinesischer Journalist. Eigentlich berichten chinesische Journalisten mehr schmutzige Dinge als irgendein ausländischer Korrespondent. Und ich denke, einige von ihnen verdienen eine ähnliche Auszeichnung.

Ich habe einige Nachforschungen zu dieser Auszeichnung angestellt, und ich sah die Namen der Ausgezeichneten vor mir, und ich zögerte ein wenig. Ich finde, es ist nicht die Rolle, die ich haben sollte. Weil meine chinesischen Kollegen mit einem viel riskanteren Umfeld konfrontiert sind als ich und diese Art der Auszeichnung mehr verdienen als ich. Aber ich denke auch, dass es eine Chance für mich ist, mehr Kanäle und mehr Räume zu haben, um meine Sache fortzusetzen. Das heißt, der Welt auch weiterhin über China zu berichten. Um dem westlichen Publikum zu erzählen, was wirklich passiert in China. (…)

Auch meine Glückwünsche an Lord Weidenfeld. Sie kämpfen weiterhin für Meinungsfreiheit, und Sie sind ein Beispiel für Leute wie mich in China, für Menschen in Tunesien und Russland, die noch für etwas kämpfen. In China haben wir ein Idiom, das sagt: „Das Feuer wird immer von Generation zu Generation weitergegeben.“ Die Idee ist, dass auch in China immer jemand auftaucht, jemand wie ich, der eine klare und direkte Sprache ohne Selbstzensur spricht, um all das zu erzählen, das in China geschieht.

Ich hatte immer ein Problem, wenn ich Chinesisch verwendete, um Geschichten aus China zu erzählen. Unsere freiwillige Verwendung von Selbstzensur, unsere Veränderung von Worten macht es mir bequemer, weil diese Art von Kultur wirklich in meiner Kindheit verwurzelt ist. Sie kennen bereits meine Geschichte; ich hatte eine Vor-Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei als ich 14 war. Ich liebte die kommunistische Idee. Ich dachte wirklich, dass der Kommunismus ein großer Traum für uns ist.

Bevor ich 1998 Zugang zum Internet bekam, war ich ein Nationalist. Ich dachte, all die Probleme in unserer Gesellschaft basierten auf der japanischen Invasion. Ohne genügend Informationen haben wir noch immer diese Tendenz. Aber das Internet ist ein Geschenk, das Gott dem chinesischen Volk gegeben hat. (…) Seit 1998 erfuhr ich plötzlich eine Menge Dinge; nicht nur über die Welt, sondern auch über unsere Geschichte. Also habe ich versucht, zu verstehen, warum ich auf diese Weise dachte und warum die Generation meiner Mutter noch immer denkt, dass das richtig sei. In diesem Jahr wechselte ich meinen Job von einem Programmierer zu einem Kommentator. (…) Ich möchte wirklich für die Freiheit der Meinungs- und Informationsfreiheit eintreten und für sie kämpfen. Deine Art zu denken kann nur geändert werden, wenn du genügend Informationen hast. (…)

Das Internet hat China grundlegend verändert. Wir haben über 500 Millionen Internetnutzer. Wir haben 200 Millionen Mikro-Blogs. Ein Grund dafür ist, dass die chinesischen Handys sehr billig sind. Ein Smartphone kostet weniger als 40 Euro. Jetzt haben die Stimmlosen eine Chance oder zumindest einen Kanal, um miteinander zu reden und Dinge auszusprechen. Wenn ein Fall glücklicherweise durch die Medien oder einen Professor in Peking aufgenommen wird, könnte er die Schlagzeile der morgigen Zeitung sein.

Letzte Woche gab es ein Zugunglück. In den ersten fünf Tagen gab es 10 Millionen Kommentare zu diesem Fall. Dies führte unmittelbar zu einer Reform des Eisenbahn-Ministeriums und zur Entlassung seines Sprechers. Zudem wurde die Geschwindigkeit für Züge aus Sicherheitsgründen verringert. Wir alle sagen, dass China zu schnell wächst und wir langsamer werden sollten; nicht nur die Züge, sondern auch die Menschen. Aber wir können unsere Hoffnungen nicht allzu sehr in Mikro-Blogs und Social-Media-Veranstaltungen in China setzen, weil die Twitter-oder Facebook-Phänomene in den Vereinigten Staaten oder in Tunesien und den arabischen Länder anders sind, denn ihre Sozialen Medien waren weniger der Zensur unterworfen. Wenn Tunesier etwas auf Facebopok posten, glaube ich nicht, dass der tunesische Präsident es löschen konnte. Aber unsere Server stehen in Peking, und wenn eine Firma sich für eine Lizenz bewerben möchte, muss es den Kriterien der Regierung entsprechen, andernfalls erhält es keine Lizenz. Es ist eine Kooperation mit der Zensur, und wegen dieser Zensur können diese Art von Social-Media-Phänomene [in China] nicht zum politischen Wandel führen.

Wenn Sie Zivilgesellschaften ändern möchten, sollten Sie langfristige zivile Verbindungen aufbauen. Sie sollten dem, was jemand sagt, vertrauen, aber [im Moment] tun Sie es nicht, weil deren Worte immer zensiert wurden. Aber ich würde sagen, dass die große Zahl von Mikro-Bloggern in China wirklich die chinesische Mentalität ändern. Die Leute beginnen darüber nachzudenken, dass die Meinungsfreiheit nicht ein Privileg der Vereinigten Staaten ist. Es ist jetzt ein Grundrecht, weil wir jeden Tag mit Hilfe unserer günstigen Smartphones Meinungsfreiheit praktizieren. Jetzt denken wir auch, dass wir etwas zu sagen haben sollten, bevor irgendeine nationale Politik beschlossen wird. Das heißt, dass wir an der nationalen Politik beteiligt sind.

Und das ist auch gut für die Regierung. Die Regierung kann Micro-Blogging und Social Media nutzen, um öffentliche Meinungen zu sammeln. Weil wir keine Wahlen haben, gibt es auch keine öffentlichen Meinungsumfragen. Deshalb wird diese Art, Informationen zu sammeln, gebraucht, um präziser zu verstehen, was die Menschen wirklich brauchen. In diesem Sinne ist das auch positiv für die chinesische Zentralregierung. Es ist keine fundamentale Reform. Ich würde sagen, dass es wie eine Selbst-Evolution im Internet-Zeitalter ist.

Aber ein weiterer wichtiger Punkt, warum die chinesische Zentralregierung Micro-Blogs nicht schließen wollen, ist, weil es ihnen bei der Überwachung der Kommunen hilft. Kommunale Korruption ist ein großes Problem für die Bauern. [Soziale Medien] können ein Werkzeug für die chinesische Zentralregierung werden, die Kommunen zu kontrollieren, denn China ist ein wirklich großes Land.